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Magazin Mitbestimmung

: Etappensieg für die Mitbestimmung

Ausgabe 10/2006

Auf dem Deutschen Juristentag 2006 stand auch die Unternehmensmitbestimmung zur Debatte. Abgestimmt wurde nicht - die Positionen lagen zu weit auseinander, und die Gegner der Mitbestimmung waren schlecht vorbereitet.



Von Sebastian Sick und Roland Köstler
Sebastian Sick, LL.M.Eur., ist Referent, Dr. Roland Köstler ist Referatsleiter im Referat Wirtschaftsrecht der Hans-Böckler-Stiftung.


Als die Organisatoren des 66. Deutschen Juristentages die Unternehmensmitbestimmung als Diskussionsthema für die arbeitsrechtliche Abteilung auswählten, hatten sie sicherlich eine andere zeitliche Dramaturgie vor Augen: den damals noch für das Jahr 2007 avisierten regulären Termin der neuen Bundestagswahlen. Der starke Zuspruch, den die Mitbestimmung nun auf der Veranstaltung vom 19. bis 22. September 2006 in Stuttgart erhielt, war allerdings bemerkenswert und nach früheren Erfahrungen beim Juristentag keinesfalls eine Selbstverständlichkeit.

Auffällig an der Veranstaltung war auch, dass keiner der Professoren, die als Mitbestimmungskritiker für die Positionen des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) mitverantwortlich sind, an der Diskussion teilnahm. Die Vertreter der Unternehmensverbände blieben weitgehend auf sich alleine gestellt.

Erst zum zweiten Mal in der Geschichte der arbeitsrechtlichen Abteilung würde nicht über Beschlussanträge abgestimmt. Darauf verständigten sich die Gewerkschaften, die Unternehmensverbände und das Abteilungsbüro des Juristentags. Einen vergleichbaren Vorfall hat es bislang nur im Jahr 1966 gegeben - damals hatte sich der Juristentag nicht zu einem laufenden Gerichtsverfahren zum Tarifrecht - nämlich zur Außenseiterproblematik bzw. zu Differenzierungsklauseln - äußern wollen.

Bei der aktuellen Veranstaltung zeigte sich, dass die Positionen so gegensätzlich waren, dass gemeinsame Beschlüsse schwer fallen. Der Verzicht auf eine gemeinsame Erklärung stellt auch eine Rücksichtnahme auf den bevorstehenden Abschluss der Arbeiten der Regierungskommission zur Unternehmensmitbestimmung unter Leitung von Kurt Biedenkopf dar.

Zugleich bedeutet der Verzicht aber einen Erfolg der Mitbestimmungsbefürworter. Denn Anträge aus dem Arbeitnehmerlager hatten in früheren Jahren bei dieser Veranstaltung wenig Aussicht auf Erfolg. Wer bei der Mitbestimmungsdiskussion die Gewerkschaften in der Defensive sieht, konnte dieses Mal Mitbestimmungskritiker erleben, die Probleme hatten, ihre Forderungen zu verteidigen. Thomas Raiser, Jura-Professor an der Berliner Humboldt-Universität und der Gutachter des Juristentags, brachte dies auf den Punkt: Wer die mit großer parlamentarischer Mehrheit geschaffene Mitbestimmung beschränken wolle, erklärte er, der trage die Beweislast für eine solche Notwendigkeit und für behauptete Nachteile.

Solche Beweise zu führen fiel den Kritikern allerdings schwer. Die gut vorbereitet auftretenden Befürworter konnten dagegen mit zahlreichen Studien und Fakten belegen, dass die Mitbestimmung ökonomisch keine nachteiligen, sondern tendenziell positive Effekte für die Unternehmen hat, dass ausländische Investoren die Mitbestimmung nicht meiden, dass Deutschland ein bevorzugter Holdingstandort in Europa und weltweit ist und dass die Umgehung der Mitbestimmung mittels Nutzung ausländischer Rechtsformen für Unternehmen in Deutschland wenig verbreitet ist.

