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Illustration Magazin Mitbestimmung

Zukunft des Verkehrs: Blick ins Jahr 2050

Ausgabe 01/2023

Wie werden wir Mobilität organisieren? Der Blick in die Zukunft ist schwer. Wir haben es versucht – und lassen Menschen aus Wissenschaft und Praxis zu Wort kommen. Von Jeannette Goddar, Kay Meiners und Fabienne Melzer

Anfang der 2000er Jahre dachten die Menschen, dass uns 2050 Autos von ganz allein chauffieren. Doch wie immer ging alles viel langsamer voran. Auf einigen ausgewählten Strecken in den Metropolen rollen seit ein paar Jahren nur noch autonome Fahrzeuge. Selbstständiges Ein- und Ausparken, Abstand halten oder Hindernissen ausweichen gehören in jedem Fahrzeug dazu, der Anteil, den sie automatisch erledigen, ist deutlich gestiegen.

Lange haben wir aber an der Sicherheit geknackt. „Zero Impact“ bedeutet ja: keine Verletzten und Toten. Wir wurden von Jahr zu Jahr besser, bauten Sicherheitssysteme ein, die die Fahrzeuge bei Störungen automatisch aus dem Verkehr ziehen. Dennoch, bei Zero Impact sind wir immer noch nicht. Es sind nun mal menschengemachte Systeme. Es bleibt eine winzige Wahrscheinlichkeit, dass sie ausfallen. Und je mehr von ihnen unterwegs sind, desto mehr Todesfälle wird es auf der Straße geben. Manche belastet es, ein Programm zu schreiben und sicher zu wissen, dass es eine bestimmte Zahl an Menschen umbringen wird. Aber es treibt uns auch an, immer besser zu werden.

Seit während der Fahrt viel automatisch läuft, haben die Menschen mehr freie Zeit. Um den Zugang zu den Menschen während der Fahrt läuft daher schon seit einigen Jahren ein harter Wettbewerb zwischen Unterhaltungs- und Internetriesen und den Fahrzeugherstellern. Einige Hersteller arbeiten inzwischen mit Bildungsträgern zusammen, die Lerneinheiten zu Fremd- und Programmiersprachen, Mathematik und vielem mehr für kurze und längere Fahrten entwickelt haben. Andere kooperieren mit Filmstudios und Produktionsfirmen.

In der Produktion hat sich vieles verändert. Heute arbeiten viel mehr Menschen in der Systementwicklung und Integration. Erst wenn alle Teile zusammengefügt wurden, zeigt sich, ob sie auch das tun, was sie tun sollen. Zwar simulieren wir heute vieles vorab am Computer und erleben am Ende weniger Überraschungen. Doch der Praxistest ist immer noch die Stunde der Wahrheit. Viel Arbeit steckt auch in der Wartung und Reparatur der Systeme. Noch können Maschinen sich nicht selbst reparieren. Wer weiß, vielleicht kommt das auch irgendwann.

Stefan Henze, Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Softwareschmiede und VW-Tochter Cariad

 

  • Illustration Kurze Wege

Auf dem Land und in der Stadt sind die meisten Gebiete, in denen Menschen wohnen, autofrei, und kurze Wege zur nahe gelegenen Grundversorgung, zum nächsten ÖPNVPunkt oder dem nächsten Platz für geteilte E-Fahrzeuge werden zu Fuß oder mit dem Rad zurückgelegt. Fuß- und Radverkehr sind damit die erfolgreichsten Verkehrsarten.

Die Mobilitätskosten haben sich trotz steigender Energiepreise verringert, da die Menschen ihre Mobilität über Abos und nur für die eigentliche Leistung zahlen. Der 3-D-Druck hat den Güterverkehr stark reduziert. Eine Pflicht zur Reparierbarkeit von Produkten und eine Abschaffung der industriellen Landwirtschaft hat die weltweiten Warenströme auf ein Minimum zurückgefahren.

