Quelle: Werner Bachmeier
Magazin MitbestimmungVon ANDREAS MOLITOR: Fit für das Elektroauto
Thema Das Auto der Zukunft ist elektrisch. Noch sprechen die Verkaufszahlen eine andere Sprache. Doch die Betriebsräte der Konzerne bereiten ihre Belegschaften auf einen rasanten Wandel vor – so wie bei BMW.
Von ANDREAS MOLITOR
Wenn Peter Cammerer abends heimkommt, schauen die Nachbarskinder dem Auto hinterher, obwohl es keine jener PS-starken Wuchtbrummen ist. Cammerer, Betriebsrat bei BMW in München, fährt ein Elektroauto, einen BMW i3. In der Wohnsiedlung ist das Fahrzeug ein Exot. „Aber in zehn oder 15 Jahren wird es genau umgekehrt sein“, prognostiziert der promovierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler. Natürlich kennt Cammerer die Verkaufsstatistiken. Und die sprechen – noch – eine ganz andere Sprache. Trotz staatlicher Kaufprämie von bis zu 4000 Euro sind auf deutschen Straßen derzeit nur knapp 50 000 reinrassige Elektroautos unterwegs – Lichtjahre entfernt von der Million Fahrzeuge, die sich die Bundesregierung bis 2020 ursprünglich wünschte. Nach wie vor schrecken die bescheidene Reichweite der Elektrofahrzeuge und ihr hoher Preis das Gros der Autokäufer ab.
Auch wenn seit Anfang des Jahres die Verkaufszahlen deutlich angezogen haben, der Boom steht erst noch bevor. Denn ohne massiven Einsatz von Elektroautos werden die Hersteller die weiter verschärften EU-Abgasnormen für ihre Fahrzeugflotten nicht erfüllen können. Im Raum steht das Risiko von Fahrverboten in großen deutschen Städten. Nicht zuletzt dürften innovative Fahrzeugkonzepte von Newcomern, wie der Aachener Cityflitzer e.GO, der ab Frühjahr 2018 für unter 16.000 Euro angeboten werden soll, die Preise für Fahrzeuge mit alternativem Antrieb gehörig ins Rutschen bringen.
Abschied vom Verbrennungsmotor
Eine ganze Armada von E-Modellen steht in den Startlöchern. Daimler plant unter der neuen Marke EQ zehn Modelle mit Elektromotor, Volkswagen will schon in drei Jahren sogar 30 reinrassige Stromer anbieten. Aber was wird aus Motoren- und Getriebebauern? Was aus Zulieferern von Kühlern, Benzinpumpen, Kolben und Auspuffrohren, wenn nur noch Batterie und Elektroaggregat unter der Kühlerhaube werkeln?
Seit Monaten kursieren düstere Szenarien, wie viele Zehntausend Jobs das Elektroauto vernichten wird. „Ein Achtzylindermotor hat 1200 Teile, ein Elektromotor nur 17 Teile“, konstatiert BMW-Gesamtbetriebsratschef Manfred Schoch. Weniger Wertschöpfung, weniger Jobs. „Ohne Ausgleich bliebe von sieben Arbeitsplätzen in der Motorenfertigung nur einer“, hat Michael Brecht, der oberste Daimler-Betriebsrat, grob überschlagen.
Die IG Metall drängt die deutsche Autoindustrie, mit ihrer Innovationsstärke die Weichen für eine zukunftsfähige Transformation zu stellen. Dabei müsse „die Politik endlich ihre koordinierende Funktion wahrnehmen und gemeinsam mit Industrie und Gewerkschaften ein tragfähiges strategisches Konzept vorlegen – das steht bis heute aus“, sagte Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall, vor dem „Dieselgipfel“ Anfang August. In einem Strategiepapier forderte die IG Metall die Autohersteller auf, schon ab dem nächsten Jahr in allen Fahrzeugsegmenten zumindest ein Modell mit Elektroantrieb anzubieten.
