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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Geradezu widersinnig“

Ausgabe 11/2012

Der Göttinger Arbeitsrechtler Rüdiger Krause erklärt, warum die deutsche Unternehmensmitbestimmung nicht gegen Europarecht verstößt – auch wenn einige arbeitgebernahe Juristen das behaupten.

Professor Krause, auf der politischen Ebene haben Mitbestimmungsgegner derzeit schlechte Karten. Selbst Schwarz-Gelb will an der Arbeitnehmervertretung in Aufsichtsräten nichts ändern. Tobt deswegen ein juristischer Stellvertreterkrieg?
Nachdem es lange Zeit vergleichsweise ruhig war um die Mitbestimmung, begann vor rund zehn Jahren plötzlich eine neue Diskussion. Unter dem Schlagwort „Corporate Governance“ wurde gefordert, die Aufsichtsratstätigkeit müsse stärker professionalisiert werden – und die unternehmerische Mitbestimmung der Arbeitnehmer sei dabei ein Fremdkörper. Die daraufhin eingesetzte zweite Biedenkopf-Kommission konnte sich aber nicht auf Reformvorschläge einigen. Die wissenschaftlichen Mitglieder der Kommission stellten der Mitbestimmung zudem ein gutes Zeugnis aus. Damit war das Thema für die Politik erledigt. In der Folge machten Juristen jedoch eine neue Argumentationsfront auf: Nicht nur in rechtspolitischer Hinsicht müsse unter den Gesichtspunkten der Corporate Governance gehandelt werden. Nein, die deutsche Mitbestimmung verstoße sogar gegen Unionsrecht.

Das ist keine Petitesse. Wie wird das begründet?
Es geht darum, dass die Beschäftigten von ausländischen Tochterfirmen deutscher Konzerne sich nicht an den Wahlen zum Aufsichtsrat beteiligen können. Das wird zum einen als Verstoß gegen die Freizügigkeit und zum anderen als Diskriminierung der ausländischen Arbeitnehmer kritisiert. Denn nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs können nationale Regelungen schon dann europarechtswidrig sein, wenn sie die Ausübung einer Grundfreiheit weniger attraktiv machen. Und in der Logik der Mitbestimmungskritiker passiert genau das: weil ein in Deutschland beschäftigter Arbeitnehmer sein passives und aktives Wahlrecht für den Aufsichtsrat des deutschen Mutterkonzerns verliert, wenn er in ein französisches oder spanisches Tochterunternehmen wechselt. Also liege eine unzulässige Beschränkung der Freizügigkeit vor, behaupten einige Juristen.

Sie halten das nicht für überzeugend. Warum?
Ein Aufsichtsratsmitglied büßt sein Mandat ein, sobald er sein Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen beendet – ganz gleich, ob er nun zu einer ausländischen Konzerntochter wechselt, ob er in den Ruhestand tritt oder einen Job bei einem anderen Arbeitgeber antritt. Das ist nicht verknüpft mit dem Wechsel ins Ausland und beeinträchtigt damit nicht die Freizügigkeit. Und was das aktive Wahlrecht angeht: Kein Arbeitnehmer wird davon Abstand nehmen, in ein anderes Land zu gehen, nur weil er dann nicht mehr an den Aufsichtsratswahlen teilnehmen darf. Das ist ein geradezu an den Haaren herbeigezogenes Argument. Oder würde ein in Frankreich Beschäftigter umgekehrt nicht nach Deutschland kommen, nur weil hier das Streikrecht schwächer ist?

Nur Kriegslärm, oder meinen Ihre Kollegen das ernst?
Es sind ja nicht nur akademische Kollegen, die sich zu Wort melden, sondern auch Anwälte. Und die müssen etwas stärker mit den Hufen scharren – das ist gut fürs Geschäft. Vielleicht glauben sie auch selber dran, das kann ich nicht einschätzen.

