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Walburga Erichsmeier, stellvertretende Bezirksgeschäftsführerin des Verdi-Bezirks Ostwestfalen-Lippe, KBR-Vorsitzende Katrin Meier und ihr Stellvertreter Matthias Müller (v. l. n. r.) kämpften sieben Jahre für einen Konzernbetriebsrat für die privatisierten Unternehmen des Kreises. Magazin Mitbestimmung

Arbeitsrecht: Im Dauerclinch

Ausgabe 06/2021

Im Kreis Lippe gibt es seit Kurzem einen Konzernbetriebsrat für die privatisierten Kreisunternehmen. Das Gremium formierte sich gegen den Willen des Landrats, der auch nach einer höchstrichterlichen Grundsatzentscheidung nicht klein beigibt. Von Joachim F. Tornau

Kalt zieht es durch die Lüftungsschlitze in der Außentür über den gekachelten Fußboden: Es ist noch nicht allzu lange her, da wurden hier Leichen aufgebahrt. Der kleine Raum im Untergeschoss der Kreissenioreneinrichtung im lippischen Detmold diente dem Abschied von verstorbenen Heimbewohnern. Bis heute hängen geblieben sind die schweren Vorhänge, mit denen sich die Aussicht durchs einzige Fenster auf Parkplatz und Altpapiercontainer pietätvoll verhüllen lässt. Nur das mächtige Holzkreuz ist verschwunden, es steht jetzt achtlos abgestellt in einer Kammer nebenan.

Wer sich bis hierhin durchschlägt, vorbei an Wäschewagen bis ans Ende eines Kellerflurs, findet neben der Tür ein holzgerahmtes Schild: „Konzernbetriebsrat Kreis Lippe“ steht darauf. Ob ein zugiger und muffiger Kellerraum mit morbider Vergangenheit als Betriebsratsbüro zumutbar ist, darüber liegt das Gremium mit Landrat Axel Lehmann noch im Clinch. Doch dass es diesen Konzernbetriebsrat (KBR) und dieses Domizil überhaupt gibt, ist bereits ein großer Erfolg für die beteiligten Arbeitnehmervertretungen.

Für diesen Erfolg kämpfen sie jetzt schon seit sieben Jahren. Von Detmold soll ein Signal ausgehen, wünscht sich Walburga Erichsmeier, die stellvertretende Geschäftsführerin von Verdi in Ostwestfalen-Lippe. Sie hofft, „dass Betriebsräte ausgegründeter kommunaler Unternehmen jetzt auch andernorts diesem Beispiel folgen und einen Konzernbetriebsrat gründen“. Die Chancen stehen gut, denn dank der Zähigkeit der Pioniere aus Lippe ist mittlerweile höchstrichterlich geklärt, dass das möglich ist.

Im vergangenen Jahr entschied das Bundes­arbeitsgericht zu ihren Gunsten: Auch bei öffentlich-­rechtlichen Körperschaften wie einer Stadt oder einem Landkreis, die eigentlich dem Personalvertretungsrecht unterliegen, kann ein Konzernbetriebsrat nach dem Betriebsverfassungs­gesetz gegründet werden – als gemeinsame Vertretung für alle privatisierten Unternehmen, an denen die Kommune weiterhin die Mehrheit hält. In Lippe betrifft das nicht weniger als 14 Kreisunternehmen, vom Klinikum über die Senioreneinrichtungen bis zu den Verkehrsbetrieben.

„Damit ist eine wichtige Grundsatzfrage geklärt und eine Lücke in den Mitbestimmungsstrukturen geschlossen worden“, erklärt Johanna Wenckebach, Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Hans-Böckler-Stiftung. „Es ist ja eine häufige Konstellation, dass Unternehmen ausgelagert, aber weiter öffentlich-rechtlich beherrscht werden.“ Oftmals würden die für die Beschäftigten wesentlichen Entscheidungen dabei weiter von den kommunalen Gremien, von Bürgermeistern, Landräten und Kämmerern getroffen, also auf Konzernebene. „Die Geschäftsführungen der Einzelunternehmen sind dann bloß ausführende Organe“, sagt die Arbeitsrechtlerin. „Ohne einen Konzern­betriebsrat, der dort angesiedelt ist, wo tatsächlich entschieden wird, drohen Mitbestimmungs­rechte ins Leere zu laufen.“

