Quelle: Karsten Schöne
Magazin MitbestimmungCorona: Kurzarbeitergeld rauf – für alle!
Der Leiter des WSI-Tarifarchivs favorisiert eine Regelung nach dem Vorbild Österreichs. Von Andreas Molitor
Für eine generelle Aufstockung des Kurzarbeitergelds in der Corona-Krise angesichts von voraussichtlich mehr als zwei Millionen Betroffenen plädiert Thorsten Schulten, der Leiter des Tarifarchivs beim Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung. Von den bisher vereinbarten und durchweg sinnvollen Aufstockungsregelungen wird nach Einschätzung Schultens insgesamt nur eine Minderheit der Tarifbeschäftigten erfasst. „Insbesondere in den klassischen Niedriglohnsektoren gibt es oft keine tarifvertraglichen Zuschüsse zum staatlichen Kurzarbeitergeld“, so der Tarifexperte. „Gerade Beschäftigte mit geringem Einkommen können jedoch bei einem Nettoeinkommensverlust von 40 Prozent nicht lange über die Runden kommen.“
Vorbild für eine deutschlandweite Regelung könnte die unlängst in Österreich zwischen Gewerkschaften, Arbeitgebern und Regierung getroffene Vereinbarung sein. Dort wird derzeit – gestaffelt nach Einkommenshöhe – ein Kurzarbeitergeld von 80 Prozent (bei einem Bruttoentgelt über 2685 Euro) bis 90 Prozent (Bruttoentgelt bis 1700 Euro) gezahlt.
Grundsätzlich gelte, dass die Kurzarbeit in der aktuellen Situation ein wesentliches Instrument zur Vermeidung von Arbeitsplatzverlusten sei. Dies zeige auch ein Rückblick auf die Finanzkrise der Jahre 2008/2009. In einigen Branchen haben die Tarifvertragsparteien in den vergangenen Wochen eigene Regelungen getroffen, um das Kurzarbeitergeld aufzustocken. Dies zeigt eine Übersicht des WSI-Tarifarchivs, die ständig aktualisiert wird. In den Tarifverträgen verpflichten sich die Arbeitgeber, einen Zuschuss zum staatlichen Kurzarbeitergeld zu zahlen, sodass die Beschäftigten zwischen 75 und 97 Prozent des Nettogehalts (bei der Deutschen Bahn 80 Prozent des Bruttogehalts) erhalten.
Zu den Branchen mit entsprechenden tarifvertraglichen Aufstockungsregelungen gehörten Ende März unter anderem die holz- und kunststoffverarbeitende Industrie in Sachsen, der Groß- und Außenhandel in Nordrhein-Westfalen, das Kfz-Handwerk in Bayern und die chemische Industrie. Entsprechende Regelungen gibt es außerdem bei der Deutschen Bahn und der Deutschen Telekom. In der Metall- und Elektroindustrie besteht eine flächendeckende Aufstockungsregelung in Baden-Württemberg, wo das Kurzarbeitergeld je nach Umfang der Kurzarbeit auf 80,5 bis 97 Prozent des Nettogehalts erhöht wird. Beim Volkswagen-Konzern wird das Kurzarbeitergeld auf 78 bis 95 Prozent erhöht, wobei Beschäftigte in den unteren Entgeltgruppen die höchsten Zuschläge erhalten. Auch für die Beschäftigten der Systemgastronomie wurde eine 90-Prozent-Regelung getroffen. Bei den Produktionsunternehmen der Filmbranche konnte Verdi sogar eine Aufstockung des Kurzarbeitergelds auf die vollen Tarifgagen aushandeln.
In der klassischen Gastronomie und der Hotellerie dagegen weigert sich der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA bislang, einen Tarifvertrag abzuschließen, der vor hohen Lohneinbußen schützt. Dabei ist die Branche extrem stark von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Epidemie betroffen. Außerdem sind die Löhne im Gastgewerbe ohnehin niedrig. „Wer im Service einer Gaststätte, am Empfang oder in der Küche eines Hotels nur knapp über dem Mindestlohn verdient“, so Freddy Adjan, Stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, „der kommt mit 60 Prozent Kurzarbeitergeld nicht über die Runden. Er wird seine Miete nicht zahlen und seine Familie davon nicht ernähren können.“