Quelle: Benjamin Jenak
Magazin MitbestimmungBetriebsräte-Preis: Besseres Schichtmodell für 15 000 Beschäftigte
Lange hat der Telekom-Betriebsrat an einem besseren Schichtmodell gebastelt. Jetzt haben die Beschäftigten im Kundenservice mehr Zeit für Familie und Hobby. Von Andreas Schulte
Wie bringt man die Interessen von Tausenden Beschäftigten möglichst unter einen Hut? Thomas Götze weiß es. Es herauszufinden hat ja auch immerhin sieben Jahre gedauert. „Als wir angefangen haben, waren gefühlt fast alle mit ihren Einsatzzeiten unzufrieden“, sagt der Sprecher des Arbeitskreises Arbeitszeit im Gesamtbetriebsrat der Deutschen Telekom. Alle, das sind bundesweit 15 000 Beschäftigte im Kundenservice. In mehr als 50 verschiedenen Einsatzgruppen beraten sie aus dem Callcenter oder von zu Hause telefonisch oder per Mail und Chat. Die Telekom verspricht Erreichbarkeit an 365 Tagen im Jahr, rund um die Uhr. Klar, dass ein solches Versprechen von den Beschäftigten einiges an Flexibilität verlangt.
Doch der erforderlichen Flexibilität standen drei recht starre Rahmenschichtpläne gegenüber, sogenannte Pakete. „Als sich allmählich das Kundenverhalten änderte, hin zu mehr Anrufen am Wochenende und zu späteren Tageszeiten, funktionierte dieses Modell nicht mehr“, erklärt Götze. Die Anrufenden verbrachten zunehmend längere Zeiten in der Warteschleife, viele Beschäftigte wiederum empfanden das Paketmodell als ungerecht. „Beides wollten wir als Betriebsrat nicht, denn der Arbeitgeber hätte notwendige neue Einsatzzeiten mit Outsourcing abfangen können“, sagt Götze. Gesucht wurde ein Schichtmodell, „das die Kundenbedürfnisse und die Wünsche der Kolleginnen und Kollegen nach größtmöglicher Planungssicherheit bei den Einsatzzeiten vereint“.
Ein Jahr dauerte es, bis auch der Arbeitgeber überzeugt war. „Wir haben Gespräche angeboten, aber ein durchdachtes Modell hatten wir nicht gleich in der Tasche“, erinnert sich Götze. Betriebsräte, Vertreterinnen und Vertreter der Fachausschüsse, Arbeitgebervertreter aus der Personalabteilung, der IT und der Einsatzplanung sowie eine externe Expertin für die Prozessgestaltung gingen für fünf Tage in Klausur. „Wir wollten von Beginn an möglichst viele Beteiligte einbinden, um Klagen zu vermeiden, nachdem das neue Modell bereits steht“, sagt Götze.
Schichtmodell im Baukastensystem
Die Grundidee: In einem Baukastensystem können sich die Beschäftigten ihren Schichtplan selbst zusammenstellen. Das soll mehr Raum für regelmäßige Termine für Familie oder Hobby schaffen. Allerdings müssen die Beschäftigten Mindestanforderungen einhalten, die die Erfüllung der Kundenbedürfnisse garantieren. So wird etwa gewährleistet, dass es den gewohnten Telekomservice auch an Brückentagen gibt.
Nach jedem Zwischenergebnis wurde getestet, ob sich die Ideen in die Praxis umsetzen lassen. Dazu wurden Beschäftigte aus verschiedenen Segmenten des Kundenservices immer wieder über Telefonkonferenzen in den Prozess eingebunden. Am Ende der Woche stand ein Prototyp.
„Meine 100 Prozent“ heißt das neue Modell, das in Workshops über das gesamte Jahr 2019 zurechtgefeilt wurde und für das der Betriebsrat für den Deutschen Betriebsräte-Preis 2024 nominiert wurde und im Rahmen des Deutschen Betriebsrätetags Anfang November den Sonderpreis „Arbeitszeit gemeinsam gestalten“ erhielt. Das Prinzip: Verschiedene Einsatzzeiten haben innerhalb der 60 Schichten eines Zwölfwochenplans unterschiedliche Wertigkeiten. Wer etwa eine bei den meisten Beschäftigten unbeliebte Spätschicht wählt, erhält dafür mehr Prozentpunkte als für eine frühe Schicht. Eine Flex-Schicht mit kurzfristig durch den Arbeitgeber angesetztem Arbeitseinsatz bringt noch mehr
Punkte. „Es war klar, dass wir die Bereitschaft zur Übernahme ungeliebter Schichten belohnen müssen, damit in der Gesamtheit alle Zeiten dem Bedarf entsprechend belegt werden“, sagt Götze.
Mit dem Erreichen von 100 Prozent ist der Dienstplan eines Beschäftigten erfüllt. Doch man kann auch mehr als 100 Prozent ansammeln. Dadurch erhält man Vergünstigungen wie zum Beispiel einen „Jokertag“. Der berechtigt dazu, einen freien Tag kurzfristig nehmen zu können. Eine andere Variante: Prozente werden im sogenannten Prämienshop eingetauscht, etwa gegen Gutscheine fürs Tanken oder Einkaufen.
Götze sieht große Vorteile des neuen „Meine 100 Prozent“-Modells: „Wer privat regelmäßige Termine hat, etwa ein abendliches Sporttraining am Donnerstag, kann an diesem Tag immer eine Frühschicht wählen.“ Zudem ist bei jeder Schicht Gleitzeit garantiert. Das Modell kommt gut an. Nur fünf Prozent der Beschäftigten im Kundenservice verzichten auf die individuelle Zusammenstellung ihrer Schichten. Sie erhalten den altvertrauten, standardisierten Schichtplan.
Deutlich weniger Beschwerden
Seit April 2023 verbessert „Meine 100 Prozent“ die Arbeitsbedingungen der Telekom-Servicebeschäftigten. Die technische Umsetzung übernahmen IT-Fachleute der Telekom. Thomas Götze erhält nun deutlich weniger Beschwerden über die ungünstige Verteilung von Schichten.
Eine Dauerbaustelle ist „Meine 100 Prozent“ dennoch. Ständig überprüft der Betriebsrat anhand von Interviews, ob die Beschäftigten weiterhin zufrieden sind oder ob sie Ideen zur Verbesserung haben. Auch Veränderungen in der Organisation des Kundenservices muss der Betriebsrat berücksichtigen. „Erst kürzlich haben wir eine neue Einsatzgruppe hinzubekommen“, sagt Götze. „Deren Schichten müssen wir natürlich erst einmal einpassen.“
Mindestens zehn Jahre, so hofft er, soll das neue Modell veränderlichen Marktbedingungen trotzen. Dann wäre es – in unserer schnelllebigen Zeit – ein echter Dauerbrenner.
Mehr zum Betriebsräte-Preis 2024:
Der Deutsche Betriebsräte-Preis wird im Rahmen des Deutschen Betriebsrätetags am 7. November in Bonn verliehen. Aus 60 Bewerbungen wurden zwölf Projekte nominiert, darunter das Projekt "Meine 100 Prozent" des Betriebsrats der Deutschen Telekom.
Mehr über die nominierten Betriebsräte auf der Seite des I.M.U. zum Betriebsräte-Preis 2024
Das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung der Hans-Böckler-Stiftung bietet ein Archiv mit zahlreichen Betriebsvereinbarungen.