Und wie steht es mit dem Argument der Diskriminierung ausländischer Belegschaften?
Das ist in der Tat schwieriger. Es gibt ein gewisses demokratisches Defizit in der Unternehmensmitbestimmung – weil nur Belegschaften im Inland an der Wahl zum Aufsichtsrat teilnehmen –, das von allen Seiten, auch den Gewerkschaften, gesehen wird. Die Frage ist nur, ob das eine unzulässige Diskriminierung ist. Ich denke nein. Auch die Kritiker sind sich darüber im Klaren, dass der deutsche Gesetzgeber nicht nach der Staatsangehörigkeit differenziert – was er ja auch nicht dürfte. Sie sagen deshalb, dass es sich um eine mittelbare Diskriminierung handele. Weil natürlich überwiegend ausländische Nationalitäten betroffen sind: In Frankreich arbeiten nun einmal vorwiegend Franzosen und in Deutschland vorwiegend Deutsche. Das hieße aber, dass die Mitgliedstaaten gezwungen wären, nicht nur in ihrem Hoheitsgebiet gleiche Rechte für alle Beschäftigten zu gewährleisten, unabhängig von der Staatsangehörigkeit. Sie müssten dasselbe Schutzniveau auch den in anderen Mitgliedstaaten beschäftigten Arbeitnehmern bieten. Und so weit reicht das Diskriminierungsverbot nicht.

Wäre ein solcher Export des kollektiven Arbeitsrechts überhaupt möglich?
Nein. Und das ist ein weiterer Punkt: Man kann dem deutschen Gesetzgeber nicht zum Vorwurf machen, dass er etwas unterlässt, was er gar nicht tun kann. Er kann nicht vorschreiben, dass Arbeitnehmer in Spanien, Frankreich oder Italien an deutschen Aufsichtsratswahlen teilzunehmen haben. Er kann keine Regelungen schaffen, die europaweite Geltung haben. Das kann nur der europäische Gesetzgeber.

Ihre mitbestimmungskritischen Kollegen ziehen daraus den Schluss, dass deshalb eben die Rechte für alle abgeschafft werden müssten.
Das kann nicht der Weg sein. Und es wäre eine Überinterpretation des europäischen Rechts und des Diskriminierungsverbots. Sie sollen als Instrument eingesetzt werden, um das Mitbestimmungsniveau abzusenken – das ja allen Arbeitnehmern zugutekommt, die auf dem deutschen Arbeitsmarkt unterkommen. Das scheint mir geradezu widersinnig zu sein.

Die Verfechter dieser Argumentation sind auch rhetorisch nicht zimperlich. So prägte Volker Rieble, Direktor des arbeitgebernahen „Zentrums für Arbeitsbeziehungen und Arbeitsrecht“ (ZAAR) an der Uni München, das drastische Wort von der „deutschtümelnden Mitbestimmungsunwucht“. Können Sie uns erklären, was er damit meint?
Wenn ich diese Provokation richtig verstanden habe, zielt das darauf, dass ausländische Belegschaften auf die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen im Aufsichtsrat keinen unmittelbaren Einfluss nehmen können – weil sie ja nicht mitwählen dürfen. Wenn es nun zu standortrelevanten Entscheidungen in Krisensituationen kommt, würden die Arbeitnehmervertreter, die ja nur von den Beschäftigten in Deutschland gewählt worden sind, sich typischerweise für die deutschen Standorte einsetzen – und die ausländischen opfern. Das ist die Behauptung. Mir fehlen die empirischen Daten, ob das wirklich so ist. Ich weiß aber, dass sich deutsche Arbeitnehmervertreter häufig auch für ausländische Standorte einsetzen, damit die Belegschaften gerade nicht gegeneinander ausgespielt werden.

Sie haben sich kürzlich mit einem eigenen Gutachten in die Arena begeben.
Der Beitrag, den ich in der Zeitschrift „Die Aktiengesellschaft“ veröffentlicht habe, war kein Gutachten im technischen Sinne: Ich hatte keinen Auftraggeber. Zwar wird ein Argument nicht dadurch schlechter, dass es in einem Gutachten steht. Aber es wird trotzdem mit anderen Augen gesehen. Und das wollte ich vermeiden.

Gab es einen Punkt, an dem Sie sich gesagt haben: Jetzt reicht’s, jetzt muss ich widersprechen?
Man könnte sagen: Es gab da eine Unwucht in der Diskussion. Einige Gegenargumente wurden schlicht ausgeblendet, das hat mich geärgert.

