Quelle: Karsten Schöne
Magazin MitbestimmungDigitalisierung: Besser mit Beteiligung
Der Anlagenbauer Achenbach Buschhütten ist das älteste inhabergeführte Unternehmen in NRW. Nicht von gestern ist die Firmenkultur. Mitbestimmung wird ernst genommen. Von Andreas Molitor
André E. Barten hat so seine Erfahrungen gemacht, dass „gut gemeint“ in manchen Fällen das Gegenteil von „gut“ ist. Als er vor zehn Jahren in die damals noch allein von seinem Vater geleitete Firma einstieg, ließ er eine neue Fertigungshalle bauen. Der Geschäftsführer des Anlagenbauunternehmens Achenbach Buschhütten wendet den Blick von seinem Teller – die Betriebskantine offeriert an diesem Tag Schnitzel Wiener Art – und zeigt in Richtung der Halle. Der alte Bau, „das war so ein in die Jahre gekommenes, öliges Loch, ganz furchtbar“. Wie sehr werden die Mitarbeiter sich freuen, wenn sie in den schönen Neubau einziehen können, dachte Barten. Nur, die Leute, die dort arbeiten sollten, hatte niemand nach ihrer Meinung gefragt. Und so kam es, wie es kommen musste: Statt Dankbarkeit erntete der Juniorchef eine Menge Kritik. „Die Leute fanden immer wieder Gründe, warum die neue Halle nichts taugt.“ Heute weiß Barten, was der Fehler war: „Es war, als hätte jemand Ihren Lieblingssessel weggeschmissen und einen Designersessel hingestellt, ohne Sie zu fragen.“
So etwas würde ihm heute nicht mehr passieren. Weil Barten, der das Familienunternehmen mit rund 450 Mitarbeitern in achter Generation leitet, ein Chef ist, der aus Fehlern lernt. Und weil bei Achenbach Buschhütten, dem Weltmarktführer für Aluminium-Feinband- und Folienwalzwerke aus dem Siegerland-Städtchen Kreuztal, ein anderer Geist weht als noch vor zehn Jahren: kooperativ, beteiligungsorientiert, das Ohr an den Mitarbeitern. Kein Projekt – auch keines, das nicht mitbestimmungspflichtig ist und wo Barten nach alter Schlotbaron-Art durchregieren könnte – wird mehr an der Belegschaft und am Betriebsrat vorbei auf die Schiene gesetzt. Kürzlich war eine ähnliche Situation entstanden wie seinerzeit bei der Fertigungshalle: Eine neue Ausbildungswerkstatt ist im Bau, die Zwischenzeit muss in einem Provisorium überbrückt werden. Wer wurde Projektleiter bei der Planung der Behelfswerkstatt? Ein Auszubildender. Er sorgte dafür, dass die Meinung der Azubis Gehör fand. Trotz beengter Platzverhältnisse gelang es, Menschen und Maschinen gut unterzubringen. Nichts musste nachträglich umgebaut werden. Nach dem gleichen Muster wird jetzt die endgültige Ausbildungswerkstatt geplant.
Frühzeitig die Digitalisierung planen
Auch vor dem Werkstor von Achenbach Buschhütten lauert das Gespenst der Digitalisierung. Wann sie mit Wucht über das Unternehmen hereinbricht, scheint nur eine Frage der Zeit. „Wir haben eine lange Zündschnur“, sagt Personalchef Phillip Ebach, „aber irgendwann kommt der große Knall.“ Doch Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind entschlossen, den Wandel gemeinsam zu gestalten. Der Betriebsratsvorsitzende Daniel Wollny mag es anschaulich: „Wir liegen hier nicht in den Schützengräben und schießen aufeinander.“
Die guten Beziehungen zwischen Arbeit und Kapital sind nicht vom Himmel gefallen. Achenbach zählt zu jenen rund 30 Betrieben aus Nordrhein-Westfalen, die bei „Arbeit 2020“ mitmachen, einem Gemeinschaftsprojekt der IG Metall NRW, der IG BCE Nordrhein, der NGG NRW und des DGB NRW. Management und Betriebsräte der teilnehmenden Unternehmen verpflichten sich, die durch den digitalen Wandel anstehenden Veränderungen gemeinsam anzugehen. „Tragfähige und nachhaltige Zukunftslösungen“, verkündet Projektleiterin Gabi Schilling von der IG Metall NRW das Credo von „Arbeit 2020“, „können nur gemeinsam mit Beschäftigten und Betriebsrat erarbeitet werden.“ Der Gegner, sagt auch Personalchef Ebach, „steht nicht im eigenen Unternehmen, sondern außerhalb – bei Wettbewerbern in fernen Ländern. Wir sollten an einem Strang ziehen, um ihm zu begegnen.“
Bei so viel Gemeinsamkeit verschwimmen mitunter ein wenig die altvertrauten Konturen. Wo es im Unternehmen Konflikte zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat gebe? Betriebsratschef Daniel Wollny, langjähriges Mitglied der IG Metall, muss nachdenken. Ein Beispiel für einen handfesten Disput fällt ihm auf Anhieb nicht ein. „Konflikt“ findet er ohnehin zu hoch gegriffen. „Unterschiedliche Interessenlagen“ passe besser. „Uns eint das gemeinsame Ziel, dieses Unternehmen zukunftsfest zu machen, und auf dieses Ziel schauen wir halt aus verschiedenen Brillen.“ Und, wichtig: „Wir befinden uns auf jeden Fall auf Augenhöhe mit der Geschäftsführung.“
Einigung beim Thema Arbeitszeiten
Vor gut zwei Jahren unterzeichneten Barten und Wollny eine gemeinsame Vereinbarung. Das war der Startschuss zur Teilnahme an „Arbeit 2020“. In der Zwischenzeit wurden etliche Projekte angestoßen. Zum Beispiel die neue Arbeitszeitregelung. Mit der alten Regelung waren viele Beschäftigte unzufrieden. Es gab einseitige Anweisungen, Hinterzimmerabsprachen, Zettelwirtschaft, „ein fürchterliches Chaos“, erinnert sich Wollny.
