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Magazin Mitbestimmung

Mitbestimmung: Die Rückkehr der ASten

Ausgabe 04/2014

In Baden-Württemberg dürfen Studenten nach einem 35 Jahre andauernden Sonderweg wieder in der Hochschulpolitik mitmischen. Trotzdem sind sie unzufrieden. Von Stefan Scheytt.

Etwa ein Jahr, bevor Hans Filbinger 1978 wegen seiner braunen Vergangenheit vom Amt des baden-württembergischen Ministerpräsidenten zurücktrat, schafften er und seine CDU die Verfasste Studierendenschaft im Ländle ab. Den Konservativen galt die studentische Interessenvertretung und Selbstverwaltung als „Sympathisantensumpf des Terrorismus“, im „Deutschen Herbst“ schien die Gelegenheit günstig, der aufrührerischen linken Jugend an den Hochschulen die Mitbestimmungsrechte zu nehmen. Zwar gab es auch danach noch Allgemeine Studierendenausschüsse (AStA), doch das war Etikettenschwindel: Die ASten waren nur noch eine Art Verwaltungsanhängsel und durften sich weder in die Debatten über die Bologna-Reform oder BAföG einmischen noch selbstständig Verträge schließen.

Der „kastrierte“ AStA („kAStrA“) war zwangsreduziert auf Themen wie Hochschulchor, Uni-Fußball oder Partys. „Mundtot seit 1977“ – so protestierten Generationen von Studierenden im Südwesten, auch Ende 2010 in Freiburg bei einem Besuch des damaligen CDU-Ministerpräsidenten Stefan Mappus im Audimax. Eineinhalb Jahre später wurde er von Grün-Rot aus dem Amt gefegt, und bald darauf führte das einst tiefschwarze Land Mitte 2012 die Verfasste Studierendenschaft wieder ein, nach 35 Jahren. Das Wissenschaftsministerium rühmte sich dabei des frühen Dialogs mit den Studierenden und des „ersten internetgestützten Gesetzgebungsverfahrens“ im Land: Auf einer Webseite gaben Tausende ihre Kommentare ab, das Internetverfahren habe viele wichtige Anregungen für das Gesetz geliefert.

MANCHE UNIS BREMSEN IMMER NOCH Ist jetzt also alles wieder gut? Überhaupt nicht, antworten Sonja Völker und Christin Gumbinger, beide Studentinnen an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen und Mitglieder des im Wintersemester 2013/14 erstmals gewählten neuen Studierendenrats (StuRA), wie der AStA hier heißt. Gerne würden sie endlich ihre neuen Möglichkeiten nutzen für inhaltliche Themen wie Wohnraumknappheit oder Semesterticket – und werden, so erzählen sie, von der Uni fortwährend ausgebremst. Zuerst zerpflückte das Rektorat den studentischen Satzungsentwurf, der hohe Transparenz und viel Partizipation vorsah. „Was bei uns satzungsrechtlich nicht ging, ging seltsamerweise in Freiburg oder Heidelberg, und das Ministerium zog sich wie so oft darauf zurück, keine wirklichen Antworten zu geben“, sagt Christin Gumbinger, die bei der Gewerkschaft ver.di organisiert ist.

Um beim Neuaufbau eigener Selbstverwaltungsstrukturen keine Fehler zu machen, die anschließend wieder von der Uni-Leitung kassiert werden, etwa beim Finanzplan oder der Beitragsordnung, brauchen die Studentenvertreter den Rat der Uni-Verwaltung. „Aber jede Anfrage muss hier übers Rektorat laufen. Wir dürfen keinen direkten Kontakt zur Verwaltung aufnehmen, um juristische oder verwaltungstechnische Fragen zu klären“, sagt Sonja Völker. Sie warteten wochen-, sogar monatelang auf Antworten. Noch Mitte März, fast zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gesetzes, habe der StuRa keine Zugangsdaten für seine neue eigene Homepage auf dem Uni-Server. Ja, sagen die Frauen, „wir sind jetzt offiziell Studierendenvertreter, haben neue Rechte, keiner kann mehr sagen: ‚Wer sind Sie denn? Mit Ihnen müssen wir keine Gespräche führen!‘ Aber mal sehen, was daraus wird.“ Mancher Streit, sagen sie, müsse wohl bald juristisch ausgetragen werden.

KRETSCHMANN ANTWORTET NICHT Mögen die Tübinger Uni-Chefs auch ungewöhnlich heftig quertreiben (andere unterstützen ihre neuen Studierendenschaften nach Kräften), offenbart sich darin ein grundlegendes Problem: „Das Ministerium hat es sich leicht gemacht, indem es die Rechtsaufsicht an die Hochschulen delegierte. Jetzt kann jede Uni-Leitung ihre Rechtsauffassung durchdrücken“, kritisiert Jörg Willburger, 30, BWL-Student im Master an der Hochschule Offenburg und Sprecher der LandesAStenKonferenz (LAK). Auch sonst machen die Studierendenvertreter nicht die besten Erfahrungen: Anfragen ans Wissenschaftsministerium würden, wenn überhaupt, oft erst nach mehrmaligem Nachhaken beantwortet; von den geplanten Änderungen an den Musikhochschulen des Landes – es geht um drastische Einsparungen und Studienplatzabbau – habe man aus der Presse erfahren. Auf einen Brief an die grüne Ministerin habe die LAK dann keine Antwort erhalten, ebenso wenig vom daraufhin angeschriebenen Ministerpräsidenten Kretschmann.

„Wir vertreten über 300 000 Studierende. Aber in der Hochschulpolitik kann man wirklich nicht von einer ‚Politik des Gehört-Werdens‘ sprechen, wie Grün-Rot das immer behauptet“, ärgert sich Willburger; er höre jetzt öfter den Kommentar: Die Grünen sind wie die Schwarzen, nur mit einer anderen Farbe. Und weil die Landesstudierendenvertretung nicht rechtsfähig ist, darf sie keine Demos anmelden, keine Beiträge verwalten, kein Girokonto führen, kein Rechtsgutachten in Auftrag geben. „So können wir kein Dienstleister für kleinere Studierendenschaften sein, die wenig Geld haben. Das wäre ein solidarischer Ansatz, aber das Land möchte offenbar keine starke Landesstudierendenvertretung, sondern sieht unsere Funktion bloß als eine koordinierende.“

Im Jahr 2014, 34 Jahre nach Filbingers Rücktritt, sind das keine guten Nachrichten für eine grün-rote Landesregierung, die sich vielleicht einmal als natürlicher Verbündeter der Studierenden sah. Doch Willburger lässt sich nicht entmutigen: „Mein Eindruck ist: Seit es die Verfasste Studierendenschaft wieder gibt, gibt es wieder mehr Studierende, die sich interessieren, engagieren, die mitreden und mitbestimmen wollen. Wenn sich die Dinge bald eingespielt haben, geht’s richtig los. Wir sind auf einem gutem Weg.“

 

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