Inwiefern?
Es wird vollkommen ignoriert, dass die Unternehmensmitbestimmung in Deutschland nur Teil eines Gesamtsettings der industriellen Beziehungen ist. Dazu gehören weiter die betriebliche Mitbestimmung, die Tarifautonomie, der Kündigungsschutz. Und genauso stellt auch jedes andere Sozialsystem innerhalb Europas ein Gesamtkunstwerk dar, in dem sehr fein austariert ist, wie sich Kapital und Arbeit arrangiert haben. Da kann nicht mit rechtlichen Instrumenten einfach ein Stück herausgebrochen und für europarechtswidrig erklärt werden. Konsequenterweise müssten sonst auch beispielsweise die Arbeitnehmer, die bei der deutschen Tochter eines französischen Konzerns beschäftigt sind, beim Kampf um ihre Arbeitsplätze das robuste und radikalere Auftreten französischer Beschäftigter übernehmen dürfen, um eine „gallische Streikunwucht“ zu verhindern. Das alles führt, denke ich, in die Irre.

Wie viel Resonanz findet denn diese Argumentation der Mitbestimmungskritiker? Sind das vereinzelte Exotenmeinungen, oder ist das eine breite Strömung in Ihrer Zunft?
Vor allem im gesellschaftsrechtlichen Schrifttum gibt es eine Reihe von Stimmen, die das vertreten. Ihre Überlegungen bleiben allerdings oft an der Oberfläche. Aber auch die sogenannte Reflection Group – eine 13-köpfige internationale Expertengruppe, die im Auftrag der EU-Kommission Vorschläge zum europäischen Gesellschaftsrecht erarbeiten sollte – hat die Argumentation in ihren 2011 vorgelegten Abschlussbericht aufgenommen und sogar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland angeregt. Das ist natürlich bedeutsam. Denn wenn solche Gedanken auf der europäischen Ebene Fuß fassen, wird es heiß aus der Perspektive der deutschen Mitbestimmung. Die Kommission hat diese Idee allerdings bislang nicht aufgegriffen. Sie hätte wohl auch mit heftiger Gegenwehr aus Deutschland zu rechnen, weil es um die Substanz der Sozialpartnerschaft ginge.

Vereinzelt – etwa bei Daimler – hat die IG Metall einen Aufsichtsratssitz einem ausländischen Kollegen überlassen. Was keine elegante Lösung ist, aber immerhin ein Weg, damit umzugehen. Wäre auch eine rechtliche Regelung denkbar?
Der europäische Gesetzgeber könnte etwas tun – aber nur für die in Europa angesiedelten Belegschaften. Wir haben jedoch viele Unternehmen, die weltweit aktiv sind. Da bekommt man das Problem auch mit europäischen Regelungen nicht in den Griff.

Was schlagen Sie vor?
Möglich wären freiwillige Vereinbarungen. Der deutsche Gesetzgeber kann zwar nicht anordnen, dass ausländische Belegschaften mitwählen. Aber er könnte eine Öffnung im Gesetz vorsehen: Er könnte Arbeitgebern und Arbeitnehmern erlauben, kollektivvertraglich zu vereinbaren, dass sämtliche konzernangehörigen Arbeitnehmer an den Aufsichtsratswahlen teilnehmen dürfen. Im Moment ist das Wahlrecht zwingend auf Beschäftigte im Inland beschränkt – man kann sich darüber nicht hinwegsetzen.

Das Gespräch führten MARGARETE HASEL, Redakteurin des Magazins Mitbestimmung, und JOACHIM F. TORNAU, Journalist in Kassel.

 

Zur Person

Rüdiger Krause, 51, hat eine Professur für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Georg-August-Universität Göttingen und ist Direktor des dortigen Instituts für Arbeitsrecht. Zu seinen Forschungsschwerpunkten zählen neben der Mitbestimmung unter anderem der Kündigungsschutz sowie das Tarifvertrags- und Arbeitskampfrecht. Er hat zahlreiche Bücher zum individuellen und kollektiven Arbeitsrecht veröffentlicht und ist Mitherausgeber der Zeitschrift „Soziales Recht“. 

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