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Magazin Mitbestimmung

: Die jungen Talente der Böckler-Aktion Bildung

Ausgabe 01+02/2008

STUDIENFÖRDERUNG Die Hans-Böckler-Stiftung unterstützt mit einem Stipendium hunderte junger Männer und Frauen. Wir stellen vier der neuen Stipendiaten vor.

Von CHRISTOPH MULITZE, Journalist in Düsseldorf.


Als Joseph Akino in Bremerhaven vom Schiff klettert, ist er allein. Geflohen vor dem Bürgerkrieg in seiner Heimat, dem Sudan. Sein Vater ist gefallen, seine Mutter und seine Zwillingsschwester sind verschollen. Nichts ist dem 15-Jährigen geblieben, er besitzt keine persönlichen Sachen, nicht mal einen Personalausweis. Er hat keine Adresse, wo er sich melden kann in dem neuen, fremden Land, irrt ziellos durch die Stadt, spricht Menschen an, die ihn nicht verstehen. Zufällig trifft er einen anderen Farbigen, der ihn im Auto mitnimmt nach Düsseldorf. Dort verbringt Joseph die Tage auf dem Hauptbahnhof, die Nächte in einem Flüchtlingssammellager.

Erst als er Wochen später das Psychosoziale Zentrum für Flüchtlinge Düsseldorf e.V. aufsucht, wird ihm Schritt für Schritt geholfen: zunächst beim Asylantrag und bei der Vermittlung eines Sprachkurses. "Mein Vater sagte immer: Wenn du in ein neues Land kommst, ist die Heimatsprache das wichtigste Mittel, um dich zurechtzufinden. Ohne die Sprache geht nichts", erzählt Joseph sieben Jahre nach seiner Flucht in fast fließendem Deutsch. 21 Jahre ist er inzwischen, er trägt einen schicken Anzug mit Krawatte und strahlt. "Manchmal werde ich morgens wach und kann mein Glück gar nicht fassen."

Joseph studiert im zweiten Semester an der Fachhochschule Düsseldorf internationales Management. Das ist ein kleines Wunder. Denn Joseph hat im Sudan wegen des Krieges nur gelegentlich die Schule besuchen können. In Deutschland gelang ihm nach einem Jahr regelmäßigem Schulbesuch bereits der Hauptschulabschluss mit einem Notendurchschnitt von 1,9. Es folgte der Realschulabschluss mit 1,7 und - im vergangenen Jahr - das Fachabitur mit 1,8. All das in Deutsch, einer Sprache, die er erst seit kurzem spricht. "Ich bin offenbar recht begabt", sagt Joseph lachend.

Seine Betreuerin im Flüchtlingszentrum hat das Potenzial, das in ihm schlummert, erkannt und von der neuen Böckler-Aktion Bildung gehört. "Du musst studieren, bewirb dich bei der Stiftung um ein Stipendium", hat sie Joseph geraten. Und der hat es getan. Mit Erfolg. Seit Studienbeginn wird er über eine neue Förderlinie unterstützt, mit der die Hans-Böckler-Stiftung den Trend stoppen will, dass Bildung wieder zum Privileg der Begüterten wird.

NEUER FÖRDERWEG_ Mit der Böckler-Aktion Bildung baut die Hans-Böckler-Stiftung ihre Studienförderung massiv aus - in den kommenden Jahren um 500 zusätzliche Stipendien. Junge Frauen und Männer, die begabt sind, aber aus finanziell schwachen Familien stammen, werden auf dem ersten Bildungsweg gefördert. Das ist neu, hat die Stiftung bisher doch vor allem berufserfahrene Studierende unterstützt. Doch die soziale Ausgrenzung, die sich durch die Studiengebühren weiter verschärft hat und talentierte Kinder aus ärmeren Verhältnissen zunehmend fernhält von den Hochschulen, machte es notwendig zu handeln.

Die Hans-Böckler-Stiftung hofft, dass mit dem Ausbau der Studienförderung ein Stück Chancengleichheit an die Universitäten und Fachhochschulen zurückkehrt. Finanziert wird die Ausweitung des Förderprogramms durch das Bundesbildungsministerium und dessen Exzellenzinitiative, mit der besonders begabte junge Menschen gefördert werden sollen. Darüber hinaus erhöht die Stiftung ihre Eigenmittel für die Studienförderung. Ohne die finanzielle Unterstützung hätte Joseph nicht studieren können. "Wahrscheinlich wäre ich arbeitslos. Oder ich hätte eine Ausbildung zum Krankenpfleger absolviert", sagt er. Joseph ist ehrgeizig, lernt viel, vergisst aber nicht das Elend in seinem Heimatland.

