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Magazin Mitbestimmung

: Das Regime des Finanzmarkt-Kapitalismus

Ausgabe 06/2006

Fonds und Finanzinvestoren stellen knallharte Forderungen an "ihre" Unternehmen. Die neuen Eigentümer sind blind gegenüber sozialen Verhältnissen, und Unternehmen sind für sie eine Ware wie jede andere. Wie funktioniert der neue Finanzmarkt-Kapitalismus?



Von Paul Windolf
Prof. Dr. Windolf ist Soziologe an der Universität Trier und forscht derzeit am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Er hat 2005 einen Sammelband zum Phänomen des Finanzmarkt-Kapitalismus herausgegeben.
paul.windolf@wiko-berlin.de


Im Mai 2005 musste der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse AG, Werner Seifert, von seinem Posten zurücktreten. Er hatte sich mit einer Gruppe von Investment-Fonds, die sich kurzfristig in die Deutsche Börse eingekauft hatten, nicht über die strategische Ausrichtung des Unternehmens einigen können. Dieser Konflikt illustriert beispielhaft, wie das Regime funktioniert, das wir als Finanzmarkt-Kapitalismus bezeichnen.

Es ist hierzulande relativ neu. Noch vor wenigen Jahren kontrollierten die deutschen Banken die Frankfurter Börse und bestimmten die Musik, die dort gespielt wurde. 1999 hielten die deutschen Privatbanken 54 Prozent des Aktienkapitals der Deutschen Börse, 17 Prozent lagen bei den öffentlich-rechtlichen Kreditinstituten. Als letzte Großaktionärin verkaufte die Deutsche Bank im Oktober 2004 ihre Anteile an der Deutschen Börse. Seither befindet sich die Deutsche Börse AG zu 93 Prozent im Besitz von Investment- und Hedge-Fonds - mithin jener "Heuschrecken", die in Deutschland zum Wappentier des neuen Regimes geworden sind.

Wie die Fonds die Bedingungen diktieren

Diese neuen Eigentümer konfrontierten im März 2005 das Management der Deutschen Börse mit einer Reihe von Forderungen: Die Deutsche Börse solle ihr Kaufangebot an die Londoner Börse zurückziehen und ihre liquiden Mittel an die Aktionäre, die Investment-Fonds, ausschütten. Der Vorstandsvorsitzende Werner Seifert und der Aufsichtsratsvorsitzende Rolf Breuer sollten zurücktreten. Bis Ende 2005 waren diese Forderungen erfüllt: Damit demonstrierten die neuen Eigentümer, dass sie sich im Konfliktfall durchsetzen und das Management zum Rücktritt zwingen können.

Niemand hatte die deutschen Banken gezwungen, ihre Anteile an der Frankfurter Börse zu verkaufen und damit die Kontrolle über einen für sie wichtigen Markt an die neuen Eigentümer abzutreten. Sie haben es getan, weil sie selbst zu zentralen Akteuren im Regime des Finanzmarkt-Kapitalismus geworden sind und weil sie ein Musterbeispiel an "Shareholder-Value" vorführen wollten. Insofern tragen die Krokodilstränen, die Werner Seifert in seinem Buch "Invasion der Heuschrecken" über sich selbst und seinen Mitstreiter Rolf Breuer vergießt, nur wenig zur Analyse des Falls bei. Die deutschen Banken hätten wissen können, was passiert, wenn man die Kontrolle über den deutschen Aktienmarkt an Investment-Fonds veräußert. Sie haben den Wandel nicht nur geduldet, sie haben ihn selbst herbeigeführt.

Zentral: das Verhältnis von Eigentum und Kontrolle

Damit tragen sie selbst zur Ablösung des traditionellen Manager-Kapitalismus bei. Auch der war in den USA groß geworden mit dem Vormarsch der Kleinaktionäre. 1930 hatte der Telekomriese AT&T 470 000 Aktionäre, die US-Steel Corporation hatte 183 000 Aktionäre. Hunderttausende von Eigentümern sind nicht mehr in der Lage, ihr Verhalten zu koordinieren und tatsächlich Kontrolle über ein Unternehmen auszuüben. Daher war die Macht des Eigentums über die Großunternehmen im Regime des Manager-Kapitalismus erheblich eingeschränkt.

Dies hat sich seit Beginn der 70er Jahre zunächst in den USA und in Großbritannien, seit einem Jahrzehnt auch in Frankreich und in Deutschland verändert. In den USA halten die Investment- und Pensionsfonds inzwischen 60 Prozent der Aktien an den 1000 größten US-Unternehmen; allein 40 Prozent sind in den Händen der zwanzig größten Fonds.