Geschäftsmodelle zukunftsfest machen
Die aktuellen Produktionsrekorde der Verbrenner gaukeln eine trügerische Sicherheit vor. BMW-Betriebsrat Peter Cammerer, als langjähriger Personalmanager mit den Beschäftigungseffekten der Einführung neuer Technologien bestens vertraut, scheut nicht den Vergleich mit dem Schicksal der Titanic. „Es geht darum, rechtzeitig das Ruder anzupacken und dem Eisberg auszuweichen – nicht erst, wenn man mit ihm kollidiert ist.“ Das gelte erst recht für jene Zulieferer, die Komponenten für den Antrieb von Benzinern und Dieselfahrzeugen produzieren. „Ihr müsst jetzt nachdenken, wie ihr euer Geschäftsmodell zukunftsfest macht – sonst bleibt euch irgendwann nur noch die Aussicht auf einen Sozialplan“, erklärt er den dortigen Betriebsratskollegen. Praktisch kein Teil eines Verbrennungsmotors habe eine Zukunft im E-Motor: Steuerkette, Simmerringe, Ventile, Kolben, Kurbelwelle, Ventiltrieb, Abgasanlage – „das sind dort alles zum Aussterben verurteilte Teile“.
Die Arbeitnehmerseite scheint in diesem industriellen Parforceritt bislang der aktivere Part. „Wir wollen auf keinen Fall abwarten, sondern aktiv in die Auseinandersetzung gehen“, gibt der baden-württembergische Bezirkschef der IG Metall, Roman Zitzelsberger, den Ton vor. Es sei notwendig, die Unternehmen unter Druck zu setzen und darüber zu verhandeln, „welche Fahrzeuge und Komponenten künftig an welchen Standorten produziert werden.“
Klar. Den Betriebsräten geht es darum, die Beschäftigung zu sichern und die neuen Technologien in Deutschland zu halten. Bei Daimler ist es dem Betriebsrat gelungen, dazu Betriebsvereinbarungen auszuhandeln. Der erste vollelektrische SUV mit Mercedes-Stern wird in Bremen vom Band laufen. Für Sindelfingen wiederum wurde eine völlig neue Generation von Elektrofahrzeugen beschlossen.
Betriebsräte kämpfen für heimische Standorte
Das Management hätte diese Autos gern dort produziert, wo der Markt für E-Mobile bereits heute boomt, in China oder in den USA, berichtet Ergun Lümali, der stellvertretende Gesamtbetriebsratsvorsitzende des Stuttgarter Konzerns. „Der Betriebsrat hat sich massiv dafür eingesetzt, dass diese Modelle in Sindelfingen vom Band laufen werden.“ Und bei Volkswagen haben Betriebsrat und Vorstand sich Ende vorigen Jahres auf einen ‚Zukunftspakt‘ verständigt.
Auch hier hat die Arbeitnehmervertretung – gegen Zugeständnisse bei Rationalisierungsmaßnahmen – dafür gesorgt, dass die nächste Generation elektrisch angetriebener Volkswagen in Deutschland gebaut wird. Der Vorstand wollte die Produktion ins slowakische Bratislava vergeben. Außerdem ist im ‚Zukunftspakt‘ klar definiert, welches Instrument die einzelnen Fabriken künftig im konzerneigenen E-Mobilitäts-Orchester übernehmen werden. So wird der I.D. ,ungefähr in Größe des Golf, ab 2020 in Zwickau gefertigt. Den ersten reinen Elektro-SUV bekommt Wolfsburg. Braunschweig entwickelt die Batteriesysteme, Kassel übernimmt die Führung beim Bau der Elektromotoren. Salzgitter baut die Kompetenz für die Zellenentwicklung auf.
Auch bei der Qualifizierung sind die Betriebsräte und Vertrauensleute gut aufgestellt und kümmern sich um den Erwerb zusätzlicher Kompetenzen. Denn wer einen Benzinmotor einbaut, kann nicht automatisch einen E-Motor montieren – vom Umgang mit gefährlicher Hochvoltspannung ganz zu schweigen.
BMW Landshut: Qualifikationen erfasst
So hat der Betriebsrat im BMW-Werk Landshut schon vor einigen Jahren systematisch die Qualifikation der Belegschaft erfasst. Ausbildung, bisherige Tätigkeit, Lehrgänge – alles wurde abgefragt. Dieses Detailwissen komme dem Standort jetzt, „wo wir reife Technologien infrage stellen, das Alte ein Stückweit loslassen und das Neue einführen“, außerordentlich zugute, erklärt der Betriebsratsvorsitzende Willibald Löw.
