Quelle: HBS
Böckler ImpulsEinkommen: Wo die Reichen wohnen
Das Durchschnittseinkommen ist in Heilbronn mehr als doppelt so hoch wie in Gelsenkirchen. Ohne staatliche Umverteilung wäre die Unwucht noch größer.
Unter den 401 deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten lassen sich zum Teil frappierende Einkommensunterschiede feststellen: Während das durchschnittliche verfügbare Pro-Kopf-Einkommen 2019 in der Stadt Heilbronn 42 275 Euro und im Landkreis Starnberg 38 509 Euro erreichte, war es in Gelsenkirchen mit 17 015 Euro und in Duisburg mit 17 741 Euro nicht einmal halb so hoch. Zu diesen Ergebnissen kommt eine Analyse des WSI.
Auch das Einkommensgefälle von West nach Ost ist mehr als drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung nicht verschwunden. So gibt es in den neuen Ländern mit Potsdam-Mittelmark nur einen Landkreis, in dem das verfügbare Pro-Kopf-Einkommen den Bundesdurchschnitt von 23 706 Euro überschreitet. In den alten Ländern besteht zudem ein Süd-Nord-Gefälle. Im Durchschnitt liegt das Pro-Kopf-Einkommen in Bayern und Baden-Württemberg etwa 2600 Euro höher als im übrigen Westdeutschland. Insbesondere in einigen kleineren Städten oder ländlichen Gebieten mit sehr hohen Einkommen wird der Durchschnitt durch eine überschaubare Zahl sehr reicher Haushalte beeinflusst. Öffentliche Dienstleistungen und die Umverteilung durch Steuern, Sozialabgaben und Transferzahlungen leisten einen wichtigen Beitrag dazu, dass die Lebensverhältnisse in Deutschland nicht noch deutlicher auseinanderklaffen. Regionale Unterschiede im Preisniveau, etwa bei Mieten, spielen ebenfalls eine Rolle, im Vergleich zu Abgaben und Transfers fallen sie aber meist weitaus weniger ins Gewicht.
In ihrer Untersuchung greifen die WSI-Experten Eric Seils und Toralf Pusch auf die aktuellsten verfügbaren Daten aus der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung der Länder für 2019 und auf neue Daten zu regionalen Preisniveaus zurück. Dabei unterscheiden sie drei Dimensionen der Einkommenssituation: die Markteinkommen pro Kopf aus Erwerbstätigkeit oder Vermögen, die verfügbaren Einkommen pro Kopf, die sich aus den Markteinkommen nach Umverteilung ergeben, und schließlich die preisbereinigten verfügbaren Einkommen pro Kopf, die zusätzlich noch regionale Preisunterschiede berücksichtigen.
Umverteilung verringert Ungleichheit
Die Analyse zeigt, dass das System staatlicher Abgaben und Transfers, zu denen etwa Kindergeld, Arbeitslosengeld oder Rentenzahlungen zählen, einen erheblichen Beitrag zur Angleichung der Einkommen in der Bundesrepublik leistet. „Geht man von den Markteinkommen aus, dann sind diese im obersten Zehntel der Kreise und Städte mit dem höchsten Durchschnitt 1,6-mal so hoch wie im Zehntel mit dem niedrigsten Durchschnitt. Bei den verfügbaren Einkommen ist es das 1,3-Fache“, so Seils.
Auch die Einkommensunterschiede zwischen Ost und West sowie Süd und Nord in den alten Bundesländern verringern sich spürbar. Dabei sorgt das staatliche System von Abgaben und Transfers natürlich auch innerhalb der einzelnen untersuchten Städte und Kreise für etwas geringere Ungleichheit. Dass die Unterschiede gerade auf lokaler Ebene gleichwohl groß sein können, zeigt ein Blick auf manche Einkommens-Spitzenreiter: Eine wichtige Ursache für extreme Werte – etwa in Heilbronn und im Landkreis Starnberg – stellen einzelne sehr reiche Haushalte dar. „Was hier als regionale Ungleichheit erscheint, hat also in Wirklichkeit auch mit sehr hohen Einkommen einzelner Personen zu tun“, sagt WSI-Experte Seils.
Aus den staatlichen Abgaben werden aber natürlich nicht nur Transfers, sondern auch öffentliche Dienstleistungen finanziert, deshalb weist die Statistik für die allermeisten Städte und Kreise einen negativen Umverteilungs-Saldo aus. „Die privaten Haushalte verlieren aber nichts. Sie erhalten ihre Steuern und Abgaben in Form von staatlichen Leistungen zurück“, erläutert Seils. Zu denken sei hier beispielsweise an die öffentliche Infrastruktur, Bildung, Polizei, die Bundeswehr oder soziale Sachleistungen. Im regionalen Vergleich spielen auch Faktoren wie die jeweiligen Markteinkommen oder die Altersstruktur eine wichtige Rolle. Mit einem Saldo von −15 314 Euro pro Kopf liefert die bayerische Landeshauptstadt München einen besonders großen Beitrag zur Umverteilung. Ähnlich fällt die Bilanz mit −14 338 Euro im Hochtaunuskreis und mit −14 274 Euro im Landkreis Starnberg aus. Positive Werte weisen vor allem Kreise mit niedrigen Markteinkommen und einem hohen Anteil alter Menschen auf. Den höchsten jährlichen Überschuss aus der regionalen Umverteilung verbuchte der Landkreis Mansfeld-Südharz mit 1715 Euro pro Kopf. Es folgen die Stadt Görlitz mit 1596 Euro und das Altenburger Land mit 1295 Euro.
Regional unterschiedlich hohe Preisniveaus tragen der Studie zufolge ebenfalls zu einer gewissen Angleichung bei. Regionen mit hohem Einkommen haben tendenziell auch höhere Mieten und sonstige Preise. „Die Leute haben dann zwar mehr Geld im Portemonnaie, können sich aber nicht in gleichem Maße mehr leisten“, erklärt Pusch. So fallen die kaufkraftbereinigten Einkommen in den neuen Ländern generell etwas höher aus, als die nominalen Pro-Kopf-Beträge erwarten lassen würden. Es verbleibt aber ein realer Einkommensunterschied von zwölf Prozent. Der nivellierende Effekt unterschiedlicher Preisniveaus ist allgemein weitaus geringer als jener der Umverteilung. Auch nach der Preisbereinigung bleiben die Stadt Heilbronn und die Landkreise Starnberg und Miesbach die Regionen mit den höchsten Einkommen. Gelsenkirchen und Duisburg sind weiterhin am unteren Rand der Verteilung zu finden. Halle an der Saale profitiert hingegen von den etwas niedrigeren Preisen im Osten und kann sich geringfügig vom unteren Ende abheben.
Eric Seils, Toralf Pusch: Ungleichheit, Umverteilung und Preise im regionalen Vergleich, WSI Policy Brief Nr. 70, April 2022