Quelle: Stephen Petrat
Magazin Mitbestimmung70 Jahre: Die Stiftung feiert Geburtstag
Wann ein Mensch Geburtstag hat, ist leicht zu sagen. Bei Organisationen ist die Frage manchmal schwieriger zu beantworten. Von Karl Lauschke
Die Hans-Böckler-Stiftung in ihrer modernen Form entstand erst 1977. Doch genau vor 70 Jahren, im Jahr 1954, wurden kurz hintereinander zwei Organisationen gegründet, die die Keimzelle unserer Stiftung waren. An sie soll dieses Heft erinnern. Beide sind aus dem gewerkschaftlichen Kampf um die Mitbestimmung hervorgegangen.
Es war das Anliegen des ersten Vorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbunds, Hans Böckler, „dass endlich die Arbeiter und Angestellten Wirtschaftsbürger werden und nicht länger Wirtschaftsuntertanen seien“, weil der politischen Demokratie die wirtschaftliche Demokratie zur Seite gestellt werden sollte. Unter Böcklers Leitung wurde die paritätische Mitbestimmung in der Montanindustrie durchgesetzt, die im Mai 1951 in Kraft trat. Die notwendige Unterstützung für diese neue Aufgabe in den Unternehmen erhielten die Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsräten und die Arbeitsdirektoren durch Vorträge und Arbeitstagungen, die zunächst vom Wirtschaftswissenschaftlichen Institut (WWI) des DGB organisiert wurden. Der im November 1952 gegründete Verein für soziale Betriebspraxis sowie die Gesellschaft für soziale Betriebspraxis, die es sich zur Aufgabe machten, die sozialen und humanen Aspekte der Mitbestimmung wissenschaftlich zu erforschen und eine entsprechende Praxis zu fördern, setzten diese Arbeit fort. Sie blieb jedoch auf den Bereich der Eisen- und Stahlindustrie begrenzt.
Die Hans-Böckler-Gesellschaft
Angesichts der Angriffe auf die Montanmitbestimmung, die im April 1953 im Mannesmann-Konzern begannen und schließlich am 22. Januar 1955 in einem eintägigen Proteststreik gipfelten, sahen sich die Gewerkschaften gezwungen, diese hart erkämpfte Errungenschaft auf möglichst breiter Front zu verteidigen.
Am 23. April 1954 gründeten deshalb der DGB, die IG Metall und die IG Bergbau in Essen die Hans-Böckler-Gesellschaft zur Förderung der Mitbestimmung in Theorie und Praxis. Personell wurde die Arbeit von wenigen hauptamtlichen Kräften getragen und durch Mitgliedsbeiträge finanziert. Die Hans-Böckler-Gesellschaft gab ab Januar 1955 eine Monatszeitschrift unter dem Namen „Das Mitbestimmungsgespräch“ heraus – das heutige Magazin Mitbestimmung. In einer eigenen Schriftenreihe wurden Forschungsergebnisse aber auch juristische Handreichungen für die Praxis veröffentlicht. Dank zahlreicher Juristen, Betriebswirte, Arbeitswissenschaftler und Soziologen, die sich den Gewerkschaften verbunden fühlten, konnten Informations- und Fortbildungsveranstaltungen organisiert werden, und in dem Maße, wie der Kreis der Mitglieder in den folgenden Jahren über den Bereich der Montanindustrie hinaus erweitert wurde, wuchsen auch die Aktivitäten der Hans-Böckler-Gesellschaft. Es entstanden regionale und branchenbezogene Arbeitskreise und Arbeitsgemeinschaften im gesamten Bundesgebiet.
Mit Beginn der sozialliberalen Koalition im Oktober 1969, die angetreten war, „mehr Demokratie zu wagen“, intensivierte die Hans-Böckler-Gesellschaft ihre Anstrengungen, die paritätische Mitbestimmung über den Bereich der Montanindustrie gesetzlich auszuweiten. Dem dienten auch die „Studien zur Mitbestimmungstheorie und Praxis“, die ab 1973 herausgegeben wurden.
Die Stiftung Mitbestimmung
Parallel zur Hans-Böckler-Gesellschaft wurde am 1. Mai 1954 die Stiftung Mitbestimmung gegründet. Ihre vordringliche Aufgabe bestand darin, angesichts ungleicher Bildungschancen begabte Studierende aus der Arbeitnehmerschaft materiell zu fördern. Die Mittel dazu kamen aus den Bezügen und Vergütungen, die Gewerkschafter in Aufsichtsräten und Vorständen zu einem beträchtlichen Teil für diesen gemeinnützigen Zweck abführen mussten. Der Aufgabe, die Wissenschaft zu fördern, die sich mit der Mitbestimmung auseinandersetzt, kam die Stiftung Mitbestimmung dadurch nach, dass sie als korporatives Mitglied der Hans- Böckler-Gesellschaft ab 1957 finanzielle Mittel zur Verfügung stellte.
Da neben höheren Spendeneinnahmen ab 1970 durch wachsende staatliche Zuwendungen für die Studienförderung mehr finanzielle Mittel bereitstanden, konnte die Stiftung Mitbestimmung nicht nur die Studienförderung nachhaltig verbessern, sondern sich auch stärker der Förderung arbeitnehmerorientierter wissenschaftlicher Projekte zuwenden; dazu wurde 1973 ein eigenes Referat eingerichtet, das in der Folge immer weiter ausgebaut wurde. Das gesellschaftskritische Engagement der 68er Bewegung begünstigte diese Arbeit. Es belebte den Dialog zwischen den Gewerkschaften und der Wissenschaft an den Hochschulen und eröffnete den Gewerkschaften wichtige Ressourcen für ihre Arbeit.
Am 1. Juli 1976 trat nach langen Auseinandersetzungen das Mitbestimmungsgesetz in Kraft. Auch wenn die Forderung der Gewerkschaften nach der Gleichberechtigung von Arbeit und Kapital unerfüllt blieb, änderten sich doch die Bedingungen für die Arbeit sowohl der Hans-Böckler-Gesellschaft als auch der Stiftung Mitbestimmung. Um ihre Kräfte zu bündeln und alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die das Gesetz bot, schlossen sich beide Institutionen, die schon zuvor eng kooperiert hatten, am 1. Juli 1977 zur Hans-Böckler-Stiftung zusammen. Das ist der Grund, im Jahr 2027 schon wieder Geburtstag zu feiern.
Wir wollten so lange nicht warten und haben die Gründung der beiden Vorgänger zum Anlass genommen, Menschen, die der Hans-Böckler-Stiftung verbunden sind, um ihre Gedanken zur Stiftung zu bitten und um ein Wort, das sie mit Mitbestimmung verbinden.