Im Vergleich mit den Fonds waren die Kleinaktionäre relativ stabile und genügsame Eigentümer, die die Manager nicht zur Profitmaximierung antrieben und von ihnen auch ungestraft ignoriert werden konnten.

Dagegen stehen die neuen Eigentümer der Unternehmen - die Fonds- und Moneymanager - in harter Konkurrenz gegeneinander. Sie konkurrieren um die Einlagen des Publikums. Je höher die Rendite, die sie für ihre Kunden erwirtschaften, umso größer sind die Finanzmittel, mit denen sie sich kurzfristig in große Aktiengesellschaften einkaufen können. Diese Konkurrenz treibt die Investment-Fonds dazu, immer höhere Renditeforderungen an die Unternehmen zu stellen. In dieser Weise wird die Rendite-Konkurrenz, der die Fonds-Manager auf den Finanzmärkten ausgesetzt sind, auf die Unternehmen übertragen.

Als Eigentümerin des DWS-Fonds ist die Deutsche Bank ein treibender Akteur im Konkurrenzkampf; als Aktiengesellschaft, die sich zu 69 Prozent im Besitz von Fondsgesellschaften befindet, ist sie selbst "Opfer" dieser Konkurrenz und muss ihre Eigenkapitalrendite auf 25 Prozent hochschrauben.

Exit und voice: die Macht der Fonds

Worauf beruht die Macht der Investment-Fonds? Als Eigentümer der Aktiengesellschaften können sie ihre Eigentumsrechte (property rights) uneingeschränkt geltend machen. Dabei bilden sie - im Unterschied zu den Kleinaktionären - eine relativ kleine Gruppe, die ihr Verhalten untereinander koordinieren kann.

Investment-Fonds können die beiden Strategien "exit" und "voice" kombinieren. Da jeder einzelne Investment-Fonds nur relativ kleine Anteile an einer Aktiengesellschaft hält - selten mehr als drei bis vier Prozent - können sie glaubhaft drohen, ihre Anteile zu verkaufen (exit); damit würde der Aktienkurs des Unternehmens sinken. Mit dieser Drohung im Hintergrund können sie sich mit Forderungen an das Unternehmen bzw. das Management wenden und dieses zwingen, ihre Forderungen zu erfüllen (voice).

Dies erklärt, warum der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Börse AG den Manager des Children's Investment Fund, Christopher Hohn, mit einem Dienstwagen vom Flughafen Frankfurt abholen lässt. Und dies erklärt auch, warum Werner Seifert die Forderungen eines Eigentümers erfüllen muss, dessen Namen er wenige Monate zuvor noch nicht kannte. Die Deutsche Börse wurde zum Opfer eines Regimes, dessen Vorzüge sie selbst unaufhörlich propagiert.

Am Fall der Deutschen Börse zeigt sich die neue Macht des Eigentums: Eine Gruppe von Investment-Fonds, die im Durchschnitt weniger als 18 Monate Eigentümer eines Unternehmens sind, kann das Management zwingen, eine auf langfristige Entwicklung angelegte Geschäftsstrategie aufzugeben und stattdessen die kurzfristigen Renditeforderungen der Eigentümer zu erfüllen (Auszahlung von Cashflow).

Ganz gleich, ob die Strategie der Deutschen Börse - die Fusion mit der London Stock Exchange - sinnvoll war und sich langfristig bewährt hätte, es geht hier um eine andere Frage: Kann das Regime des Finanzmarkt-Kapitalismus als ökonomisch "rational" bezeichnet werden, wenn es diesem Typus von Eigentümern so weit reichende Einflusschancen auf die Strategien großer Unternehmen einräumt? Die Investment-Fonds haben bis zu zweihundert verschiedene Unternehmen in ihrem Portfolio, und sie halten diese Beteiligungen nur kurze Zeit - im Durchschnitt weniger als zwei Jahre.

Keine Bindung an die Mitbestimmung

m Großunternehmen des Industriezeitalters, das nicht von den Eigentümern (Aktionären), sondern von professionellen Managern kontrolliert wurde, ließen sich relativ schnell Kompromisse und Verträge mit der Belegschaft aushandeln. Auch die Manager sind Angestellte, vielfach stimmen die Interessen der Manager und der Belegschaft überein. Daher wird die Mitbestimmung in den meisten Fällen als ein effizientes Instrument des Interessenausgleichs akzeptiert.

