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Magazin Mitbestimmung

: Blick hinter verschlossene Türen

Ausgabe 10/2006

Wie beurteilen Arbeitnehmervertreter im Aufsichstsrat die Entscheidungsfindung in dem Kontrollgremium? Neue Forschungsergebnisse zeigen: Eine offene, am Konsens orientierte Diskussionskultur ist der Normalfall.



Von Ulrich Jürgens und Inge Lippert
Prof. Dr. Jürgens leitet die Forschungsgruppe Wissen, Produktionssysteme und Arbeit am Wissenschaftszentrum Berlin. Dr. Lippert ist Geschäftsführerin der Intercase Innovationsforschung und assoziierte Mitarbeiterin dieser Forschungsgruppe.


Entscheidende Voraussetzung für eine effiziente Aufsichtsratsarbeit ist die umfassende und rechtzeitige Information der Aufsichtsratsmitglieder über die aktuelle Situation und die Entwicklungstendenzen im Unternehmen. Eine erste Studie im Jahr 2004 hatte deutlich gemacht, dass die leitenden Angestellten vor allem bei der rechtzeitigen Informationsversorgung noch einen erheblichen Verbesserungsbedarf sehen. Insbesondere Informationen, die für die Beratungsaufgabe des Aufsichtsrats von Bedeutung sind, würden häufig so spät zur Verfügung gestellt, dass eine genaue Prüfung vor der Aufsichtsratssitzung nicht mehr möglich wäre.

Dieser Problemdruck wird von dem erweiterten Personenkreis der neuen Erhebung, die sich auf alle Arbeitnehmergruppen im Aufsichtsrat bezieht, als wesentlich geringer wahrgenommen. Die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmervertreter gab an, dass die Informationen in allen wichtigen Bereichen - Prüfbericht/ Jahresabschluss, Informationen zu Geschäften von besonderer Bedeutung und Informationen zu allgemeinen Risiken und Chancen des Unternehmens - ein bis zwei Wochen vor der Aufsichtsratssitzung vorliegen.

Offen und kontrovers

Bei der Frage, ob sich die Informationsversorgung des Aufsichtsrats mit der Einführung neuer gesetzlicher Regelungen und des Corporate Governance Kodex verbessert habe, zeigen sich hingegen größere Unterschiede. Während 48 Prozent der Befragten den neuen Regelungen einen förderlichen Einfluss auf die Qualität der Information und Kommunikation im Aufsichtsrat zuschrieben, konnte der größere Teil von 52 Prozent einen solchen Einfluss nicht erkennen. Die leitenden Angestellten hatten hier ein wesentlich positiveres Bild gezeichnet: 60 Prozent waren der Meinung, dass sich die Informationsversorgung seit Einführung des Corporate Governance Kodex leicht verbessert habe, und 18 Prozent sahen eine klare Verbesserung.

Die Ergebnisse der ersten Befragungsrunde stehen der These, dass in deutschen Aufsichtsräten nicht offen und kontrovers diskutiert werde, deutlich entgegen. Immerhin 47 Prozent der Befragten beschrieben die Diskussionskultur in ihrem Aufsichtsrat so, dass regelmäßig offene, auch kontroverse Diskussionen geführt werden. 50 Prozent waren der Meinung, dass dies zwar eher selten vorkomme, aber grundsätzlich möglich sei. Nur eine kleine Minderheit von drei Prozent sah eine offene und kontroverse Diskussion in Aufsichtsratssitzungen prinzipiell als ausgeschlossen an.

Ein Blick auf die Inhalte der Kontroversen und Konflikte im Aufsichtsrat zeigt, dass sich Auseinandersetzungen in den Aufsichtsräten überwiegend an Fragen zur Unternehmensstrategie entzünden. Weitere Konfliktthemen von hoher Bedeutung sind die Schließung von Standorten, die Abspaltung von Unternehmensteilen und die Personalentwicklung. Weniger häufig gestritten wird hingegen über die Höhe der Dividende, das Risikomanagement bei Investitionen und die Akquisition von Unternehmen. Die geringere Bedeutung dieser Themen als Konfliktpunkte kann allerdings auch damit erklärt werden, dass sie für viele Aufsichtsräte, insbesondere in abhängigen Unternehmen, weniger relevant sind.

Bei der Konfliktlösung werden nach Auffassung der Arbeitnehmervertreter überwiegend kooperative Wege beschritten. In 84 Prozent der Fälle dominiert die Konsensbildung. Konfrontative Konfliktlösungen durch Mehrheitsentscheidungen finden ebenso wie die Vermittlung durch den Aufsichtsratsvorsitzenden eher selten statt. Eine Konfliktlösung durch Ziehen der Doppelstimme kommt in der überwiegenden Zahl der Fälle nie vor. Von der Möglichkeit, Entscheidungen per Stimmenmehrheit gegen die Interessen der Arbeitnehmerseite durchzusetzen, wird somit in der Praxis kaum Gebrauch gemacht.

