Quelle: Karsten Schöne
Magazin MitbestimmungBetriebsrätepreis: Gegen alle Widerstände zum Berufsabschluss
Um ein Haar wären ungelernte Beschäftigte von Feinkost Homann in Bottrop auf der Straße gelandet. Doch der Betriebsrat ließ nicht locker und machte sie fit für den nächsten Job. Für sein Engagement wurde er für den Betriebsräte-Preis 2021 nominiert. Von Andreas Schulte
Für die Betriebsratsvorsitzende des Feinkostherstellers Homann ist der Wandel die einzige Konstante: Schon sieben Mal sei Suzann Dräther am Standort in Bottrop verkauft worden, sagt sie, entweder mit Homann oder zuvor im gleichen Betrieb mit Nadler. Unzählige Male führte sie zähe Verhandlungen für den Erhalt von Arbeitsplätzen. Ganz verhindern konnte sie den Stellenabbau nicht. Oft sind die Kräfte des Markts zu stark: Rohstoffkosten und Löhne steigen, aber die Supermärkte machen die Preiserhöhungen nicht mit. So geriet auch Homann in Schieflage. 600 Kollegen arbeiteten noch vor 20 Jahren in Bottrop. Jetzt sind es gerade mal 200.
Was tun, wenn Entlassungen unvermeidbar sind? Dräther hatte eine Idee und rettete, was zu retten war. Sie machte ungelernte Kollegen fit für den nächsten Job. Es ist ihr Verdienst, dass sieben Beschäftigte nun Anlagen- und Maschinenführer sind. Die Kollegen haben jetzt bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, falls es das Bottroper Werk irgendwann doch nicht mehr geben sollte. Denn schon einmal wären die Werkstore beinahe für immer ins Schloss gefallen. Das war 2017, in dem Jahr, in dem auch Dräthers Engagement für die Qualifizierung ungelernter Mitarbeiter beginnt.
Homann verkündet das Aus für Bottrop
Damals hatte der Arbeitgeber bekannt gegeben, den Standort Bottrop drei Jahre später dichtmachen zu wollen. Stattdessen sollte eine neue Anlage im sächsischen Leppersdorf günstiger produzieren. Der Umzug war von Arbeitnehmerseite nicht zu verhindern, aber das Betriebsratsteam wollte die Folgen abmildern. „Wer nicht mit nach Leppersdorf gegangen wäre, hätte hier nach der Werksschließung auf der Straße gestanden“, erzählt Dräther. Zwar arbeiteten die langjährig Beschäftigten als Facharbeiter, „aber auf dem Papier waren viele ohne Qualifikation. Auf dem lokalen Arbeitsmarkt wären sie nicht zu vermitteln gewesen – zumindest nicht für das gleiche Geld“, sagt sie.
Ihr Plan: Beschäftigte ohne Berufsabschluss zu qualifizieren. Dafür trommelte sie laut im Betrieb. Doch mit dem hehren Ziel stieß sie zunächst auf Widerstand – bei den Kollegen und beim Management. Der Arbeitgeber sah seine schöne neue Fabrik in Sachsen bereits leer stehen. Denn wenn seine Leute in Bottrop qualifiziert würden, dann hätten sie kaum mehr einen Grund, mit nach Leppersdorf zu gehen, so die Befürchtung. Außerdem wollte Homann auf keinen Fall für die Kosten der Qualifizierungen aufkommen.
Für jeden einzelnen Kollegen telefoniert
Der Betriebsrat ließ nicht locker. „Ich kann ein Wadenbeißer sein“, sagt Dräther heute. Ihr Argument: Im neuen Werk in Sachsen würden ohnehin nicht alle Mitarbeiter gebraucht. Dies hatte das Management doch selbst eingeräumt – und gab schließlich nach. Pferdefuß: Der Arbeitgeber wollte nichts für die Schulungen zahlen. Doch auch die Belegschaft zögerte. Sie bangte ums Geld. „Einige hatten Angst, die Qualifizierung könnte ihre Abfindung schmälern“, sagt Dräther. „Wir mussten also eine öffentliche Geldquelle finden.“ Die Betriebsrätin stieß auf WeGe-bAu. Das Programm der Bundesagentur für Arbeit sah entsprechende Förderungen für Geringqualifizierte vor. Also horchte Dräther in der Belegschaft nach: Wer ist zur Qualifizierung bereit? Wer benötigt zusätzlich einen Sprachkurs? Wer eignet sich für welche Weiterbildung? „Ich musste fast für jeden einzelnen Kollegen mit der Agentur für Arbeit telefonieren“, sagt Dräther. Am Ende gewann sie 35 Beschäftigte für ihre Idee.
