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Magazin Mitbestimmung

Online: Auf Sendung

Ausgabe 11/2014

Das Internet wird auch für die Öffentlichkeitsarbeit von Betriebsräten immer wichtiger. Sie erreichen über das Netz nicht nur Beschäftigte, sondern auch Manager und Journalisten. Im Konfliktfall haben sie damit einen Kanal mit einer hohen Schlagkraft. Von Andreas Kraft

Wenn bei Amazon Streik ist, so wie Ende Oktober, schnellen die Zugriffszahlen in die Höhe – auf 50 000 Klicks am Tag. Auf dem Amazon-Blog von ver.di diskutieren die Beschäftigten dann miteinander: wie viele sich an dem Streik beteiligen, ob Amazon die deutschen Niederlassungen ins Ausland verlagern könnte, ob der Tarifvertrag für den Einzel- und Versandhandel für Amazon gelten sollte. In den Nutzerkommentaren auf dem Blog hagelt es viel Kritik – an der Gewerkschaft und an den ver.di-Betriebsräten. Aber es gibt auch viel Zustimmung für den Kampf um Tarifverhandlungen mit dem Online-Händler. Doch nicht nur die Beschäftigten verfolgen die Seite, auch Journalisten recherchieren dort. Die Arbeitnehmervertreter bei Amazon haben so einen direkten Draht zu den Medien.

Doch auch Amazon verfolgt den Blog aufmerksam. „Manchmal stelle ich mir vor“, sagt Andreas Gangl, der seit ein paar Monaten am Blog mitarbeitet, „dass mein Gesicht in Seattle auf der Dartscheibe von Jeff Bezos hängt.“ Der Amazon-Chef ist dafür bekannt, dass ihm die Rechte der Arbeitnehmer nicht all zu wichtig sind. Im Mai wählte ihn der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) zum schlechtesten Chef der Welt. Doch sein Konzern gehört neben Google, Apple und Facebook zu den Größen im Onlinegeschäft. Amazon hat den Handel weltweit umgekrempelt. Immer wieder klagen Einzelhändler darüber, dass Kunden sich in ihren Läden beraten lassen und die Waren dann online bestellen. So ist der Internetriese weltweit zum schärfsten Konkurrenten von Buchläden, Boutiquen und Warenhäusern geworden.

Vielleicht erklärt das, warum Amazon den Konflikt mit ver.di und den Beschäftigten in Deutschland mit einer derartigen Vehemenz führt. Die Gewerkschaft fordert, dass das Unternehmen den Tarif für den Einzel- und Versandhandel anwendet. Amazon blockt das öffentlich immer wieder ab, lässt den Versandhandel unter den Tisch fallen und behauptet: Man sei Logistiker. So entsteht in der Öffentlichkeit der Eindruck, der Konflikt drehe sich nur darum, welcher Tarif jetzt am besten zu Amazon passt. Dass der Internetriese gar nicht bereit ist, überhaupt über Löhne und Arbeitsbedingungen zu verhandeln, geht meist unter. Mit ihrem Blog können die Beschäftigten das aber immer wieder in Erinnerung rufen.

Wer bei Google nach „Amazon Blog“ sucht, findet als zweiten Treffer die Seite der Beschäftigten. Besser schneidet nur das Blog des Unternehmens ab. „Die Seite hat das Unternehmen als Antwort auf unser Blog aufgesetzt“, sagt Stefan Najda, der bei der ver.di-Bundesverwaltung für den Versand- und Onlinehandel zuständig ist. Amazon zeichnet sich dort in netten Imagefilmen als vorbildlichen Arbeitgeber. „Aber eine Kommentarfunktion gibt es nicht“, sagt Najda. Dabei gehöre das zu einem Blog doch dazu. „Wir lassen bei uns ja auch die Kritik stehen, auch wenn wir manchmal den Eindruck haben, dass die Beiträge nicht wirklich echt sind, sondern vom Social-Media-Team des Unternehmens kommen.“ 