Im Finanzmarkt-Kapitalismus findet eine Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten der neuen Eigentümer statt. In den großen Aktiengesellschaften wird die Trennung von Eigentum am Unternehmen und Kontrolle des Unternehmens tendenziell wieder aufgehoben. Die Eigentümer versuchen, direkten Einfluss auf die Firmen auszuüben und das Management ausschließlich auf die Eigentümerinteressen zu verpflichten (Shareholder-Value). Diese Eigentumsrechte sind keinen Regeln unterworfen, wie dies für die Manager-Bürokratie gilt, und sie sind auch nicht an Traditionen oder Brauch gebunden, wie dies noch für das Regime des Familien-Kapitalismus im ausgehenden 19. Jahrhundert galt.

Damit kann das Eigentum zum Vehikel blinder Konkurrenz werden. Die Investment-Fonds identifizieren sich mit keinem Unternehmen, in das sie kurzfristig investieren. Als externe Akteure sind sie auch an keine impliziten Verträge gebunden, die sich - im Sinne vertrauensvoller Kooperation - zwischen Management und der Belegschaft im Laufe der Zeit entwickeln.

Es wäre jedoch ein Irrtum zu glauben, dass die Investment-Fonds die Verhältnisse des Manchester-Kapitalismus wieder einführten. Sie sind der Transmissionsriemen einer blinden Konkurrenz, die auf globalen Finanzmärkten herrscht, und sie übertragen diese Konkurrenz in die Unternehmen. Ihre Forderung lautet nicht, zehn Prozent der Belegschaft zu entlassen, sondern den Gewinn um zehn Prozent zu steigern. Wie man dieses Ziel erreicht, bleibt dem Management überlassen.

Risiken werden Arbeitnehmern aufgebürdet

Erträge des Unternehmens, die den Aktionären zufließen, schwanken üblicherweise im Konjunkturverlauf. Die Aktionäre erhalten eine hohe Dividende, wenn das Geschäft gut läuft, in Zeiten der Krise gehen sie leer aus. Fonds-Manager versuchen, dieses unternehmerische Risiko der Aktionäre zu reduzieren und das so bezeichnete Residualeinkommen der Aktionäre in eine fixe Größe zu verwandeln. Wenn in jedem Jahr 25 Prozent Eigenkapital-Rendite erwirtschaftet und an die Investment-Fonds ausgeschüttet werden müssen, stellt sich die Frage, wer dann das Risiko konjunktureller Schwankungen trägt.

Hier beobachten wir parallel zu den steigenden Eigenkapital-Renditen eine Flexibilisierung des Faktors Arbeit. Es findet nicht nur eine Umverteilung des Einkommens statt, es findet auch eine Umverteilung des unternehmerischen Risikos von den Eigentümern auf die Beschäftigten statt.

Der Markt für Unternehmenskontrolle

Auf dem Markt für Unternehmenskontrolle werden Unternehmen als Ganze gekauft und verkauft. Unternehmen werden zu einer Ware wie jede andere Ware. Der Preis, der für ein Unternehmen gezahlt wird, orientiert sich unter anderem an der Eigenkapital-Rendite. Unternehmen mit einer hohen Rendite erzielen hohe Verkaufspreise; damit sinkt aber tendenziell ihre Rendite. Unternehmen mit einer geringen Rendite werden verramscht; damit steigt ihre Eigenkapital-Rendite.

Wichtige Akteure auf diesem Markt sind zum einen die großen Konzerne. Sie verkaufen ihre Tochtergesellschaften, die nicht mehr zu ihrem Kerngeschäft passen oder die eine zu geringe Rendite erwirtschaften. Als Käufer treten immer häufiger auch Private Equity Funds (PE) oder Hedge Funds auf, die diese Unternehmensteile restrukturieren und nach relativ kurzer Zeit weiterverkaufen oder an der Börse platzieren.

Häufig durchlaufen Unternehmen innerhalb kurzer Zeit mehrmals diesen Zyklus von Kauf, Restrukturierung und Verkauf (siehe Seite 20). Auch hier sind es die Unternehmen, die erhebliche Risiken tragen, da die Private Equity Funds kaum Eigenkapital einbringen; in der Regel werden zwischen 80 und 90 Prozent des Kaufpreises durch Kredite finanziert, die als Schuldenlast dem übernommenen Unxternehmen aufgebürdet werden. Fast immer wird von den PE-Fonds das Führungspersonal ausgetauscht, damit gehen auch für die Arbeitnehmerseite kontinuierliche Ansprechpartner verloren.