"Die Welt verschließt die Augen vor dem Bürgerkrieg im Sudan. Vor allem Kinder leiden darunter", kritisiert er. Joseph engagiert sich bei der Aktion Weißes Friedensband gegen den Missbrauch von Kindern als Soldaten und berichtet in Veranstaltungen über die Lebenssituation als unbegleiteter minderjähriger Kriegsflüchtling. Wie es mit ihm selbst weitergeht, ist offen: Sein Aufenthaltsrecht in Deutschland ist zunächst bis Ende 2009 begrenzt. Joseph sieht das gelassen. "Ich habe so viel Glück gehabt in Deutschland, es wird sich schon etwas ergeben."

FÜR ARGENTINIEN GESPART_ Nadine Franke ging es wie vielen Gleichaltrigen nach dem Abitur: Sie war ratlos. Was soll ich bloß studieren, fragte sie sich. Doch im Gegensatz zu den meisten anderen mangelte es ihr nicht an Möglichkeiten. "Ob Naturwissenschaften, Sprachen oder Gesellschaftswissenschaften - ich bin auf vielen Feldern sehr talentiert", sagt die 19-Jährige aus Düsseldorf, die auf einem erzbischöflichen Gymnasium ihr Abitur machte und entsprechend streng katholisch erzogen wurde. Also holte sie sich Rat bei einer Personalberatung. Danach war sie schlauer. Jura sollte es sein, möglichst an einer Uni in Nordrhein-Westfalen.

Tatsächlich klappte das: Ihr wurde ein Studienplatz in ihrer Heimatstadt Düsseldorf zugeteilt. So kann sie weiter in ihrem Sportverein Triathlon betreiben, bei der Mutter wohnen und sich ausgiebig ihrer großen Leidenschaft widmen: dem Fußball. "Ich bin frühzeitig mit dem Fortuna-Virus infiziert worden", erzählt sie. Schon als kleines Kind haben ihre Eltern und die beiden älteren Brüder sie mit ins Rhein-Stadion geschleppt. Das hat gewirkt. Nadine ist aktives Mitglied des Supporter Clubs Düsseldorf, der Fortuna-Fanvereinigung. Heimspielbesuche sind seit Jahren Pflicht. Doch auch auswärts begleitet sie ihr Team möglichst immer und überallhin.

Reisen sei ohnehin ihre Leidenschaft, sagt sie. Damit meint sie allerdings weniger die Spielorte in der Regionalliga Nord, wo Fortuna Düsseldorf kickt. Nein, Argentinien hat es ihr angetan. "Seit der achten Klasse habe ich eisern gespart, um das Land nach dem Abitur besuchen zu können. Das habe ich gemacht, zwei Monate war ich dort. Argentinien ist toll, ich möchte wieder hin", schwärmt sie. Vielleicht sogar für längere Zeit - nach dem Studium. "Mein Traum wäre es, in Südamerika als Korrespondentin für eine Zeitung zu arbeiten." Erste journalistische Erfahrung hat sie schon gesammelt: bei einem Schüler-Zeitungsprojekt der NRZ und in einem zweiwöchigen Praktikum in der Düsseldorfer Lokalredaktion der Rheinischen Post.

Von der Böckler-Aktion Bildung habe sie gelesen, sagt Nadine, es sei ein kleiner Vierzeiler in der Tageszeitung gewesen. Ihre Eltern hatten sich kurz zuvor getrennt, was die finanzielle Situation der Mutter und des jüngeren Bruders, der auch noch zu Hause lebt, verschärft hat. Deshalb bewarb sich Nadine um ein Stipendium - und wurde ins Böckler-Förderprogramm aufgenommen. Was sie ohne die finanzielle Unterstützung gemacht hätte, weiß sie nicht. "Wahrscheinlich erst einmal ein freiwilliges soziales Jahr beim Landessportbund und anschließend irgendeine Ausbildung. Keine Ahnung ..."

BESTES ABITUR IN BERLIN_ Medienerfahrung hat Sarra Kebir ebenfalls - wenn auch der anderen Art. Über sie wurde im Sommer 2007 in der Berliner Tagespresse groß berichtet. Denn Sarra gelang ein Abitur mit einem Notendurchschnitt von 0,7. Damit war sie die beste Abiturientin ihres Jahrgangs in ganz Berlin. Besser als "sehr gut" - wie geht das? "Ich hatte in allen Fächern 15 Punkte, das ist eine Eins plus. Wenn ich mich richtig erinnere, kam ich nur in Sport auf eine glatte Eins", sagt Sarra keck. Wer so gut in der Schule ist, hat es nicht leicht. Auch dann nicht, wenn es einem in den Schoß fällt. "Natürlich wurde ich gemobbt", erzählt die 19-Jährige.

Das klingt fast gleichgültig - und das war es ihr damals wohl auch. Denn ihre Freunde sind fast alle älter als sie. Mit Klassenkameraden, erzählt Sarra, habe sie nie viel anfangen können. "Die trinken viel beim Weggehen und ziehen ihr Selbstbewusstsein aus den Klamotten, die sie tragen." Bei beidem konnte Sarra nie mithalten. Wollte sie auch gar nicht. "Materiellen Luxus konnten mir meine Eltern nicht bieten. Den habe ich aber auch nie vermisst", sagt sie bescheiden. Dafür fängt sie mit 13 Jahren an, die ZEIT zu lesen. Ihr Taschengeld verdiente sie sich als Jugendliche mit Nachhilfe in Englisch, Babysitten und Putzen in Privathaushalten.

