Quelle: HBS
Böckler ImpulsGesellschaft: Vertrauenskrise ohne Ende
Fast die Hälfte der Erwerbspersonen macht sich große Sorgen um den Zusammenhalt der Gesellschaft.
Die Furcht vor einem Auseinanderdriften der Gesellschaft in Deutschland hat im Sommer einen neuen Höchststand erreicht. 48 Prozent der Erwerbspersonen machen sich große Sorgen um den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das sind mehr als zu jedem anderen Zeitpunkt seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine oder während der Corona-Pandemie. Dies geht aus der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler-Stiftung hervor, für deren aktuelle Welle im Juli gut 5000 Erwerbstätige und Arbeitssuchende interviewt wurden.
Die Befragung, die bereits seit Frühjahr 2020 läuft, macht längerfristige Trends sichtbar: Seit April 2020, dem ersten Höhepunkt der Corona-Pandemie, hat sich der Anteil derer, die sich um den sozialen Zusammenhalt in Deutschland sorgen, verdoppelt. „Das unterstreicht, dass ein erheblicher Teil der Menschen die gut drei Jahre seit Beginn der Pandemie als Dauerkrise wahrnimmt, die sie und die Gesellschaft auslaugt. Es gibt zwischenzeitlich mal eine leichte Entspannung, aber bislang kein Ende“, sagt Bettina Kohlrausch. Die wissenschaftliche Direktorin des WSI wertet die Befragung zusammen mit den Forschern Andreas Hövermann und Helge Emmler aus.
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Viele Menschen sind zudem beunruhigt über die Entwicklung ihrer eigenen finanziellen Situation, der Wirtschaft im Allgemeinen und der sozialen Ungleichheit im Land: Knapp ein Drittel der Befragten befürchtet, den Lebensstandard auf Dauer nicht halten zu können, knapp 40 Prozent sind sehr besorgt um ihre Altersvorsorge. Obwohl die Inflation zuletzt nachgelassen hat, ist die Angst vor einem Kaufkraftverlust nach wie vor weit verbreitet: 51 Prozent der Befragten geben hier große Sorgen zu Protokoll, im November waren es noch 56 Prozent. Der Anteil derer, die sich große Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation machen, ist zwar seit November um vier Prozentpunkte auf 24 Prozent gesunken, liegt aber immer noch höher als vor Beginn des Krieges in der Ukraine. Deutliche Unterschiede zeigen sich bei einer Betrachtung nach Einkommen: So berichten 52 Prozent der Erwerbspersonen mit einem bedarfsgewichteten Haushaltseinkommen unter 1500 Euro im Monat von starken oder sogar extremen finanziellen Belastungen, Anfang 2022 waren es erst 41 Prozent.
Die Daten zeigten, „dass sich die finanziellen Belastungen auch in Vertrauensverlusten niederschlagen“, so Kohlrausch. Befragte, die sich große Sorgen um die allgemeine oder die eigene wirtschaftliche Lage oder um ihren Arbeitsplatz machen, geben überdurchschnittlich häufig an, wenig oder kein Vertrauen in die Bundesregierung zu haben. Daraus sollten keine einfachen Schlüsse gezogen werden, „denn die Entfremdung zwischen einem Teil der Bürgerinnen und Bürger und staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen hat sicherlich nicht erst mit der Energiekrise und den Preissprüngen begonnen. Dennoch haben die daraus resultierenden Belastungen das Potenzial, diese Entfremdung weiter zu verstärken und zu verfestigen“, warnt die Wissenschaftlerin.
Insgesamt ist das Vertrauen in die Bundesregierung erneut leicht gesunken: 14 Prozent der Erwerbspersonen geben an, großes oder sehr großes Vertrauen in die Regierung zu haben, im November 2022 waren es 15 Prozent. Besonders gering ist das Vertrauen bei den Wählerinnen und Wählern der AfD: Nur knapp drei Prozent von ihnen vertrauen der Regierung.
Weitere Informationen zur Methodik der Erwerbspersonenbefragung der Hans-Böckler Stiftung
Veröffentlichungen zu Ergebnissen der Erwerbspersonenbefragung