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 Wirecard und Tönnies nutzen Gesetzeslücken Böckler Impuls

Mitbestimmungsvermeidung: Wirecard und Tönnies nutzen Gesetzeslücken

Ausgabe 16/2020

Wirecard hat sich der Kontrolle durch Arbeitnehmervertreter entzogen. Damit ist das Unternehmen nicht allein. Die Bundesregierung muss handeln.

Wirecard ist nicht der erste, aber ein besonders krasser Fall von Bilanzbetrug. Eine Reform der Finanzaufsicht und strengere Regeln für Wirtschaftsprüfer scheinen unumgänglich. Die Bundesregierung muss aber noch ein weiteres Problem angehen: „Wirecard ist ein Beispiel für Mitbestimmungsvermeidung. Die Unternehmensleitung nutzte eine der Schwächen in den deutschen Mitbestimmungsgesetzen, die wir seit Jahren kritisieren“, sagt Sebastian Sick, Experte für Unternehmensrecht im Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I. M. U.). Dadurch sei es möglich gewesen, sich der Kontrolle durch Arbeitnehmervertreter zu entziehen.

Wirecard verfügte bis zu seiner Insolvenz weder über einen Betriebsrat noch über Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. Das frühere Dax-Unternehmen hatte zwar Ende 2018 rund 5000 Beschäftigte, davon etwa ein Drittel in Deutschland. Und normalerweise ist für deutsche Kapitalgesellschaften mit 501 bis 2000 inländischen Beschäftigten gesetzlich vorgesehen, dass Arbeitnehmer ein Drittel der Mitglieder im Aufsichtsrat stellen. Das Wirecard-Management nutzte aber offenbar eine Lücke im Drittelbeteiligungsgesetz aus, wie eine Analyse von Sick zeigt.

Im Drittelbeteiligungsgesetz ist keine automatische „Konzernzurechnung von Beschäftigten in Tochterunternehmen“ vorgesehen. Ein Konzern bleibt daher ohne jede Arbeitnehmerbeteiligung im Aufsichtsrat, wenn er sich in eine Holding und verschiedene Töchter aufgliedert, die jeweils maximal 500 Beschäftigte haben und nicht über formale „Beherrschungsverträge“ miteinander verbunden sind – auch wenn die verschiedenen abhängigen Unternehmen zusammengenommen weit mehr als 500 Beschäftigte haben. Bei Wirecard lag nach Sicks Analyse eine entsprechende Konstruktion vor. Als weitere „Mitbestimmungsvermeider“, die in jüngster Zeit für Schlagzeilen sorgten, nennt Sick mehrere deutsche Schlachtkonzerne, darunter Marktführer Tönnies. 

Nach I.M.U.-Untersuchungen wird zahlreichen Arbeitnehmern in Deutschland ihr Recht auf Mitsprache im Aufsichtsrat vorenthalten. Schaut man allein auf Unternehmen mit mehr als 2000 Beschäftigten, umgehen 194 über legale gesellschaftsrechtliche Konstruktionen die paritätische Mitbestimmung, weitere 113 ignorieren das Mitbestimmungsgesetz rechtswidrig. „Mitbestimmung ist in Deutschland ein konstitutiver Bestandteil guter Corporate Governance. Das muss endlich in allen Unternehmen gelebt werden“, sagt Michael Guggemos, Geschäftsführer der Hans-Böckler-Stiftung und Mitglied in der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex. Die Schwachstellen in den deutschen Mitbestimmungsgesetzen ließen sich mit geringem Aufwand beheben, betont I.M.U.-Experte Sick. Beim Drittelbeteiligungsgesetz würde es schon reichen, eine automatische Konzernzurechnung von Tochterunternehmen zu ergänzen – auch wenn kein Beherrschungsvertrag gegeben ist.

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