Dietmar Hexel, Mitglied des DGB-Bundesvorstands und Referent beim Juristentag, sah daher keinen empirisch feststellbaren Druck und keine rechtliche Veranlassung die erfolgreichen Regelungsinstrumente der Unternehmensmitbestimmung grundlegend zu ändern. Dagegen seien Verbesserungen, die den kooperativen Charakter der industriellen Beziehungen weiter stärken - und damit den Standort Deutschland und Europa - wünschenswert. Die gewachsene Rolle der Arbeitnehmer als Wissensträger und deren Risiken durch die Investition der Lebensarbeitszeit erforderten eine Stärkung der paritätischen Mitbestimmung.

Manfred Gentz, ehemaliges Vorstandsmitglied von DaimlerChrysler, Mitglied der Biedenkopf-Regierungskommission und ebenfalls Referent auf der Veranstaltung, sah dies völlig anders. Er forderte grundsätzlich eine Absenkung auf eine Drittelbeteiligung im Aufsichtsrat, besser den Ausschluss der Arbeitnehmervertreter aus dem Aufsichtsrat und ihre Ansiedelung in einem bloßen Konsultationsrat. Für ihn ist die Mitbestimmung durch die Organe der Betriebsverfassung ausreichend. Dieser Meinung wurde aber vehement mit den Argumenten widersprochen, die betriebliche Mitbestimmung könne die Unternehmensmitbestimmung mit der Beteiligung an strategischer Planung nicht ersetzen, und eine bloße Konsultation sei gerade keine echte Beteiligung.

Der Wiener Jura-Professor Robert Rebhahn, der ein rechtsvergleichendes Referat hielt, bezeichnete die Mitbestimmung nach dem Gesetz von 1976 als "Solitär" in Europa. Dies verkennt jedoch, dass die Mitbestimmung in Deutschland ein einheitliches Gesamtkonzept der Arbeitnehmerpartizipation auf mehreren Ebenen ist und dass gewerkschaftliche Rechte in anderen Ländern zum Teil stärker ausgeprägt sind.

Nach wie vor sehr umstritten blieb auch die Frage, ob und in welchen Fällen eine individuelle Aushandlung der Mitbestimmung in Unternehmen möglich sein soll. Damit verknüpft sind zahlreiche problematische Rechtsfragen. Dietmar Hexel wies darauf hin, dass auf nationaler Ebene, anders als bei europäischen Regelungen, nicht die Notwendigkeit besteht, unterschiedliche Beteiligungsformen zur Verhandlung zu stellen. Einigkeit bestand einzig in der Forderung nach grundsätzlicher Einbeziehung ausländischer Belegschaften in die Unternehmensmitbestimmung; über das Wie gingen die Meinungen auseinander.

Man muss abwarten, inwiefern die Erkenntnisse des Juristentags sich auf die Arbeiten der Biedenkopf-Kommission auswirken. Ihre Mitglieder wollen im November einen Bericht vorlegen. Unabhängig davon muss man den 66. Deutschen Juristentag als einen Erfolg für die Mitbestimmung und die Arbeitnehmerbewegung werten.

Dafür steht auch das klare Bekenntnis der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries zur Unternehmensmitbestimmung in ihrer Eröffnungsrede: "Die Bindung der Arbeitnehmer an ihr Unternehmen und an ihren Arbeitsplatz", erklärte sie, sei "in der Regel viel dauerhafter als die der Vorstände. Die Arbeitnehmer-Mitbestimmung stärkt deshalb Kontinuität und Nachhaltigkeit - und das sind zwei Tugenden des Wirtschaftslebens, die wir im Zeitalter von Hedgefonds und globalisierten Kapitalmärkten nötiger brauchen als je." Die Mitbestimmung, schloss sie, sei daher auch ökonomisch sinnvoll.

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