Diese Unternehmens-Transaktionen werden in der Regel im Netzwerk der Beratungsindustrie vorbereitet. Dort arbeiten Investment-Banken, Rechtsanwaltskanzleien, Kreditbanken und Unternehmens-Beratungsfirmen Hand in Hand, und sie alle stellen relativ hohe Honorare in Rechnung. Diese Transaktionskosten, die bei jedem Verkauf erneut anfallen, werden ebenfalls dem Cashflow des Unternehmens entzogen.

Die Beteiligungs- und Beratungsindustrie fordert vom Management der Aktiengesellschaften eine Konzentration auf das Kerngeschäft. Mischkonzerne werden in den Ratings abgestraft. Die Begründung lautet, dass Unternehmen, die als Konglomerat in verschiedenen Branchen tätig sind, nicht kompetent und effizient geführt werden können. Schauen wir uns im Hinblick auf dieses Argument die Liste der Firmen an, die sich Anfang 2006 im Portfolio von KKR befanden: Chemetall, Auto-Teile-Unger, Demag (Krane), M&S Mode, Stabilus (Gasfedern), Sachtleben (Chemie), Hunkemöller (Wäsche), VSM (Nähmaschinen), Willis (Versicherungsmakler), das Duale System Deutschland (Entsorgung). Man kann sich kaum vorstellen, dass so unterschiedliche Unternehmen vom KKR-Management sachkundig geführt werden können.

Feindliche Übernahmen als Drohgebärde

Die Machtlosigkeit der Kleinaktionäre gegenüber einem selbstherrlichen Management war in keinem Industrieland so weit entwickelt wie in den USA. Daher ist es nicht überraschend, dass sich in den USA zuerst eine Gegenbewegung formierte. Mit den ersten feindlichen Übernahmen haben "Raider" wie Mike Milken und Carl Icahn vorgemacht, wie man den "Elefanten das Tanzen lehrt".

Feindliche Übernahmen sind eine radikale Innovation des Finanzmarktes und markieren in gewisser Weise den Anfang vom Ende der Managerherrschaft. Der "Raider" wendet sich mit seinem öffentlichen Angebot an das Publikum, das die Aktien eines Unternehmens hält, und versucht, es mit einem höheren Kurs zum Verkauf seiner Aktien zu bewegen (Prämie). Häufig entscheiden die Investment-Fonds darüber, ob eine feindliche Übernahme abgelehnt wird oder erfolgreich ist. Daher haben sie ein großes Interesse daran, dem Management Abwehrstrategien zu untersagen.

Der spektakulärste Fall war in Deutschland die feindliche Übernahme von Mannesmann durch Vodafone im Jahre 2000. Feindliche Übernahmen müssen jedoch nicht tatsächlich durchgeführt werden, um eine disziplinierende Wirkung zu entfalten. Die Manager von börsennotierten Unternehmen wissen: Unternehmen, die dauerhaft gegen die Prinzipien des Finanzmarktes verstoßen und sich den Interventionen der Investment-Fonds widersetzen, müssen damit rechnen, dass sie durch sinkende Kurse abgestraft werden; die sind wiederum ein potenzieller Anreiz für einen "Raider", der eine feindliche Übernahme organisiert und das Management bei Erfolg entlässt.

Feindliche Übernahmen sind ein wirksamer Mechanismus, das Management zu zwingen, der Logik der Finanzmärkte zu folgen. Aufgrund der potenziellen Bedrohung durch eine feindliche Übernahme wird der Aktienkurs eines Unternehmens zum zentralen Fixpunkt jeder unternehmerischen Strategie. Verstärkt wird diese Tendenz durch Aktienoptionen. Manager können ihr Einkommen um ein Vielfaches steigern, wenn sie es schaffen, den Börsenkurs ihres Unternehmens - und sei es auch nur kurzfristig - über eine bestimmte Marke zu heben. Die spezifische Rationalität der Finanzmärkte wird auf diese Weise in die Unternehmen übertragen und sie wird zum dominanten Kriterium, an dem sich die Strategien der Manager orientieren.




Verhalten koordinieren
Das "acting in concert" ist allerdings nur beschränkt möglich. Wenn eine Gruppe von Investment-Fonds, die zusammen 30 Prozent oder mehr des Aktienkapitals halten, ihr Abstimmungsverhalten koordiniert, ist sie gezwungen, den übrigen Aktionären ein öffentliches Übernahme-Angebot zu unterbreiten. Am 15.10.2005 gab die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) bekannt, dass sie im Fall der Deutschen Börse ein "acting in concert" der beteiligten Investment-Fonds nicht nachweisen könne.



