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Arbeiter protestieren gegen die Arbeitsbedingungen in Kata Magazin Mitbestimmung

Fußball-WM: Auf eigene Faust

Ausgabe 05/2022

Von den Vorzeigebaustellen ließen sich internationale ­Gewerkschafter nicht blenden und recherchierten selbst die Arbeits­bedingungen auf den Stadienbaustellen der Fußballweltmeisterschaft in Katar. Seither hat sich dort einiges gebessert. Außerhalb der Stadien werden Menschen aber immer noch ausgebeutet. Von Annette Jensen

Monatelang hatten die Arbeiter bei sengender Hitze geschuftet. Als sie ihren Lohn forderten, landeten sie im Knast: Im August gingen Bilder von wütenden Arbeitern in Katar um die Welt. Die meisten von ihnen hat das Emirat in ihre Heimatländer abgeschoben. Jhapat Bahadur Gurung, Leiter der nepalesischen Gewerkschaft CAWUN (Construction and Allied Workers Union) und seine Kollegen versuchen, die im Land verstreuten Männer zu kontaktieren. Bei einem ähnlichen Fall im Frühjahr war das katarische Arbeitsministerium auf die Geprellten zugegangen und hatte die ausstehenden Löhne bezahlt. 

Die Trends im Emirat sind widersprüchlich: Einerseits werden Proteste kriminalisiert, andererseits intervenieren Verwaltungsstellen zugunsten von Arbeitsmigranten. Im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft gab es große arbeitsrechtliche Fortschritte. So hat der kleine Wüstenstaat das in vielen arabischen Ländern übliche Kafala-System abgeschafft. Dabei kassiert der Arbeitgeber die Pässe ein und bestimmt darüber, ob ein Beschäftigter den Job wechseln oder das Land verlassen darf. Seit März 2021 gibt es außerdem einen mageren, aber immerhin landesweit vorgeschriebenen Mindestlohn in Höhe von umgerechnet 275 US-Dollar monatlich. 

Nachts recherchiert
Diese Fortschritte sind zu einem Großteil der Zähigkeit und dem taktischen Geschick der Bau- und Holzarbeiter Internationalen (BHI) zu verdanken. Dietmar Schäfers, Vizepräsident der BHI: „Katar buhlt um eine Reputation als fortschrittlich, eloquent und modern – und wir haben immer deutlich gemacht, dass sich dafür die Bedingungen der Wanderarbeiter verbessern müssen.“ Nachdem sich die BHI bei der ILO beschwert hatte, Katar verstoße gegen das Verbot von Zwangsarbeit, wurde ihre Delegation ausgeladen. Die Gewerkschafter reisten trotzdem nach Doha und bekamen ein paar vorbildliche Baustellen vorgeführt. Nachts aber recherchierten Schäfers und ein schwedischer Kollege auf eigene Faust. Was sie sahen, waren katastrophale Bedingungen in den Massenunterkünften. Oft lebten zehn oder zwölf Männer zusammengepfercht in einem Raum, es gab kaum Duschen – und das alles bei Temperaturen, die im Sommer oft 45  Grad erreichen. 

Stadienbauten als Hebel
Die BHI wollte nach und nach Fortschritte für alle fast 2,5 Millionen Arbeitsmigranten in Katar erreichen. Die Stadionbauten erschienen dafür als der einfachste Hebel. Zwar arbeiteten dort nur etwa 30 000 Männer, doch Sponsoren wie Coca-Cola, aber auch das Organisationskomitee SC in Katar und die FIFA wollten unbedingt verhindern, dass die internationale Presse dauernd über Skandale auf den Baustellen berichtet. So ist es nicht nur gelungen, Abkühlräume und würdige Unterkünfte zu bekommen. Jetzt gibt es auch gewählte Sprecher, die die Kollegen bei Problemen real oder online kontaktieren können. Regelmäßig sind internationale Kontrolleure vor Ort, und auch europäische Betriebsräte kommen zu Besuch, deren Unternehmen an den Bauten beteiligt sind. 

Zwar gelten die arbeitsrechtlichen Verbesserungen offiziell für alle Beschäftigten im Emirat, „doch an der Umsetzung hapert es“, fasst Gurung zusammen. Bilder, die der Guardian veröffentlicht, zeigen weiterhin katastrophale Bedingungen in den völlig überfüllten Unterkünften. Für den gesamten Bausektor mit rund 900 000 Beschäftigten gibt es in Katar gerade einmal 200 staatliche Kontrolleure. 

Etwa ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts Nepals stammt aus Rücküberweisungen der Wanderarbeiter. Shanta Basnet von der nepalesischen Gewerkschaft CUPPEC, die Maler, Installateure und Elektriker organisiert, erklärt: „Wir sind ein sehr armes Land, viele sind gezwungen, im Ausland Geld zu verdienen.“ Immer wieder sterben junge Menschen plötzlich. 2000 junge Nepalesen haben in den vergangenen 15 Jahren in Katar ihr Leben verloren. Dauerhaft schwere Arbeit zu verrichten bei mehr als 40 Grad kann auch für Gesunde tödlich sein, erklärt ein Kardiologe gegenüber der BBC. 

Amtliche Leichenschauen gibt es nicht, fast nie bekommen die Hinterbliebenen Geld von den Firmen, bei denen ihre Angehörigen gearbeitet haben. So verlieren sie nicht nur ihren Hauptverdiener. In Nepal und Bangladesch kassieren Agenturen häufig hohe Vermittlungsgebühren von umgerechnet einigen Tausend Euro für Jobs, obwohl Katar das inzwischen verboten hat. Nicht wenige Familien fallen so in eine Art Schuldknechtschaft. 

Meilenstein auf einem mühsamen Weg
„Unser Ziel ist ein Zentrum für die Wanderarbeiter, wo sie sich selbst informieren und organisieren können“, sagt BHI-Vize Schäfers. Es wäre ein Meilenstein in einem mühsamen Prozess zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in dem kleinen, reichen Emirat. „Wir brauchen eine Übereinkunft möglichst vor der WM“, ergänzt Gurung und appelliert an die Solidarität arbeitender Menschen weltweit: Übt Druck aus auf die FIFA! Die will, dass schöne Bilder um die Welt gehen und die Fans nicht dauernd etwas von ausgebeuteten Menschen in Katar hören. 
 

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