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Magazin Mitbestimmung

Münchner Verkehrsgesellschaft: Die Wünsche der Busfahrer ins Zentrum gerückt

Ausgabe 04/2015

Wie wird ein Schichtplan Wirklichkeit, der Arbeitszeitwünsche wahr macht? Mit Experten-Beteiligung, moderiert vom Betriebsrat – und immer eng rückgekoppelt mit der Belegschaft. Von Jeannette Goddar

Als Andreas Pass noch Bus fuhr, kannte er nicht nur seinen Dienstplan für Pfingsten und den 3. Oktober. Auch für das nächste Osterfest und alle darauffolgenden Feiertage konnte er sich ausrechnen, ob er daheim sein oder einen Bus durch den Englischen Garten oder entlang des Viktualienmarkts lenken würde. Über Jahrzehnte folgte der Dienstplan eines Münchner Busfahrers demselben Rhythmus: vier Tage Arbeit, zwei frei, fünf Arbeit, zwei frei, vier Arbeit, einen frei. Ewig hätte das so weitergehen können. Oder?

„Nein“, sagt Klaus Gegenfurtner, der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der Stadtwerke München/Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), „das konnte es nicht.“ Vor rund fünf Jahren wurde deutlich, dass viele der jüngeren und neueren Mitarbeiter mit dem statischen Modell zunehmend unzufrieden waren. Der Betriebsrat der MVG, Teil der Münchner Stadtwerke, beschloss, aktiv zu werden. Wesentliche Vorarbeit war bereits geleistet worden.Nämlich von Kollegen wie Andreas Pass, der sich seit Jahren mühte, das tradierte Schichtplanmodell aufzubrechen: Vom Busfahrer hatte er sich zum Teamleiter Datenverarbeitung hochgearbeitet und als einer der Ersten Riesenfreude daran, herauszufinden, was diese Computer noch alles können. In einem Potsdamer Start-up namens Moveo hatte er bereits 1996 ein Team gefunden, das schon damals ein Programm namens „Pro Fahr“ für Schichtpläne in Verkehrsunternehmen entwickelt hatte. „Nächtelang und jahrelang“, erzählt Pass, selbst ein bisschen amüsiert über seine Leidenschaft, „saßen wir beisammen und haben es auf unser Unternehmen angepasst.“ 

Geholfen hat aber auch, gleichsam am anderen Ende der Kette, Harald Kerschreiter, Innendienstleiter eines von zwei Münchner Betriebsbushöfen. „Ich habe nie verstanden, dass ich im Büro Gleitzeit habe, die Fahrer aber nicht“, erzählt er. Also organisierte er mit Andreas Pass einen Fantasielauf, bei dem Fahrer nur virtuell nach ihrem „Wunschdienstplan“ fuhren, gefolgt von einem Pilotversuch mit 50 Fahrern. Parallel fragte Kerschreiter jeden, den er traf: „Wäre es nicht schön, wenn du deine Arbeitszeit mitgestalten könntest? Willst du nicht auch mal zum Geburtstag der Oma, ohne dass du deinen Dienst tauschen musst?“

Allerdings: Viele wollten das gar nicht. Zu stark war die Macht der Gewohnheit, die Skepsis gegenüber Veränderung – vor allem wohl jene, dass sich etwas zum Besseren ändern würde. „Auch als wir begannen, uns zu engagieren, war der Widerstand zunächst immens“, erinnert sich der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Alfred Köhler. Gründe gab es viele, auch den, dass die Unternehmensführung 2007 einen Absenkungstarif durchgesetzt hatte, was das Vertrauen der überwiegend bei ver.di organisierten Busfahrer nicht gerade befördert hatte. „Viele waren der Überzeugung, dass sie ihre freien Tage dann gar nicht mehr bekommen“, sagt Köhler. 