Die Ver- und Entsorgung der Wohn- und Geschäftshäuser läuft automatisiert, geräuschlos und über Nacht. Durch all diese Maßnahmen konnte die Zahl der Straßen und vor allem der Autobahnen reduziert und ein großer Teil zurückgebaut und die Flächen renaturiert werden.

Entgegen der Visionen einiger hat sich die Mehrheit der Menschen gegen den flächendeckenden Einsatz von Drohnen zum Transport von Menschen und Waren ausgesprochen – diese werden lediglich im Rettungs- und Notfalldienst eingesetzt. Der innereuropäische Flugverkehr ist durch ein abgestimmtes und leistungsfähiges Schienennetz mit Nachtzügen überflüssig geworden und wurde gänzlich eingestellt.

Antje von Broock, Bundesgeschäftsführerin Politik und Kommunikation beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)

  • Illustration Industrieroboter

Das Auto wird sich so entwickeln wie einst das Pferd – zu etwas, was Menschen sich als Hobby halten. Die meisten 14- bis 28-Jährigen lehnen schon heute ab, mehrere Stunden Auto zu fahren. Denn am Steuer können sie nicht auf ihr Smartphone schauen. Es ist eine Frage der Zeit, bis es einer Mehrheit absurd erscheint, selbst zu fahren.

Eine Stadt wie Berlin zeigt bereits heute, wo es hingeht: Gleich nehme ich ein Carsharing-Auto zu einem Vor-Ort-Termin. Anschließend buche ich mir ein Leihrad, um schnell zu einer Regionalbahn nach Potsdam zu kommen. So stelle ich mir jeden Tag einen Mobilitätsmix zusammen, der zu meinen jeweiligen Bedürfnissen passt. Bis in die 2040er Jahre wird auch der ländliche Raum, in dem es heute ohne Auto kaum geht, mit flexibel nutzbaren Verkehrsmitteln versorgt sein.

Zwischen großen Umschlagpunkten werden viele Menschen in Zügen oder S-Bahnen hin und her fahren, etwa zwischen Düsseldorf und Köln, München und Frankfurt, Berlin-Köpenick und Berlin-Spandau. Alle anderen Verbindungen und die sogenannte „erste und letzte Meile“ von und zu einem Umschlagspunkt decken kleine Verkehrsmittel ab. Vor allem in ländlichen Räumen wird das immer häufiger ein Robotaxi sein, also ein Auto oder Kleinbus, der ohne Fahrer kommt.

Ob wir allein oder in Gruppen reisen, wird vor allem davon abhängen, welchen Preis wir zahlen können und wollen. Auch in der Arbeitswelt müssen immer seltener viele Menschen zur gleichen Zeit an den gleichen Ort. Organisiert wird die Mobilität komplett digital. Wenn wir morgens in unsere Mails schauen, buchen wir Fahrten, soweit wir sie absehen können, gleich mit. Statt zwei, drei oder vier benötigen wir dazu nur noch eine einzige App.

Wie beim Mobilfunk suchen wir uns einen Anbieter aus, der zu uns passt. Über diesen greifen wir weltweit auf Verkehrsmittel und -betriebe zu. Und am Monatsende kommt für alles eine einzige, digitale Rechnung.

Andreas Knie, Co-Leiter der Forschungsgruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)

  • Illustration E-Mobilität

Machen wir uns nichts vor: Ein Geschäftsmodell, das jährlich 70 Millionen Autos auf den Markt wirft, hat keine Zukunft. Wenn wir die Klimaziele erreichen wollen, brauchen wir weniger Autos. Zumal die Vorherrschaft des privaten Autos sozial ungerecht ist. Sie benachteiligt heute all jene, die sich kein Auto leisten oder es nicht fahren können.

