Von NORMAN BIRNBAUM: Aus Trumps Amerika (5): Kolumne von Norman Birnbaum
Kolumne Die Umfragen sind vielversprechend, und die Senatorin von Massachusetts wirbt für ein Mitbestimmungsgesetz. Derweil unterstützen Teile der Gewerkschaften Trumps Zollpolitik.
Von NORMAN BIRNBAUM
Sind die Umfragewerte zu gut, um wahr zu sein? Vor den Zwischenwahlen in den USA am 6. November sehen die Umfragen die Demokraten klar vorn. Das gesamte Repräsentantenhaus ist neu zu besetzen, und die Demokraten müssen mindestens 25 Sitze hinzugewinnen, um in der Mehrheit zu sein. Im Senat, wo die Republikaner eine Mehrheit von zwei Senatoren haben, stehen 35 der 100 Sitze zur Wahl. Die Demokraten müssen 26 davon verteidigen, viele davon in Bundesstaaten, in denen Trump 2016 gewann.
Eine Reihe wichtiger Gouverneurssitze steht ebenfalls zur Wahl. Gouverneurssitze und die Parlamente der Bundesstaaten sind wichtig: Sie entscheiden über Wahlen, sie legen fest, wer wahlberechtigt ist und ziehen die Grenzen der Wahlkreise für den Kongress. Derzeit halten die Republikaner 33 von 50 Gouverneurssitzen, während die Demokraten in nur acht Bundesstaaten gleichzeitig den Gouverneur und die Mehrheit im Parlament stellen.
Die Umfrageergebnisse und die Medienberichte sind eindeutig. Die Demokraten haben sehr gute Aussichten, wieder die Mehrheit im Repräsentantenhaus zu erlangen, und könnten womöglich gar den Senat zurückgewinnen. Die Gouverneurssitze in wichtigen Bundesstaaten – Florida und Georgia im Süden sowie Colorado, Maryland, Michigan und Ohio in anderen Landesteilen – scheinen in Reichweite zu sein. Landesweit spürt man zunehmende Ablehnung für Trump. Auf nationaler Ebene kommen die Republikaner auf 40 Prozent. Trumps vulgäres Auftreten, seine Angriffe auf Zuwanderer, seine Kampagnen gegen die Nachrichtenmedien, die unverhohlene Korruption vieler seiner führenden Amtsträger, all das nährt die Angst vieler Bürger, dass ihm die Werte der Freiheit und des Pluralismus fremd sind.
AUS TRUMPS AMERIKA
So heißt unsere neue Kolumne, in der Norman Birnbaum, 92, Soziologe, Politikberater und Senior Fellow der Hans-Böckler-Stiftung, regelmäßig Entwicklungen der US-amerikanischen Politik erklärt und kommentiert.
Viele Bürger sind angesichts seiner Sprunghaftigkeit und der improvisierten Außenpolitik, seiner Missachtung verbündeter Nationen – nicht zuletzt unserer Nachbarn Kanada und Mexiko – und seines Stellvertreter-Militarismus besorgt. Das Chaos im Weißen Haus schockiert die Eliten und die Öffentlichkeit gleichermaßen. Insbesondere Frauen stellen ein großes Potenzial von Anti-Trump-Wählern dar. Aktuell wird Trumps Kandidaten für den Obersten Gerichtshof, Richter Kavanaugh, eine versuchte Vergewaltigung vorgeworfen.
Inzwischen ist Kavanaugh als Oberster Richter vereidigt, aber die Kontroverse diente als Ansporn für die Demokraten, ihre Mobilisierung im Wahlkampf über alle Klassen-, Kultur- und ethnischen Grenzen hinweg zu verstärken. Auch bei den Jungwählern könnte die Wahlbeteiligung diesmal höher ausfallen. Jede dieser Gruppen hat ganz neue demokratische Bewerber für die Wahlen zum Kongress und für staatliche Stellen aufgestellt, die bei den Vorwahlen beachtliche Erfolge verzeichnen konnten. Dies musste unweigerlich zu Konflikten in der Demokratischen Partei führen, da die eingefahrene alte Garde das Nachsehen hatte. Aber haben die Demokraten der Nation eine neue Politik zu bieten, die über die Ablehnung von Trump hinausgeht?
Die extrem rückschrittliche Steuergesetzgebung Trumps, die zu großen Defiziten führt, und sein Marktprimitivismus haben viele Demokraten veranlasst, über die reine Verteidigung der etablierten Aspekte des US-amerikanischen Sozialstaats hinauszugehen. Viele setzen sich für eine allgemeine Krankenversicherung ein – eine Ausweitung der staatlichen Krankenversicherung für Senioren auf den Rest der Bevölkerung.
Auch kostenloser Zugang zur Hochschulbildung gehört neuerdings zu den Vorhaben der Demokraten. Viele Bewerber fordern einen deutlich höheren bundesweiten Mindestlohn. Die Senatorin Elisabeth Warren aus Massachusetts, die sich 2020 von ihrer Partei für die Präsidentschaftswahlen aufstellen lassen möchte, hat sogar ein US-Gesetz vorgeschlagen, das sich am deutschen Mitbestimmungsgesetz von 1976 orientiert. Sie schlägt vor, dass große Unternehmen 40 Prozent ihrer Sitze im Board of Directors Arbeitnehmervertretern einräumen sollten.
Die Rückeroberung eines Teils der Regierungsverantwortung ist eine Vorbedingung dafür, dass die demokratische Partei das neue, historische Projekt sorgsam entwickeln kann. Inzwischen können wir die Obama-Regierung als letzte Verkörperung des taumelnden Progressivismus der schwindenden weltweiten Vorherrschaft der USA einordnen. Trump hat zerstört, was vom modernen Republikanismus übrig war. Er hat außerdem den Weg für die Demokraten bereitet, ihre Sicht der politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten gründlich zu überdenken.
Es fällt auf, dass der erwartete Sieg der Demokraten in erheblichem Maße auf dem vorübergehenden Vorteil basiert, der aus der Fahnenflucht vieler Republikaner gegenüber „ihrer“ Partei resultiert. Es ist noch auffälliger, dass die gewerkschaftlich organisierte Arbeiterklasse in den Bundesstaaten Pennsylvania, Michigan, Wisconsin und Ohio in großen Teilen Trump weiter die Treue hält. Der Gewerkschaftsdachverband AFL-CIO und die UAW unterstützen seine Zollpolitik; die Arbeitslosigkeit ist gering, und große Teile der Arbeiterklasse befremdet Trumps Verhalten nicht.
Dies könnte sich durchaus auf den Wahlausgang in wichtigen Bundesstaaten auswirken und den Demokraten Enttäuschungen bescheren. Es ist in jedem Fall ein großes Problem für die Zukunft des amerikanischen Progressivismus, der schärfere Konturen annehmen wird, sollten die Demokraten tatsächlich gewinnen.