Quelle: HBS
Magazin MitbestimmungInterview: "Eine Frage der Fairness"
Der ehemalige EU-Sozialkommissar László Andor über die Notwendigkeit, die Währungsunion zur Sozialunion auszubauen. Die Fragen stellte Eric Bonse
Während Ihrer Amtszeit als EU-Sozialkommissar haben Sie sich für eine europäische Arbeitslosenversicherung starkgemacht – ohne Erfolg. Ist dieses Projekt immer noch aktuell?
Ohne einen Puffer oder – wie die Ökonomen sagen – einen automatischen Stabilisator kann eine Währungsunion nur suboptimale Ergebnisse liefern. Möglicherweise wird sie ohne einen solchen Mechanismus nicht einmal dauerhaft Bestand haben. Eine Arbeitslosenversicherung für die Währungsunion wäre eine mögliche Option für solch einen automatischen Stabilisator. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die Eurokrise kürzer und milder verlaufen wäre, wenn es einen solchen Puffer gegeben hätte – etwa in Gestalt einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung. Um die Widerstandsfähigkeit der Währungsunion zu steigern und das gute Funktionieren des Euro zu sichern, halte ich dies für nötig und sicher auch für machbar.
Sollte Ihr Nachfolger in der neuen EU-Kommission dieses Projekt weiterverfolgen?
Es ist Aufgabe der gesamten Kommission, die nötigen Schritte zu identifizieren, die zu einer tiefen und vollständigen Währungsunion führen können.
Was wären die Vorteile einer gemeinsamen Arbeitslosenversicherung?
Das im Maastricht-Vertrag angelegte Modell der Währungsunion hat schwerwiegende Lücken, wenn es um den Umgang mit konjunkturellen Zyklen und asymmetrischen Schocks geht. Das hat dazu geführt, dass sich in den Krisenjahren gefährliche Divergenzen entwickelt haben. Europa ist heute weniger ausgeglichen als zuvor. Ob man es mag oder nicht: Der Kern und die Peripherie der Eurozone haben sich auseinanderentwickelt. Die Beschäftigung und die soziale Lage sind die besten und gleichzeitig gefährlichsten Beispiele für diese Polarisierung.
Die Deutsche Bundesregierung empfiehlt den EuroKrisenländern die interne Abwertung durch Spar- und Reformprogramme. Reicht das nicht aus?
Dieser Anpassungsmechanismus führt zu unnötigen wirtschaftlichen Verlusten und hat auch verheerende soziale Folgen. Deshalb brauchen wir einen Mechanismus, der dazu beiträgt, die aggregierte Nachfrage in der Peripherie auch in Zeiten eines konjunkturellen Abschwungs zu sichern. Dieses System sollte direkt die unschuldigen Opfer der wirtschaftlichen Anpassung, die Arbeitslosen, unterstützen. Es ist auch eine Frage der Fairness, sicherzustellen, dass Finanzsysteme nicht die Nachfrage, das Wachstumspotenzial und die Überlebensfähigkeit der Wohlfahrtsstaaten in der Peripherie bedrohen. Wir brauchen ein europäisches Sicherheitsnetz für die nationalen Sicherheitsnetze – im Namen des wirtschaftlichen, sozialen und politischen Zusammenhalts.
Wo liegen die größten Hindernisse? Wer blockiert?
Jede Initiative braucht ihre Zeit. Die Menschen müssen verstehen, dass Reformen wichtig sind. 2012 hatten wir so eine politische Übereinkunft zur Bankenunion. Sobald allgemein verstanden wird, dass die Bankenunion nur der Anfang eines größeren Umbaus der Währungsunion ist, könnte ein Momentum für eine gemeinsame Arbeitslosenversicherung entstehen.
Das Wort führen derzeit die Bedenkenträger.
Wer sich gegen Transfers in der Währungsunion ausspricht, ist von der Debatte über automatische Stabilisatoren natürlich nicht begeistert. Meiner Meinung nach haben wir aber keine Wahl, wenn wir die Gemeinschaftswährung behalten wollen. Das sollte geordnet, regelbasiert und vor allem fair geschehen. Dafür gibt es Modelle.