Dann wurde ein Projektteam aus vier Arbeitnehmer- und drei Arbeitgebervertretern zusammengestellt. Der Personalchef und der Betriebsratsvorsitzende liefen zwei Tage mit Flipcharts durch die Abteilungen, alle Beschäftigten wurden befragt. Die neuen Regeln mit flexibleren Gleitzeiten und mehr Zeitsouveränität bei der Verteilung der Wochenarbeit auf die einzelnen Tage konnte, so Wollny, „zwar nicht alle Wünsche erfüllen“, aber es gab kein unzufriedenes Geraune.
So läuft es bei jedem neuen Projekt. „Hier sind 400 Expertinnen und Experten“, preist Wollny den Geist von „Arbeit 2020“, „die alle darauf brennen, ihre Erfahrung einzubringen.“ Für André E. Barten hat die Sache noch einen anderen Clou: Die Zusammenarbeit mit der Arbeitnehmerseite nimmt Druck vom Kessel. „Wir treffen eine Vereinbarung mit dem Betriebsrat – und da müssen sich dann alle dran halten. Ich muss nicht mit jedem einzelnen Mitarbeiter reden. Wenn Betriebsrat und Unternehmen auf Beteiligung setzen, ist das Ergebnis umso zukunftsfester.“
Neue Kultur, neue Produkte
Das älteste inhabergeführte Unternehmen in NRW, dessen Wurzeln bis ins Jahr 1452 zurückreichen, ist bestens aufgestellt. Die Auftragsbücher sind voll; erst kürzlich wurden noch Leute eingestellt. Achenbach treibt die Digitalisierung selbst mit voran. Ein neues digitales Produkt, das Cloud-basierte Auswertungs- und Analysesystem Optilink, haben die Buschhüttener bereits im Portfolio. Mit der Software erhält der Kunde Zugriff auf sämtliche Daten seines Walzwerks oder seiner Folienschneidemaschine. Aber was wird in 20 Jahren sein? Wenn irgendwann mehr Machine-Learning-Lösungen verkauft werden als Maschinen, benötigt man dann noch klassische Metallfacharbeiter oder doch eher KI-Experten, die Algorithmen programmieren?
Das Thema Weiterbildung wird eine völlig neue Bedeutung bekommen. Auch hier sieht der Betriebsratschef Unternehmen, die auf Kooperation und Beteiligung setzen, klar im Vorteil. „Wenn es uns gelingt, die Beschäftigten frühzeitig zu beteiligen, dann wird Qualifizierung als Chance angesehen. Das geht nur im Dialog, nicht im Diktat.“ Etliche der Themen, die Arbeitgeber, Betriebsrat und Belegschaft in den vergangenen zwei Jahren gemeinsam angepackt haben, scheinen mit Digitalisierung nicht viel zu tun zu haben. Arbeitszeit und Lehrlingswerkstatt standen auch ohne digitalen Wandel auf der Agenda. Demnächst kommen die Maschinenlaufzeiten, die Personalplanung und die Regelung für Abwesenheitszeiten aufgrund von Dienstreisen und Montagen an die Reihe. Geschäftsführer André E. Barten mag nicht bei jedem gemeinsamen Projekt krampfhaft nach einem Digitalisierungsbezug suchen. Für ihn ist Digitalisierung ein Synonym für Veränderung: „Über die Digitalisierung als Vehikel kann man den kulturellen Wandel im Unternehmen vorantreiben.“ Auch da ist er sich mit dem Betriebsratschef einig. „Digitalisierung und Beteiligung können nicht getrennt voneinander betrachtet werden“, findet Daniel Wollny. „Ohne Beteiligung können die Potenziale der Digitalisierung nicht vollständig genutzt werden.“
Achenbach Buschhütten soll auch in Zukunft ein attraktiver Arbeitgeber sein. Im Bereich der Arbeitsagentur Siegen liegt die Arbeitslosenquote bei traumseligen 4,0 Prozent; die Betriebe in der Region müssen mehr bieten als einen sicheren Job. „Wenn ich einem unserer jungen Mitarbeiter sage: Hör mal, dein Opa und dein Uropa waren schon hier, jetzt sei dankbar, dass du auch hier arbeiten darfst“, sagt Barten, „dann sagt der nicht ehrfürchtig: Ja, natürlich, Herr Barten, schönen Dank. Wenn er wirklich gut ist, legt er mir noch am gleichen Tag die Kündigung auf den Tisch.“
Literatur
Jürgen Dispan/Martin Schwarz-Kocher: Digitalisierung im Maschinenbau. Entwicklungstrends, Herausforderungen, Beschäftigungswirkungen, Gestaltungsfelder im Maschinen- und Anlagenbau. Working Paper Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung 94, 2018