Wissen und Kompetenzen

Eine zentrale Fragestellung ist, welche Wissenspotenziale deutsche Aufsichtsräte für ihre Überwachungs- und Beratungsarbeit mobilisieren können. Die leitenden Angestellten hatten in diesem Zusammenhang die Vorzüge einer breiten Wissensbasis in paritätisch besetzten Aufsichtsräten unterstrichen: Jeder der im Aufsichtsrat vertretenen Gruppen wurde ein spezifisches Kompetenzprofil mit klaren Stärken bescheinigt, das von anderen Gruppen nicht ohne Weiteres zu ersetzen ist.

Dieses Bild wird auch durch die neue Studie bestätigt. Auf der Arbeitnehmerseite wurden den betrieblichen Arbeitnehmervertretern besondere Stärken in den Bereichen Wissen über Humanressourcen und internes Organisationswissen bescheinigt. Als spezifische Stärken der Gewerkschaftsvertreter wurden Politikwissen und rechtliches Wissen angegeben. Als die größten Stärken der leitenden Angestellten wurden internes Organisationswissen sowie Markt- und Kundenwissen genannt. Auf der Anteilseignerseite zeichnen sich nach bisherigen Befunden demgegenüber andere Schwerpunkte des Wissens ab.

Bei den internen Anteilseignern - ehemalige und jetzige Vorstandsmitglieder aus Unternehmen des Konzerns - dominiert das Markt- und Kundenwissen gefolgt von Branchen- und Konkurrenzwissen, betriebswirtschaftliches Wissen, Technologie- und Innovationswissen sowie Wissen über die Funktionsweise des Kapitalmarkts. Bei den externen Anteilseignern - Vertreter von Banken und institutionellen Investoren, aber auch Vertreter von Unternehmen, Kunden, Regulierungsbehörden sowie aus Politik, Wissenschaft oder Verwaltung - konzentrierten sich die meisten Nennungen auf die Bereiche Wissen über die Funktionsweise des Kapitalmarkts und betriebswirtschaftliches Wissen.

Fasst man die Ergebnisse zusammen, so sprechen die angegebenen Kompetenzprofile für eine insgesamt breite Abdeckung aller relevanten Wissensarten in den untersuchten Aufsichtsräten. Die Arbeitnehmervertreter sprechen der gegenwärtigen Form der paritätischen Mitbestimmung offensichtlich eine große Stärke im Hinblick auf die Wissens- und Kompetenzbasis in deutschen Aufsichtsräten zu. Im Umkehrschluss ergibt sich aus den Ergebnissen, dass die Herauslösung einer der Gruppen aus dem Aufsichtsrat eine empfindliche Lücke in der Wissensrepräsentanz der Aufsichtsräte aufreißen würde.

Die Auswertung der bisherigen Daten weist aber auch auf deutlich kritische Stimmen der Arbeitnehmervertreter zum deutschen Mitbestimmungssystem hin. Nach den notwendigen Veränderungen gefragt, ergab sich folgendes Bild: In der Liste der zu verändernden Aspekte stechen die Qualifizierung der Aufsichtsratsvertreter und die Forderung nach einer gesetzlichen Festlegung eines Mindestkatalogs der zustimmungspflichtigen Geschäfte hervor. Immerhin 20 Prozent der befragten Arbeitnehmervertreter plädieren auch für eine Modifizierung der Mitbestimmung durch Vereinbarungen. Die Ergebnisse zeigen, dass über die Richtung der Reformen im deutschen Mitbestimmungssystem auch innerhalb der Arbeitnehmerseite durchaus unterschiedliche Auffassungen bestehen.

 


Die Studie
Im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung untersuchen Forscher am Wissenschaftszentrum Berlin unter Leitung von Ulrich Jürgens die deutschen Aufsichtsräte. Befragt wurden 3165 Arbeitnehmervertreter aus Aufsichtsräten, die dem 76er Mitbestimmungsgesetz unterliegen. Die Zwischenergebnisse, die hier vorgestellt werden, beziehen sich zu 56,2 Prozent auf betriebliche Arbeitnehmervertreter, zu 32,9 Prozent auf Gewerkschaftsvertreter und zu 10,9 Prozent auf die Vertreter leitender Angestellter. Die Untersuchung ist Nachfolger des WZB-Projektes "Arbeit und Wissen im Aufsichtsrat" aus dem Jahre 2004, das die leitenden Angestellten im Aufsichtsrat untersucht (Magazin Mitbestimmung 4/2005).

 


Zum Weiterlesen
Ulrich Jürgens/Inge Lippert: Kommunikation und Wissen im Aufsichtsrat - Voraussetzungen und Kriterien guter Aufsichtsratsarbeit aus der Perspektive leitender Angestellter. Studie in Kooperation mit dem Deutschen Führungskräfteverband. WZB-Discussion Paper, SP III 2005 - 301. Berlin 2005

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