Quelle: HBS
Böckler ImpulsPopulismus: Verführerisch einfach
Wir gegen die: Die simplen Botschaften populistischer Parteien sind auf Eigenarten der menschlichen Psyche und des Mediensystems zugeschnitten.
Die moderne Welt ist komplex: Immobilienkredite in den USA können Bankenkrisen in Europa verursachen, Emissionen der Industrieländer lassen Inseln im Pazifik versinken, Infektionen auf einem Markt in China lösen eine globale Pandemie aus. Im Kontrast dazu stehen die einfachen Wahrheiten des Populismus. Warum die zurzeit in vielen Demokratien so gut verfangen, hat der Soziologe Olaf Struck von der Universität Bamberg untersucht – und sich damit eines drängenden Problems der Gegenwart angenommen: „Die Auseinandersetzung mit den Mechanismen des Populismus ist aktuell die zentrale Herausforderung für die politische Bildung“, so Ralf Richter, der Leiter der Studienförderung der Hans-Böckler-Stiftung, die Strucks Studie gefördert hat.
Dem Soziologen zufolge nutzen populistische Bewegungen gezielt psychische und soziale Mechanismen für ihre Zwecke aus: Es gelinge ihnen, durch Vereinfachung, Desinformation, permanente Wiederholung und Emotionalisierung Aufmerksamkeit für ihre Themen zu erregen und die Anhängerschaft zu mobilisieren. Charakteristisch für den Populismus sei, dass er die Gesellschaft in zwei angeblich homogene Gruppen teilt, nämlich das „gute Volk“ und eine „niederträchtige und etablierte Elite“, gegen die es sich wehren müsse. Im Rahmen dieses Schemas sei es möglich, für beliebige Probleme sofort Schuldige zu benennen – allerdings nur mit Hilfe von Halbwahrheiten oder falschen Aussagen.
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Dass populistische Parteien mit ihren irreführenden Behauptungen oft durchkommen, dürfte laut dem Forscher zum einen daran liegen, dass in den Augen vieler Anhängerinnen und Anhänger der Zweck die Mittel heiligt. Und dieser Zweck erscheine ziemlich dringend: Schließlich gehe es in der apokalyptischen Vorstellungswelt solcher Parteien darum, den Untergang des Abendlandes abzuwehren.
Zum anderen gebe es bestimmte psychische Gesetzmäßigkeiten, die für die Verbreitung von Unwahrheiten instrumentalisiert werden können, heißt es in der Studie. So sei nachgewiesen, dass Informationen, die den eigenen Überzeugungen widersprechen, Unbehagen bereiten, sodass Menschen dazu neigen, Informationen so auszuwählen und zu deuten, dass sie das eigene Weltbild bestätigen. Dass populistische Ideologien an vertraute Vorurteile anknüpfen und für die verwirrenden Zumutungen der Gegenwart einfache Erklärungen bis hin zu Verschwörungserzählungen anbieten, mache sie attraktiv.
Eine zentrale Rolle spielen laut Struck zudem Emotionen. Diese ließen sich durch pauschale Behauptungen, Zuspitzungen und Lügen besser triggern als durch nüchterne Fakten oder differenzierte Analysen – und sorgten dafür, dass die populistischen Botschaften oft mehr Aufmerksamkeit erregen und besser im Gedächtnis bleiben als die Argumente der Gegenseite.
Für einen weiteren wichtigen Faktor hält der Wissenschaftler die soziale Identität: Menschen tendierten dazu, eher Informationen zu vertrauen, die aus einer sozialen Gruppe stammen, der sie selbst angehören, und die die Position dieser Gruppe stärken. Die populistische Unterscheidung zwischen „wir“ und „die“ erzeuge Akzeptanz selbst für irreführende oder falsche Aussagen. Die Selbstinszenierung als Vertretung der „normalen“ Leute, die von „denen da oben“ nicht ernst genommen und bevormundet werden, sorge für emotionale Bindung.
Struck verweist außerdem auf Untersuchungen, die belegen, dass Wiederholungen Informationen vertrauter und damit glaubwürdiger machen. Solange Vereinfachungen oder Lügen oft genug aufgetischt werden, begännen Menschen, sie zu akzeptieren. Populistische Parteien wiederum nutzten gezielt eigene Kanäle und Plattformen, um ihre Thesen permanent zu wiederholen – auch dann, wenn sie längst widerlegt worden sind.
Der Analyse zufolge spielt auch die Funktionsweise der heutigen Medienlandschaft dem Populismus in die Hände. Die Informationsüberflutung, die mit der Digitalisierung eingesetzt hat, mache Vereinfachungen und schlichte Botschaften umso attraktiver. Schrille Parolen entsprächen zudem der Aufmerksamkeitsökonomie der sozialen Medien und damit den kommerziellen Interessen der Plattformen besser als sachliche Argumente.
Zusätzlich profitiere der Populismus davon, dass es vielen Menschen an der Zeit und der Kompetenz mangelt, Lügen und die Absichten dahinter zu durchschauen, erklärt der Autor. Mehr Aufklärung sei dringend nötig: „Um sich gegen die Strategien pauschaler Vereinfachungen und damit verbundener Unwahrheiten schützen zu können, ist es wichtig, die sozialen und kognitiven Mechanismen, die Menschen zu deren Akzeptanz verleiten, zu kennen.“
Olaf Struck: Populismus als Strategie: Mechanismen von Vereinfachungen und falschen Aussagen, Working Paper der HBS-Studienförderung Nr. 4, September 2024