Das wird 2050 Geschichte sein. In den Städten werden deutlich weniger Autos fahren, aber jedes einzelne wird von viel mehr Menschen genutzt werden. Der elektrische Antrieb hat sich durchgesetzt. Für den Klimaschutz bringt das allerdings wenig, da ein Auto – ob Elektro- oder Verbrennermotor – allein durch die Gewinnung der Rohstoffe und die Herstellung 20 Tonnen CO2 produziert. Daher brauchen wir viel mehr öffentlichen Nah- und Fernverkehr.

Wir werden in Deutschland deutlich weniger Autos produzieren. Gleichzeitig steigt die Produktion in China. Das Verhältnis wird kippen, und China wird mehr Autos nach Europa exportieren als wir nach China. Das VW-Werk Kassel in Baunatal gibt es 2050 noch. Allerdings arbeiten dort dann noch zwischen 8000 und 10 000 Menschen – im Gegensatz zu heute 15 000 Beschäftigten. In diesem Werk wird es Tarifverträge, angemessene Löhne und Arbeitszeiten geben.

Wie es bei den Mobilitätsdienstleistungen weitergeht, ist für mich noch nicht entschieden. Im Moment gründen die Autohersteller Dienstleistungsunternehmen außerhalb von Tarifbindung und Mitbestimmung. Es kommt auf die Gewerkschaften an, das zu verhindern. Ein Arbeitsplatzproblem haben wir 2050 nicht. Denn in einem öffentlichen Nah- und Fernverkehr, der allen Mobilität ermöglicht, brauchen wir viel mehr Arbeitskräfte.

Heute schaut kaum jemand, wo und unter welchen Bedingungen unsere Rohstoffe aus der Erde gerissen werden. Die Ausbeutung des Planeten rächt sich inzwischen. Wenn wir das nicht ändern, brauchen wir nicht mehr über Arbeitsbedingungen diskutieren, denn auf einem toten Planeten gibt es keine Arbeit.

Carsten Bätzold, bis November 2022 Betriebsratsvorsitzender bei VW Kassel in Baunatal

  • Illustration Fernverkehr

Im Jahr 2050 ist die Autoindustrie geschrumpft, es werden jetzt weniger Fahrzeuge produziert, die aber stärker diversifiziert sind. Die Beschäftigung im Mobilitätssektor ist gewachsen, allerdings mit einem steigenden Dienstleistungsanteil.

Die Koppelung einst getrennter Sektoren wie Energieerzeugung und Verkehr zu ganz neuen Wertschöpfungsketten schreitet voran. Denn elektrische Verbraucher wie E-Autos sind zugleich Energiespeicher. Der Staat und die Energiekonzerne haben in Verkehrsbauwerke und in eine moderne elektrische Infrastruktur investiert, deren Sanierung und Ausbau bei einer insgesamt schrumpfenden Bevölkerung Daueraufgaben sind. Die Wirtschaft hat neue Geschäftsmodelle entwickelt, die auf dezentrale Kooperationen setzen – etwa mit Energiegenossenschaften.

Das hat Folgen: Konsumenten können als Investoren in die regionale Energieproduktion einsteigen und dafür Dividenden in Form von Mobilitätsdienstleistungen erhalten. Die Gewerkschaften diskutieren neue Organisationsstrukturen entlang dieser Wertschöpfungsketten, etwa die Gründung einer Gewerkschaft für Energie und Mobilität. Dezentrale und plattformbasierte Geschäftsmodelle und ein höherer Dienstleistungsanteil fordern die Gewerkschaften heraus.

Weert Canzler, Co-Leiter der Forschungsgruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)

  • Illustration Flugtaxi

Auch in 20 Jahren werden Menschen von Hamburg nach München fliegen, von Frankfurt nach San Francisco sowieso, selbst wenn die Nachfrage auf kürzeren Strecken zurückgeht. Außerhalb Europas wird der Flugverkehr weiter zunehmen. In Ländern, die noch nicht so lange im Wohlstand leben, gibt es großen Nachholbedarf.