ÖFFENTLICHER DRUCK ALS WAFFE

Ver.di-Sekretär Najda sammelt seit Jahren Erfahrungen in Sachen Öffentlichkeitsarbeit über das Internet. Er sagt aber bescheiden: „Wir stecken da noch in den Kinderschuhen.“ Angefangen hat bei ver.di alles mit dem Blog beim Weltbild-Verlag – vor gerade mal fünf Jahren. Dem Betriebsrat des Verlags reichte das Schwarze Brett nicht mehr aus. Er wünschte sich eine Plattform, auf der er die Beschäftigten informieren kann, die aber auch Raum für Diskussionen liefert. „Die Kollegen dort haben wirklich Pionierarbeit geleistet“, sagt Najda, „und weil alles von Anfang an öffentlich war, haben sie damit eine enorme Schlagkraft entfaltet.“ (Siehe Interview mit Weltbild-Betriebsrat Timm Boßmann, Seite 16.)

Das Internet hat die Öffentlichkeit auch für Arbeitnehmervertreter enorm verändert: Während früher Betriebsräte immer erst ein Medium finden mussten, das ihre Botschaft in die Welt trägt, können sie heute über das Internet ganz einfach selbst auf Sendung gehen. Dabei wird jede ihrer Aussagen google­bar. Wer sich etwa als Kunde für die Arbeitsbedingungen bei Amazon oder Weltbild interessiert, kann Informationen im Internet finden – eben weil sich die Betriebsräte die Arbeit mit ihren Blogs gemacht haben. Für die Arbeitgeber wird es damit immer schwieriger, schlechte Arbeitsbedingungen, die dem Image des Unternehmens schaden können, vor den Kunden zu verbergen. Gewerkschafter und Betriebsräte hoffen daher darauf, dass der öffentliche Druck letztlich dafür sorgt, dass die Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten besser werden.

KANAL IN DIE CHEFETAGE

Dass das wirklich funktionieren kann, weiß etwa Norbert Lamm, Betriebsrat beim Automobilzulieferer Schaeffler. Die Zentrale im fränkischen Herzogenaurach hat vor ein paar Monaten ein neues Verwaltungsgebäude angemietet. Doch die Klimaanlage funktionierte nicht richtig: Die Angestellten klagten darüber, dass mitten im Hochsommer die Temperatur in den Büros bei gefühlten 15 Grad lag. Der Betriebsrat sprach die Probleme beim Management an, wurde aber vertröstet. Man habe „Abstimmungsschwierigkeiten mit dem Vermieter“. Schließlich schrieb Lamm einen Beitrag für das Beschäftigten-Blog, die „Schaeffler-Nachrichten“, die im Monat auf gut 250 000 Klicks kommen. „Der Vorstandsvorsitzende hat den Artikel gelesen, und plötzlich kam Bewegung in die Sache“, sagt Lamm. Als Druck aus dem Vorstand kam, sei alles sehr schnell gegangen. „Es wurden noch mal mehrere Zehntausend Euro in das sechsstöckige Gebäude investiert, und ein paar Wochen später waren die Probleme größtenteils behoben.“ Jetzt müssen die Angestellten nicht mehr frieren, auch an der Akustik in den Großraumbüros wurde einiges verbessert.

Gegründet wurden die „Schaeffler-Nachrichten“ 2006, in einer Zeit, als der Automobilzulieferer durch die Zukäufe von FAG und Continental immer größer wurde. Inzwischen beschäftigt die Schaeffler-Gruppe weltweit rund 76 000 Menschen. Die Internetseite des Betriebsrates soll vor allem dafür sorgen, dass die Beschäftigten sich darüber informieren können, was an den anderen Standorten gerade passiert. Auch die Arbeitnehmervertreter finden hier nützliche Informationen – und sei es nur die Telefonnummer von Kollegen. Und anscheinend schätzt auch der Vorstand die Seite. „Die finden es wohl ganz gut, einen Ort zu haben, an dem sie ungeschminkt erfahren können, was die Beschäftigten denken“, vermutet Lamm.