Bei den Unternehmen des Landkreises Lippe sind etwa Lohnabrechnung und Personalwesen unternehmensübergreifend organisiert; eine wirksame Betriebsvereinbarung zur Begrenzung der Datenflüsse kann deshalb nur auf Konzernebene abgeschlossen werden. In anderen Bereichen, so die KBR-Vorsitzende Katrin Meier, „stehen wir vor den gleichen Problemen“. Da brauche es umfassende Lösungen – etwa für den dramatischen Pflegenotstand, der die Beschäftigten im Klinikum und in den Senioreneinrichtungen belaste.

Doch das sah und sieht man im Detmolder Kreishaus offensichtlich ganz anders. Wohlwollend schaute Landrat Axel Lehmann zu, wie einzelne Kreisunternehmen, unterstützt vom Landkreistag Nordrhein-Westfalen, den Rechtsstreit um die Errichtung des Konzernbetriebsrats durch drei Instanzen bis zum Bundesarbeits­gericht trieben. Der Sozialdemokrat versteckt sich hinter der „bundesweiten Bedeutung“ des Verfahrens – und hinter den Geschäftsleitungen der Unternehmen. Die hätten das „eigenverantwortlich“ so entschieden, lässt Lehmann ausrichten.

Kein Einfluss des Landrats, des obersten Dienstherrn also? Nicht nur beim Konzernbetriebsrat hält man das für wenig glaubhaft, zumal von einer vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der Arbeitnehmervertretung auch nach dem Spruch der Erfurter Richter nicht die Rede sein kann. „Die Behinderung setzt sich nahtlos fort“, sagt der stellvertretende KBR-Vorsitzende Mat­thias Müller. „Wir sollen mürbegemacht werden.“ Nicht ein einziges Mal habe sich der Landrat bislang bei dem Gremium sehen lassen. Arbeitsmittel und ein Büro wollte er zunächst gar nicht zur Verfügung stellen. Es reiche doch, was die Betriebsräte hätten, hieß es. Erst nachdem der KBR deswegen neuerliche Klagen beim Arbeitsgericht einreichte, gab der Landkreis scheibchenweise gerade so viel nach, wie sich nicht mehr vermeiden ließ.

Im September, mehr als ein Jahr nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, wurde Meier, Müller und ihren Mitstreitern der ehemalige Leichenaufbewahrungsraum zugewiesen. Eigenes Mobiliar haben sie noch immer nicht. „Vom Bleistift bis zum Sessel, alles muss erstritten werden“, sagt die Vorsitzende. Auf drei Seiten listete die Arbeitnehmervertretung auf, was sie benötigt, um arbeitsfähig zu sein. „Wir mussten begründen, warum wir 20 Aktenordner brauchen.“ Wie über die Angemessenheit des Büros wird auch über diese Liste nun vor Gericht verhandelt. Immerhin: Gegen Locher, Textmarker, Briefmarken oder Büroklammern erhebt der Landkreis keine Einwände. Aber einen Aktenvernichter, einen Taschenrechner oder Fachliteratur möchte er nach wie vor nicht bezahlen.

„Eigentlich könnte man darüber lachen“, meint Gewerkschafterin Erichsmeier, „wenn es den Konzernbetriebsrat nicht immer weiter an der Arbeit hindern würde.“ Mehrfach habe sich Verdi um ein Gespräch mit Landrat Lehmann bemüht. Stets vergeblich. „Es war nicht möglich, mit ihm einen außergerichtlichen Konsens hinzubekommen. Bis heute nicht.“ Da mutet das jüngste Statement des SPD-Politikers fast wie Hohn an: „Ich habe kein Interesse, dass in derartigen Fragen die Arbeitsgerichtsbarkeit bemüht wird“, verkündet Axel Lehmann. „Wenn das Grundsätzliche nun geklärt sein wird, hoffe ich, dass man zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit in Fragen der Arbeitnehmerbelange kommen kann.“

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