Tatsächlich aber war auch die Unternehmensleitung eines Tages davon überzeugt, dass die Einführung eines flexibleren Modells Sinn ergeben würde. Im Jahr 2009 bat sie den Betriebsrat um Unterstützung. Gegenfurtner, Köhler und andere Betriebsräte besuchten eine von ver.di München angebotene Fortbildung zum Thema ‚Individuelle Dienstplanung‘. „Drei Mal eine Woche ging das“, sagt Gegenfurtner, „extra auf den Verkehrsbereich zugeschnitten, das war eine gute Hilfe“. Und sie machten sich an die Moderation eines langen Prozesses, der am Ende wohl nur wegen seiner Behutsamkeit von Erfolg gekrönt war. Zunächst wurde ein Pilotprojekt im Kontext des betrieblichen Gesundheitsmanagements installiert; die Teilnahme war freiwillig. Ein Jahr lang kamen die Interessierten, ohne den Betriebsrat, ohne die Unternehmensleitung, in Zirkeln zusammen und diskutierten, was beim „Indiplan“ – so wurde das neue Schichtplanmodell, das einst „Wunschdienstplan“ hieß, nun getauft – gut lief und was nicht. 

Es wurden Fehlerquellen identifiziert, die mit dem Programm zusammenhingen, aber auch die Wünsche der Busfahrer ins Zentrum gerückt. Ein zentraler war zum Beispiel, das System so zu gestalten, dass man mitmachen kann, aber nicht muss; ein anderer, dass Wünsche gewichtet werden können. Mit dem, was er in den Zirkeln hörte, marschierte Pass immer wieder zu seinen Potsdamer Programmierern. Betriebsrat Alfred Köhler ist sich sicher: „Wenn es uns in dieser Zeit nicht gelungen wäre, viele Ängste zu nehmen, hätten wir heute kein neues Schichtplanmodell.“ Tatsächlich aber wurde 2012 die Betriebsvereinbarung Individueller Dienstplan unterzeichnet – vom Betriebsrat Betrieb Verkehr der Münchner Stadtwerke und vom Unternehmensbereich Verkehr. Und im Jahr 2014 beim Deutschen Betriebsrätetag in Bonn ein Betriebsräte-Preis entgegengenommen. 

Verankert wurde ein System, das den 700 Münchner Busfahrern in mehrerer Hinsicht Flexibilität ermöglicht: Sie können sowohl ihre bevorzugten Dienste – früh, tagsüber oder spät – eingeben wie auch Wünsche für freie Tage. Damit sie an besonders wichtigen Terminen wirklich frei haben, können sie ihren Wünschen mit sieben Punkten pro Woche besonderes Gewicht verleihen: also beispielsweise einen Frühdienst mit vier Punkten versehen und die anderen nur mit je einem oder gar keinem. „Die freien Tage, die sie sich wünschen“, sagt Köhler, „bekommen die Fahrer zurzeit zu 100 Prozent, die Dienste zu mehr als 80 Prozent.“

Allerdings: nur einige Zeit im Voraus. Damit die Dienste für Mai und Juni am 5. April herausgegeben werden können, müssen die Fahrer sie bis dahin an einem Terminal oder am heimischen Rechner, demnächst auch per Mobiltelefon eingegeben haben. Das, betont Kerschreiter, der am Betriebshof Ost für rund 300 Fahrer zuständig ist, „heißt aber nicht, dass, wer noch ein Ticket für das Bayern-Spiel am Samstag bekommt, da nicht hinkann. Wir finden eine Lösung – genau wie früher gibt es noch Mitarbeiter, die sich um so etwas kümmern.“ Wenn es einmal Probleme gibt, werden sie mit Andreas Pass im Arbeitszeitausschuss des Betriebsrats besprochen. „Die Zusammenarbeit“, sagen Köhler und Pass unisono, „verläuft völlig reibungslos.“ So hat das Modell nicht zuletzt auch kürzere Wege geschaffen.

Immer mehr Fahrer entscheiden sich für die aktive Teilnahme; unter ihnen viele ehemalige Skeptiker. „Immer mehr Leute sehen: Der ist nebenbei Trainer, der ist immer bei den Geburtstagen daheim. Nur i Depp sitz da und mach nix“, kommentiert Pass. Auch laut einer Umfrage sind mehr als zwei von drei mit dem System zufrieden, vor allem weil es die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verbessert. „Abschaffen“ sagt Köhler, „will das keiner mehr.“ Und: Es wächst eine Generation heran, die es sich gar nicht anders vorstellen kann. Der junge Busfahrer Simon Demharter sagt: „Ich kenne es gar nicht anders. Ob ich das System nutzen soll, habe ich mich nie gefragt. Natürlich will ich über meine Arbeitszeit mitbestimmen.“

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