DRANBLEIBEN IST ZENTRAL

Dass Schaeffler da kein Einzelfall ist, zeigt auch der „Siemens-Dialog“. Die Internetseite – seit rund 15 Jahren online – ist inzwischen viel mehr als ein Blog. Sie ist ein Portal für die rund 360 000 Siemens-Beschäftigten weltweit, und dazu zählt auch der Vorstandsvorsitzende. So habe sich einmal der frühere Siemens-Chef Heinrich von Pierer nach einem Artikel gemeldet, erinnert sich Hagen Reimer, der als stellvertretender Pressesprecher der IG Metall Bayern die Seite betreut. Auch der heutige Vorstandsvorsitzende Joe Kaeser habe in seiner Zeit als Finanzvorstand ein Schreiben an den damaligen Bezirksleiter mit den Worten „Wie ich im Siemens-Dialog gelesen habe“ begonnen. Fast täglich erscheinen auf der Seite neue Artikel. „Indem wir die Seite die ganze Zeit am Laufen halten“, sagt Reimer, „haben wir im Konfliktfall, etwa bei einer Umstrukturierung, einen Kanal zu den Beschäftigten, ins Management und in die Öffentlichkeit.“

Ein Blog zu betreiben bedeutet also viel Arbeit. Eine Erfahrung, die auch der Daimler-Betriebsrat machen musste. Dort wurden vor gut vier Jahren an zwei großen Standorten interne Blogs geschaffen, auf die nur die Beschäftigten zugreifen können. Damit sollte eine neue Form der Beteiligung angeboten werden. „Wir erreichen darüber auch Beschäftigte, die nicht gewerkschaftsaffin sind und so gut wie nie auf eine Betriebsversammlung kommen“, sagt Silke Ernst, die Pressesprecherin des Daimler-Gesamtbetriebsrates. „Und bekommen von ihnen auch Rückmeldungen zu unserer Arbeit. Die Kommentare geben uns ein gutes Stimmungsbild zu den aktuellen Themen.“ Doch die Kommentarfunktion mache die Blogs mitunter pflegeintensiv. Angeheizt von wenigen sogenannten Trollen, also Nutzern, die mit aller Macht provozieren wollen, seien Diskussionen zu Artikeln vereinzelt auch entgleist. „Da müssen wir gelegentlich moderierend eingreifen und falsche Behauptungen richtigstellen oder fachliche Informationen liefern“, sagt Ernst. „Aber eigentlich haben wir dafür gar nicht die Kapazitäten.“ Auf direkte Gespräche, Versammlungen, Betriebszeitungen, Aushänge, Flugblätter könne man einfach nicht verzichten. Die neuen Kommunikationswege dürfe man aber auch nicht ignorieren, da sie durchaus Chancen zum Dialog mit der Belegschaft bieten.

Bei Amazon sind sich die Kollegen sicher, dass sich die Arbeit lohnt. Schließlich erreiche man die Beschäftigten besser als über das Schwarze Brett. Die Beiträge können sie in Ruhe zu Hause lesen und dann ihre Meinung dazu sagen. Aber vor allem hilft der öffentliche Druck im Kampf um einen Tarifvertrag. „Bei Ikea haben wir 13 Jahre gebraucht“, sagt ver.di-Sekretär Najda. „Ich bin optimistisch, dass es bei Amazon nicht ganz so lange dauert.“ Die Beschäftigten hätten in jedem Fall einen langen Atem. Die Planungen für den nächsten Streik laufen bereits – im Weihnachtsgeschäft werden dann vermutlich die Klickzahlen auf dem Blog wieder in die Höhe schießen.

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