Raider
nennt man einen "Firmenpiraten", der versucht, ein Unternehmen feindlich zu übernehmen, zu zerschlagen und auszuplündern. Mike Milken und Carl Icahn sind Pioniere der Firmenpiraterie, die Ende der 70er Jahre zu einflussreichen Investmentbankern wurden. Milken wurde im März 1989 des organisierten Verbrechens und des Wertpapierbetrugs angeklagt und zu zehn Jahren Haft verurteilt. Nicht lange danach wurde die Praxis der "Raubvögel", wie sie sich selbst nannten, an der Wall Street gesellschaftsfähig (siehe dazu Reinhard Blomert: "Die Habgierigen", München 2003).



Zum Weiterlesen
Paul Windolf (Hrsg.): Finanzmarkt-Kapitalismus: Analysen zum Wandel von Produktionsregimen. Wiesbaden VS-Verlag, 2005, 516 Seiten. Sonderband 45 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie mit zahlreichen Aufsätzen zum Thema.






Eine Ware wie jede andere
Das Unternehmen "Frans Bonhomme" wurde viermal an Finanzinvestoren verkauft - das Ergebnis ist eine drückende Schuldenlast. Die Finanzpoker würden - so sie gelingen - Rentnern in Großbritannien zugute kommen.

* Das französische Unternehmen "Frans Bonhomme" - ein Großhändler für Plastikrohre und Installationen - wurde zwischen 1994 und 2005 insgesamt viermal an Private-Equity-Fonds verkauft, berichtet Le Monde am 25.10.2005. Im Fall Bonhomme kennen wir Zahlen über die Käufe und Verkäufe in der Beteiligungsindustrie, die sonst nur selten publiziert werden.

* 1994 wurde Frans Bonhomme an den Fonds Partenaires Gestion (Investmentbanken Lazard/Apax) für 180 Millionen Euro verkauft.

* 2000 kauften die Finanzinvestoren/Fonds PAI, Cinven und Astorg das Unternehmen für 390 Millionen Euro.

* 2003 ging Bonhomme an Apax und die Investmentbanken Goldman Sachs und Barclays für 520 Millionen Euro.

* 2005 wurde das Unternehmen erneut an den Eigenkapitalfonds Cinven weitergereicht für 900 Millionen Euro.

Das französische Unternehmen hatte 2004 einen Umsatz von 538 Millionen Euro, beschäftigte 1800 Mitarbeiter und hat zirka 720 Millionen Euro Schulden.

Das Beispiel lässt erstens die spekulative Spirale erkennen, in der nicht nur Aktien, sondern ganze Unternehmen ge- und verkauft werden. Es zeigt auch: Frans Bonhomme wird eine längere konjunkturelle Krise wahrscheinlich nicht überleben, da die Schulden zu hoch sind.

Heute gehört Bonhomme dem Eigenkapitalfonds Cinven; er wurde 1977 gegründet und ist eine Abkürzung für Coal Investment in Venture-Capital. Aus einer Pressemitteilung von Cinven erfahren wir Details über das "Netzwerk", in dem die Transaktion 2005 abgewickelt wurde: Die Kredite für die Übernahme hat die Royal Bank of Scotland bereitgestellt - wahrscheinlich mehr als 80 Prozent der Kaufsumme; die Beratungsfirma war Freshfields Bruckhaus Deringer - eine international tätige Rechtsanwaltskanzlei mit über 2500 Rechtsanwälten. Das Management wurde ausgetauscht, und der neue Chef heißt Michel Pic.

Das Eigenkapital für den Unternehmenskauf im letzten Jahr wurde vom Third Cinven Fund geliefert. Hinter diesem Fund stehen unter anderem der British Coal Pension Fund, British Railways Pension und Barclays Bank Pension Fund. Wir können die Kapitalkreisläufe hier aus der Nähe beobachten: Die Pensions-Fonds investieren ihre Mittel teilweise am Aktienmarkt, zum Teil reichen sie die liquiden Mittel an die Private Equity/ Hedge Funds weiter - die wiederum aus ihren kurzfristigen Beteiligungen, den Unternehmen, Renditen von
20 bis 25 Prozent herausholen (wollen). Letztlich hängt die Chance von britischen Arbeitnehmern, eine gute Rente zu beziehen, davon ab, ob der Finanzpoker um die Firma Frans Bonhomme gelingt oder in einem Desaster endet.

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