Die Kurzstrecken, also etwa alle innerdeutschen Verbindungen, sollten wir bis dahin mit grüner Energie zurücklegen, wenn die Rahmenbedingungen dafür geschaffen sind. 2035 hat sich Airbus als Ziel für das erste Wasserstoffflugzeug gesetzt. Technologisch dürfte das klappen. Bleibt die Frage, woher der Wasserstoff kommt - bereits jetzt erleben wir ja, dass er von Namibia bis Neufundland eingekauft wird.

Der Wasserstoff muss flüssig transportiert werden, wofür sehr große, isolierte Tanks benötigt werden. Vermutlich wird so ein Flug von Hamburg nach München dann nur noch 100 statt 200 Passagiere mitnehmen. Auf der Mittel- und Langstrecke ist das Fliegen mit Wasserstoff – erst recht mit Batterien, die viel zu schwer sind – auf absehbare Zeit unrealistisch. Dort werden Verbrennungsmotoren bleiben. Ändern wird sich allerdings der Treibstoff.

Der Airbus A320 fliegt schon heute mit bis zu 50 Prozent Kraftstoffen, die nicht auf Rohöl basieren. Auch hier ist das größte Problem, die Mengen zu beschaffen, die benötigt werden. Damit verknüpft ist die Frage, was Fliegen künftig kostet und wer sich das noch leisten kann.

Christian Klempert, Sprecher des Engineering-Ausschusses des Betriebsrats und Mitglied des Konzernbetriebsrats bei Airbus Operations in Hamburg

  • Illustration Dienstleister auf Rädern

Im Jahr 2050 kann ich mir nicht mehr vorstellen, dass Menschen früher an manchen Orten ohne ein eigenes Auto gar nicht wegkamen. Der Gedanke, dass ich erst einmal Tausende Euro für ein Auto zahlen muss, um mich fortzubewegen, erscheint mir absurd und ungerecht. Heute lebt kein Mensch weiter als zwei Kilometer vom nächsten Mobi-Knoten entfernt. Mobi-Knoten sind ähnlich den früheren Bahnhöfen, nur dass verschiedene Verkehrsmittel hier nahtlos ineinandergreifen und jeder sie sich leisten kann.

Meine Koffer muss ich nicht mehr selbst schleppen. Größere Stücke holt die Bahn bei mir zu Hause ab und bringt sie zu meinem Ziel. Kleineres Gepäck kann ich am Drop-off-Point abgeben. Seit wieder an jedem Zug ein Gepäckwaggon hängt, sind die Wagen viel gemütlicher. Niemand versperrt mehr mit einem großen Koffer einen Sitz oder muss das schwere Stück mühsam ins Gepäcknetz wuchten.

Die Bahn hat sich mittlerweile zu einem Dienstleister auf Rädern entwickelt. Reisende können mit dem Ticket einen Friseurtermin im Figaro-Express buchen, um sich während der Fahrt frisieren zu lassen. Berufspendler können nach der Arbeit beim Bahn-Yoga abschalten, und Geschäftsleute treffen sich zu Besprechungen im Zug, da sich ihre Strecken meist ohnehin ein Stück überschneiden. Hierfür können sie vorab ein Talk-and-roll-Abteil buchen.

Nur fliegen kann die Bahn nach wie vor nicht. Dafür – vor allem nach Übersee – steigen wir immer noch ins Flugzeug, das allerdings jetzt mit Biosprit und ganz autonom fliegt. Überhaupt hat die künstliche Intelligenz in den vergangenen Jahrzehnten rasante Sprünge und den Verkehr viel sicherer gemacht. Seit er nicht mehr menschengesteuert ist, gibt es viel weniger Unfälle. Und obwohl jetzt niemand mehr Züge, Autos oder Flugzeuge steuert, arbeiten mehr Menschen bei der Bahn. Wir kümmern uns heute viel mehr darum, was die Reisenden brauchen.

Mila-Joy Alonzo, Bundesjugendleiterin der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG)

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