Das war im Frühjahr 2018 – ein weiteres markantes Datum in der Geschichte des Bottroper Homann-Werks. Denn plötzlich schlug der Arbeitgeber eine Volte. Sein schickes Werk in Leppersdorf hatte sich entgegen den ersten Berechnungen als ineffizient erwiesen. „Klassischer Managementfehler“, urteilt Dräther. Jedenfalls wollte die Führungsetage bei Homann von einem Umzug nun nichts mehr wissen. Das totgesagte Werk Bottrop blieb – und mit ihm die Arbeitsplätze.
Mitarbeiter springen wieder ab
Die plötzlich wieder sichere Zukunft des Standorts schläferte allerdings bei 25 Beschäftigten die Motivation zur Qualifizierung ein. Drähter ließ sich nicht abbringen. „Dann mache ich mit den verbliebenen zehn Kollegen weiter“, sagte sie sich. „Die haben es nun erst recht verdient.“ Doch schon stellte sich das nächste Problem. Die privaten Bildungsträger im Programm WeGebAu pochten auf die Mindestgröße ihrer Klassen. Nur sieben angehende Anlagen- und Maschinenführer für Lebensmitteltechnik und drei zukünftige Fachkräfte für Lagerlogistiker von Homann? Das sei zu wenig, um damit eine Klasse aufzumachen, hieß es. „Die haben uns dann vorgeschlagen, uns ein zweites Unternehmen zu suchen, das die Klasse vollmacht“, schildert Dräther.
Sie bemühte alte Kontakte aus der Gewerkschaftsarbeit in der NGG und aus Betriebsratskreisen und stieß auf den Tiefkühlkostanbieter Iglo in Reken im Münsterland. Große Überzeugungsarbeit musste sie nicht leisten, denn die Bundesagentur für Arbeit übernahm die Kosten. Zudem unterliegt die Lebensmittbranche Saisonzeiten. Da die Weiterbildungsmodule in Zeiten lagen, in denen die Produktionswerke nicht immer ganz ausgelastet sind, fiel den Arbeitgebern die Freistellung der Beschäftigten leichter. „Wir brauchten damals von Iglo mindestens fünf Teilnehmer. Die haben wir auch bekommen“, sagt Dräther.
Anderen Mut gemacht
Im Februar 2019 begannen die Kurse. Nicht alle Teilnehmer kamen mit dem Lernen im Selbststudium zurecht, drei brachen ab. Den anderen griff der Homann-Betriebsrat unter die Arme: „Wir haben in Zusammenarbeit mit dem Bildungsträger zum Beispiel prüfungsvorbereitende Tests entwickelt“, erzählt Dräther. Mit Erfolg: Von den sieben Qualifikanten schlossen die letzten ihre Ausbildung zum Anlagen- und Maschinenführer im Juni 2021 erfolgreich ab.
Dabei soll es nun nicht bleiben. „Das Projekt ist auf viele Betriebe übertragbar“, findet Drähter. Wichtig sei dabei jemand, der die Fäden spinnt. Zudem sei es essenziell, Zeiten zu finden, in denen der Arbeitgeber auf die Qualifikanten verzichten kann.
Womöglich wird das Thema Ausbildung bald bei Homann wieder auf die Tagesordnung kommen. Die Absolventen haben anderen Mut gemacht. „Viele Beschäftigte sagen: Wenn die sieben die Ausbildung geschafft haben, dann schaffe ich das auch“, sagt Dräther. So ganz dringend ist die Angelegenheit derzeit zum Glück nicht. Zwar hat Homann kürzlich wieder einmal den Besitzer gewechselt, aber von einer Werkschließung spricht hier niemand.
Weitere Informationen:
Auf unserer Übersichtsseite zum Betriebsrätetag
Der Deutsche Betriebsrätepreis ist eine Initiative der Fachzeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“ des Bund-Verlags. Mit dem Preis werden seit 2009 alljährlich Praxisbeispiele vorbildlicher Betriebsratsarbeit ausgezeichnet. Er wird auf dem Deutschen Betriebsrätetag in Bonn verliehen, der in diesem Jahr vom 9. bis 11. November stattfindet.
www.betriebsraetetag.de