„Leute die Treppe hochentwickeln“ nennt er das vom Betriebsrat ersonnene Verfahren. Durchlaufen haben es auch 30 Leute aus der Motorendemontage, die bislang einfache Arbeiten verrichteten, bei denen viel geölt, geschmiert, zerlegt und gewaschen wurde. „Das war nicht unbedingt der Personenkreis, den man einfach in die E-Mobilität umsetzen kann“, räumt Löw ein.
Leichter war es, die Anlagenführer aus der mechanischen Fertigung an die neuen Tätigkeiten heranzuführen; während für deren vakante Posten die Mitarbeiter aus der Demontage qualifiziert werden konnten. „Aus unserer Bestandsaufnahme hatten wir die Information, welche Qualifikation ihnen noch fehlte“, erklärt der Landshuter Betriebsratsvorsitzende. So konnte man bei jedem Arbeiter aus der Demontage definieren, welche Zusatzqualifikation er benötigt. „Dieses Wissen haben wir erarbeitet.“
Im Münchener BMW-Werk, wo neben Fahrzeugen auch viele Motoren vom Band laufen, ist der Veränderungsdruck gestiegen, nachdem der Konzernvorstand entschieden hatte, schon in den nächsten Jahren Modelle bestehender Baureihen zu elektrifizieren. Hartnäckig und letztlich erfolgreich hat sich der Betriebsrat für die Qualifizierung eingesetzt. So sollen Mitarbeiter aus dem Motorenwerk Elektrokompetenz erwerben, damit sie in Zukunft Komponenten für einen elektrischen Antriebsstrang montieren und einbauen können. In einer Betriebsvereinbarung wurde geregelt, dass eine erste Gruppe von 30 Mitarbeitern des Motorenbaus für eine solche Montage qualifiziert wird.
Sie lernen jetzt, wie man den Hochvoltspeicher und den Elektromotor montiert. Begleitend werden sie gemäß der bei BMW eingeführten „Blitz-Stufen“ im Umgang mit Strom qualifiziert. Eingesetzt werden diese Mitarbeiter nach der Qualifizierungsphase in einem der Werke des elektrischen Antriebstranges, in der Endmontage von Plug-in-Hybridfahrzeugen, Elektrofahrzeugen oder im Prototypenbau. Der Münchner BMW-Betriebsrat Cammerer ist überzeugt, dass diese 30 „nur ein erster Schritt“ sind und „eine Blaupause für weitere, ähnliche Maßnahmen.“ So könnten ganze Schichten beiseite genommen und an einer neben dem Band aufgebauten Lerninsel qualifiziert werden, erklärt Cammerer das Prinzip. Er ist stolz darauf, „dass wir es geschafft haben, für die Montage der neuen Elektrokomponenten zuerst unsere eigenen Mitarbeiter zu qualifzieren, und keine Leute von draußen oder Zeitarbeitskräfte nehmen.“
Betriebsratswissen in Sachen E-Mobilität
Der Systemwechsel zur Elektromobilität verlangt auch den Arbeitnehmervertretern einiges an Qualifikation ab. Sie müssen nicht nur Strategien für einzelne Standorte entwickeln, sondern auch in puncto Produktionstechnik auf der Höhe sein. Und so haben sämtliche Landshuter BMW-Betriebsräte eine E-Mobilitäts-Ausbildung absolviert; sie wissen, wie ein Hochvoltspeicher arbeitet. „Nur wenn die Qualifikation stimmt, bist du als Betriebsrat ein respektierter Gesprächspartner und kannst auf Augenhöhe mit dem Standortleiter diskutieren“, stellt Willibald Löw klar. Sein Münchner Kollege Peter Cammerer geht sogar noch einen Schritt weiter. „Wir Betriebsräte sollten einen Wissensvorsprung haben, und zwar bis zur Produktinnovation“, gibt er das Ziel vor. „Wer als Betriebsrat sich damit zufrieden gibt, dass er sich im Tarifvertrag auskennt, hat die Zeichen der Zeit definitiv noch nicht verstanden.“
Aufmacherfoto: dpa/Jan Woitas