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NGG Flaschenpost Magazin Mitbestimmung

: Skrupellos und brutal

Ausgabe 02/2020

Juristische Störmanöver und reihenweise Kündigungen: Die Gewerkschaft NGG wirft dem Online-Getränkehändler Flaschenpost vor, die Wahl eines ersten Betriebsrats sabotieren zu wollen. Von Joachim F. Tornau

Glaubt man dem Internetauftritt von Flaschenpost, ist die Arbeit für den Getränkelieferdienst nicht allzu weit vom Paradies entfernt. „Deine Stadt wird dich lieben“, heißt es da. Von „Leidenschaft“ ist die Rede und „unglaublicher Motivation“. Dabei liefert das 2016 gegründete Unternehmen lediglich online geordertes Bier, Mineralwasser oder Hochprozentiges binnen zwei Stunden frei Haus. Flaschenpost nennt das gleichwohl „Revolution“.

Nach den Erfahrungen der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) endet die Revolutionsbegeisterung allerdings schlagartig, wenn es um die Gründung eines Betriebsrats geht. Was geschah, nachdem die Beschäftigten der Düsseldorfer Niederlassung eine solche Gründung beschlossen hatten, ließ NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann zu ungewohnt scharfen Worten greifen: „Wenn die Vorwürfe der NGG zutreffen, ist das Verhalten der Firma Flaschenpost eine Sauerei“, so der CDU-Politiker. Die NGG hatte gerade Strafanzeige gegen die Flaschenpost-Geschäftsführung erstattet, weil sie „skrupellos und brutal“ die Wahl der ersten echten Arbeitnehmervertretung im Flaschenpost-Universum zu verhindern versuche. 

Nachdem in Düsseldorf Ende Januar der Wahlvorstand gewählt worden war, zog Flaschenpost vors Arbeitsgericht, um die Wahl per Eilantrag für ungültig erklären zu lassen – mit neun Tagen Vorlauf sei zu kurzfristig eingeladen worden. In der Tat hatte an der Wahlversammlung nur ein kleiner Teil der rund 500 Beschäftigten teilgenommen, obwohl der Betrieb, wie die Düsseldorfer NGG-Geschäftsführerin Zayde Torun sagt, „mit Einladungsschreiben tapeziert“ war. Bei der vom Unternehmen geforderten einmonatigen Einladungsfrist wären wohl auch nicht mehr Leute gekommen: „Die meisten Beschäftigten, mit denen wir gesprochen haben, sagten, dass sie sich nicht trauen, weil sie nur einen befristeten Vertrag haben.“

Eine begründete Sorge. „Von den Kollegen, die bei der Wahlversammlung waren, sind nur noch vier da“, erzählt ein Mitarbeiter, der aus Angst vor Repressalien seinen Namen nicht gedruckt sehen möchte. Alle anderen seien seither gekündigt oder ihre befristeten Verträge nicht verlängert worden: „Wer nicht pariert, der fliegt.“ 

  • Zayde Torun, NGG: „Wenn es hier mit der Betriebsratsgründung klappt, wird das eine Welle geben.“ (Foto: Karsten Schöne)
    Zayde Torun, NGG: „Wenn es hier mit der Betriebsratsgründung klappt, wird das eine Welle geben.“ (Foto: Karsten Schöne)

Der Konkurrent ist auch nicht besser

Beim schärfsten Wettbewerber von Flaschenpost, dem zur Oetker-Gruppe gehörenden Durstexpress, der sein Geschäft im September 2017 in Berlin startete und aktuell mit Flaschenpost in Hannover um die Kunden konkurriert, sieht es indes nicht besser aus. Vehement sperrt sich das Management gegen die Gründung von Betriebsräten an den Standorten. „Auch bei Durstexpress ist das Arbeitsklima geprägt von Angst und Unterdrückung“, urteilt der Berliner NGG-Sekretär Rafael Mota Machado. „Wer das Thema Betriebsrat anspricht oder sich gewerkschaftlich organisieren möchte, wird entlassen.“

Bei Flaschenpost konnte die Geschäftsführung dank Videoüberwachung in der Lagerhalle genau sehen, wer bei der Wahlversammlung anwesend war. Zum Beispiel alle zehn Team- und Schichtleiter. Bis auf die zwei, die in den Wahlvorstand gewählt wurden und deshalb einen Sonderkündigungsschutz genießen, wurden sie alle kurz danach zeitgleich gefeuert.

Flaschenpost bestreitet vehement, dass der Austausch der Führungsmannschaft in irgendeinem Zusammenhang mit der angestrebten Betriebsratsgründung steht: Die Personalentscheidungen seien allein „in der mehr als mangelhaften Führung des Standortes begründet“. Abgemahnt worden war zuvor freilich keiner der Geschassten. Einer von ihnen war sogar erst wenige Tage vor seiner Entlassung vom Staplerfahrer zum Teamleiter befördert worden. 

Für Zayde Torun von der NGG steht fest: „Der Arbeitgeber will ein Exempel statuieren.“ Flaschenpost sei klar: „Wenn es hier mit der Betriebsratsgründung klappt, wird das eine Welle geben.“ Dann würden auch andere Standorte dem Düsseldorfer Vorbild folgen. Die Probleme, die nach einer Arbeitnehmervertretung im Betrieb verlangen, seien überall die gleichen: von unzumutbaren Toiletten über Verstöße gegen Lärmschutz und Arbeitssicherheit bis zur Videoüberwachung am Arbeitsplatz. Doch alle Einschüchterungsversuche und Störmanöver liefen ins Leere. 

Nachdem der Eilantrag des Unternehmens auch in zweiter Instanz scheiterte, sollte Anfang April (nach Redaktionsschluss) der elfköpfige Betriebsrat gewählt werden. Unter den 21 Beschäftigten, die sich auf der Gewerkschaftsliste aufstellen ließen, sind auch die Gekündigten, die alle Klage gegen ihre Entlassung eingereicht haben. Für eine zweite, arbeitgebernahe Liste fand sich zunächst nur ein einziger Kandidat.

Gründer von Flaschenpost ist Dieter Büchl (45), der zuvor Druckerpatronen über das Internet verkauft hatte und den Online-Tierbedarfshandel zoo24 betreibt. Dank Großinvestitionen von Risikokapital-Beteiligungsgesellschaften wie Cherry Ventures oder Vorwerk Ventures konnte das Unternehmen schnell wachsen. 2019 bekam Flaschenpost 50 Millionen Euro vom New Yorker Fonds Tiger Global. 

Die Unternehmenszentrale von Flaschenpost in Münster firmiert seit 2019 als Europäische Aktiengesellschaft (SE). Auf den SE-Betriebsrat, den es deshalb geben muss, verweist das Unternehmen gern, um seine Mitbestimmungsfreundlichkeit zu unterstreichen. Er wurde nach Angaben der NGG jedoch unter anderem mit Personalverantwortlichen besetzt.

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