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Cover Magazin Mitbestimmung

Politisches Lied: Feminismus auf dem Dancefloor

Ausgabe 05/2022

Annie Lennox schreibt einen feministische Hymne, die auch im Radio läuft. Als Duettpartnerin holt sie Aretha Franklin ins Studio. Von Martin Kaluza

Eurythmics and Aretha Franklin: „Sisters Are Doin‘ It For Themselves“ (1985)

Mothers, daughters, and their daughters, too
Woman to woman, we‘re singing to you
The inferior sex has got a new exterior, yeah
We got lawyers, doctors, politicians, too (…)

Sisters are doin‘ it for themselves
Standin‘ on their own two feet
And ringin‘ on their own bells

Schon mit dem ersten Hit der Eurythmics fällt Annie Lennox auf. Im Video zu „Sweet Dreams (Are Made of This)“ trägt die Sängerin kurze, knall­orange gefärbte Haare und einen Männeranzug. Ein gefälliges Popstar-Lächeln spart sie sich. Mit dem androgynen Look wird Lennox 1983 aus dem Stand zur Ikone: Sie schafft es, alle Blicke auf sich zu ziehen, aber gleichzeitig entzieht sie sich dem männlichen Blick. Len­nox selbst erklärt: „Es ging darum, zu sagen: Ich bin weiblich, aber ich habe eine maskuline Seite, und diesen Teil von mir will ich nicht leugnen.“

In der Zeit ihres künstlerischen Durchbruchs interessiert sich Lennox für die ­Bewegung der Suffragetten, die in Großbritannien und den USA Anfang des 20. Jahrhunderts mit Protestmärschen und Hungerstreiks das Frauenwahlrecht erkämpft hatten. Und sie stellt sich selbst eine Aufgabe: „Die Herausforderung lautete, einen Popsong zu schreiben, der im Radio gespielt wird und trotzdem eine feministische Hymne ist. Eines Morgens habe ich den Text in einem Rutsch geschrieben.“

Der neue Song heißt „Sisters Are Doin‘ It For Themselves“, Schwestern tun es für sich selbst. Früher habe man gesagt, hinter jedem Mann stehe eine starke Frau, schreibt Lennox. Doch die Zeiten haben sich geändert, die Frauen stehen nun für sich selbst und ihre eigenen Anliegen ein. Sie lassen die Küche hinter sich, und man müsse sich nur umsehen: Die Ärztinnen, Anwältinnen und Politikerinnen sind schon da. Das Ganze verpacken die Eurythmics in einen munteren Popsong für den Dancefloor.

Lennox findet von Beginn an, dass eine zweite Stimme dem Song guttun würde. Auf der Suche nach einer Duettpartnerin holen sich die Eurythmics zunächst eine Abfuhr: Tina Turner mag den Song nicht singen, der Inhalt ist ihr zu feministisch. Aretha Franklin hingegen sagt zu. Annie Lennox muss nur noch Franklins Bedenken ausräumen, ob es in dem Song etwa um weibliche Selbstbefriedigung gehe.

Franklin, eine Generation älter als Annie Lennox, hatte 1967 mit „Respect!“ einen ihrer größten Hits und gilt seitdem weltweit als Fürsprecherin der Frauen- und der Bürgerrechtsbewegung. Das Video zeigt im Wechsel die Sängerinnen auf der Bühne und eine Kollage von Filmschnipseln. Sie reichen von Frauen, die von einem Steinzeitmann mit Keule an den Haaren herumgeschleift werden, bis hin zu Frauen, die als Mechanikerin, Ärztin, Astronautin arbeiten. Einige Passagen sind dem britischen Nouvelle-Vague-Film „Nur ein Hauch Glückseligkeit“ von 1962 entliehen.

Ein Detail im Video zu „Sisters“ wird von vielen weißen Fans übersehen, doch das Schwarze Publikum erkennt das Signal sofort: Franklin trägt an der linken Hand einen schwarzen Handschuh, ein Erkennungszeichen der Black-Power-Bewegung, das zurückgeht auf die Siegerehrung nach dem 200-Meter-Lauf bei den Olympischen Spielen von 1968 in Mexiko. Damals reckten der Sieger Tommie Smith und der Drittplatzierte John Carlos ihre Fäuste in Handschuhen in den Himmel. 

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