Sarra wurde 1988 in Algerien geboren. Noch im gleichen Jahr flüchteten die Eltern vor dem zunehmenden islamistischen Einfluss nach Deutschland. Ihre Mutter ist Buchautorin, schreibt Biografien über Bertolt Brecht und Antonio Gramsci, ihr Vater ist freischaffender Künstler. Beide sind ver.di-Mitglied. Ursprünglich wollte Sarra nach dem Abitur Volkswirtschaftslehre studieren. Nun hat sie sich doch lieber für Wirtschaftsingenieurwesen entschieden, weil sie die Schnittstelle zwischen Wirtschaft und Technik so spannend findet. Mit ihrem 0,7er-Abitur kann sie ohnehin frei wählen. Auch Politik begeistert sie - wie so vieles andere. Bei der Frage nach ihren Hobbys holt sie tief Luft und verdreht kurz die Augen.

Man ahnt es schon, die Liste ist lang. In ihrer Freizeit schreibt Sarra Gedichte, die auch schon veröffentlicht wurden, sie tanzt, besucht klassische Konzerte, spielt selbst Gitarre und ein bisschen Theater. Natürlich liest sie auch viel und gerne, und regelmäßig geht sie lange joggen. Aber dies ist nur eine kleine Auswahl. Fürs Studium ist Sarra von Berlin nach Karlsruhe umgezogen. Dort studiert sie an der Technischen Universität. "Karlsruhe ist hübsch, aber recht teuer", hat sie schon festgestellt. Nur durch das Stipendium, sagt sie, sei das Studium für sie in Karlsruhe finanzierbar. Die Bewerbung bei der Hans-Böckler-Stiftung lag für sie nahe, denn schon ihre Schwester war Böckler-Promotionsstipendiatin. "Ohne die finanzielle Unterstützung hätte ich wohl eine Ausbildung als Hebamme gemacht. Das hätte mich interessiert", sagt Sarra.

BESUCH BEIM BUNDESPRÄSIDENTEN_ Nicht viele Jugendliche können von sich behaupten, dem Staatsoberhaupt die Hand geschüttelt zu haben und von ihm persönlich ausgezeichnet worden zu sein. Gerasimos Warmann kann das. Bundespräsident Horst Köhler hat den 20-Jährigen im vergangenen Jahr nach Berlin eingeladen, um ihm für sein gesellschaftspolitisches Engagement und seine Versöhnungsarbeit zu danken. "Stellvertretend für viele, die sich für antirassistische Belange einsetzen", sagt Gerasimos zurückhaltend.
Gerasimos Warmann kam 1995, als er acht Jahre alt war, mit seinen Eltern aus Griechenland nach Deutschland. Sein Vater ist Koch, seine Mutter Hausfrau.

Schon früh engagierte sich Gerasimos politisch, sein Hauptanliegen ist der Kampf gegen Rassismus. Er hat an seiner Schule den "Klub Rassismus ablehnender Schülerschaft" (kurz: KRASS) gegründet, der bundesweit mit anderen Initiativen und Aktionen wie "Courage" zusammenarbeitet. Darüber hinaus war er Schülersprecher seiner Schule und in der Landesschülervertretung Bayerns. "Wir nehmen uns alle viel zu wenig als Bürger wahr, vernachlässigen viele Pflichten, engagieren uns nicht, was zu Ungleichheit und Problemen im Zusammenleben führt", kritisiert Gerasimos.

Eigentlich wollte er nach dem Abitur nicht studieren, doch eine Lehrerin hat ihm - schließlich erfolgreich - immer wieder zugeredet und ihm eine Bewerbung um ein Stipendium bei der Hans-Böckler-Stiftung empfohlen. Über die Fachrichtung musste er nicht lange nachdenken, an der Universität in Würzburg ist er eingeschrieben in Political and Social Studies. "Mein Ziel ist, nach dem Studium in der Jugend- und Erwachsenenbildung zu arbeiten. Oder in der Entwicklungshilfe", so Gerasimos. Festlegen möchte er sich noch nicht - vielleicht landet er eines Tages auch im Journalismus.

Die Arbeit bei der Schülerzeitung hat ihm Spaß gemacht, er hat bei der Main Post in Würzburg ein Praktikum absolviert und auch schon Artikel in der taz veröffentlicht. Hätte es nicht geklappt mit dem Stipendium der Hans-Böckler-Stiftung, "vielleicht hätte ich mich auf einer Schauspielschule beworben", sagt Gerasimos, der in seiner Freizeit Sänger und Gitarrist in einer Funk-Band ist, gerne Theater spielt und reist. "Oder ich wäre nach Griechenland zurückgekehrt. Dort habe ich noch viele Verwandte."

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