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Oliver Röpke Magazin Mitbestimmung

Interview: "Die Konflikte nehmen zu"

Ausgabe 05/2021

Oliver Röpke, Vorsitzender der Arbeitnehmer-Gruppe im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA), über die Arbeit in einem weitgehend unbekannten Gremium und die Mühen des Kompromisses. Das Gespräch führte Kay Meiners

Herr Röpke, wie halten Sie als Vorsitzender der Arbeitnehmer-Gruppe im EWSA Kontakt mit Ihren Kollegen?

Die Arbeit ist durch Corona schwieriger geworden. Digitale Formate wie Videokonferenzen haben unsere Funktionsfähigkeit gesichert, können die persönliche Begegnung aber nicht ersetzen. Das merken wir gerade bei brisanten Themen, wo wir um einen Konsens ringen müssen. Sie engagieren sich für verbindliche europäische Mindeststandards bei der Mitbestimmung.

Gibt es die Aussicht auf Erfolg?

Aktuell ist es so, dass das europäische Recht die Mitbestimmung bedroht. Darum brauchen wir eine Offensive und Initiativstellungnahmen zum Thema Mitbestimmung, nur so kann der Green Deal auch wirklich ein Social Deal werden. Nicolas Schmit, der Sozialkommissar, unterstützt uns. Ein allererster Schritt ist, dass im neuen Aktionsplan zur „Europäischen Säule sozialer Rechte“ die Mitbestimmung gestärkt werden soll. Wir merken, dass durch das starke EWSA-Plädoyer für eine europäische Mitbestimmung dieses Thema zunehmend nicht mehr nur als ein besonderes Anliegen der Deutschen allein wahrgenommen wird.

Vor einem Jahr erschien in dem Politmagazin politico.eu ein Artikel, der den EWSA als „Zombie-Komitee“ bezeichnet.

Das Zitat stammt von einem einzelnen Abgeordneten, der unser Gremium prinzipiell ablehnt. Wir haben uns einen neuen Verhaltenskodex mit strengen ethischen Maßstäben gegeben, um unsere Arbeit zu verbessern. Vielleicht wollen einige den EWSA schon allein deshalb abschaffen, weil da auch Gewerkschafter drinsitzen und Druck für Arbeitnehmerrechte machen. Diesen Leuten geht es eher darum, ein demokratisch verfasstes Gremium zu schwächen. Viele Parlamentarier schätzen dagegen unsere Arbeit sehr.

Was macht den EWSA für die Arbeitnehmer und Gewerkschaften wertvoll?

Er ist ein Gegengewicht zu den vielen anderen Lobbykan len der Wirtschaft und der Arbeitgeber, die es in Brüssel gibt – und ein Gremium, in dem die meisten bereit sind zu Kompromissen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass der EWSA wahrgenommen wird. Nehmen wir das Thema Mindestlöhne in Europa. Hier gibt es auch in den eigenen gewerkschaftlichen Reihen unterschiedliche Auffassungen. Aber wir haben uns mit diesem Thema gegen den versammelten Widerstand der europäischen Arbeitgeber durchgesetzt. Gewöhnlich gibt der EWSA seine Stellungnahmen einvernehmlich ab. Im März gab es gerade um die Mindestlohnrichtlinie einen massiven Konflikt. Die Arbeitgeber gaben eine eigene Stellungnahme ab.

Wie kam das?

Ich will gar keine Schuldzuweisungen machen. So etwas sollte die absolute Ausnahme sein. Ein bisschen hängt es damit zusammen, dass wir uns nicht persönlich sehen konnten. Wenn man zusammensitzt, dann ist auch Druck zur Einigung da. Was wir jetzt sehen, ist ein ideologischer Widerspruch. Wenn der EWSA nur noch Partikularinteressen spiegelt, dann kann man fragen, wo der Mehrwert ist.

Genau das ist doch nun passiert.

Die Alternative wäre eine Wischiwaschi-Stellungnahme. Das hätte erst recht einen Reputationsverlust bedeutet. Am Ende war es gut, dass wir, die Gewerkschafter im EWSA, gesagt haben: Unser Ausschuss unterstützt das Projekt, Tarifverträge und Mindestlöhne in der EU zu stärken. Unser klares Votum traf in der Kommission und im Parlament auf sehr große Zustimmung.

Aber nicht im Arbeitgeberlager des EWSA. Es gab noch einen zweiten Fall ohne Einigung: die Stellungnahme zur Lohntransparenz-Richtlinie.

Das stimmt. Unser Berichterstatter, ein finnischer Kollege, hatte in seiner Stellungnahme den Kommissionsvorschlag ausdrücklich unterstützt – so, wie die Arbeitnehmer. Der EWSA fordert seit Jahren verpflichtende Vorschriften, um die Lohndiskriminierung von Frauen wirksam zu bekämpfen. Dazu stehen wir ohne Wenn und Aber. Auch in diesem Fall haben wir wieder eine Gegenstellungnahme von den Arbeitgebern bekommen, die aber keine Mehrheit fand.

Fehlt es der anderen Seite an Kompromissbereitschaft?

Die meisten Mitglieder suchen den Konsens. Aber im Kernbereich der Sozialpolitik und der Arbeitnehmerinteressen gab es einen Paradigmenwechsel in der Kommission. Europa soll eine aktivere Rolle spielen. Ein Wendepunkt war 2017 die Verabschiedung der sogenannten „Europäischen Säule sozialer Rechte“ auf dem Gipfel in Göteborg. Es wird manchem Arbeitgeberverband nicht so gut gefallen, nun auf Augenhöhe mit den Gewerkschaften behandelt zu werden.

Sie glauben, dass der Missmut darüber jetzt zeitverzögert in den EWSA hineingetragen wird?

Die Erklärung von Göteborg war abstrakt. Jetzt wird es verbindlicher, die Mindestlohnrichtlinie ist das beste Beispiel dafür. Deshalb kommt es zunehmend zu Konflikten. Für einige Mitglieder im EWSA ist es schwer, zu akzeptieren, dass solche Dinge nicht mehr nur national geregelt werden sollen. Aber die EU hat eine Verantwortung für die Verbesserung der sozialen Lage der Beschäftigten, dies ist für mich eine Frage der europäischen Solidarität.

Zur Person

Oliver Röpke ist seit mehr als 20 Jahren in leitenden Funktionen für den  österreichischen Gewerkschaftsbund (ÖGB) und seine Mitgliederorganisationen tätig, zunächst national, dann in Brüssel und seit 2008 als Mitglied des  ÖGB-Bundesvorstands. Seit März 2019 ist er Vorsitzender der Arbeitnehmergruppe im EWSA.

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