Atomkraft: Teuer, langwierig, rückwärtsgewandt
Vor knapp einem Jahr wurden in Deutschland die letzten Atomkraftwerke abgeschaltet. Ergibt es Sinn, sie wieder in Betrieb zu nehmen oder sogar neue zu bauen? Ein Faktencheck.
Billig, klimaneutral und der einfachste Ausweg aus der Energiekrise. So wird die Kernenergie von ihren Fans gepriesen. Was ist dran an der Vorstellung, die alten Meiler müssten nur wieder angeworfen werden und die Energiekrise wäre beendet? Das haben Forschende des Fraunhofer-Zentrums für Internationales Management und Wissensökonomie untersucht. Im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung, die mit „wissenschaftlich fundierten Faktenchecks die energie- und klimapolitische Debatte versachlichen will“, wie Christina Schildmann, Leiterin der Abteilung Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, sagt. Der Weg zur Klimaneutralität sei mit einer Reihe von „Mythen“ verstellt. Diese durch fundierte wissenschaftliche Analysen zu ersetzen, sei der erste Schritt zu einer zukunftsweisenden Energiepolitik.
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Die deutsche Wirtschaft hat genügend Strom, aber er ist teuer. Ist Atomkraft eine günstigere Alternative? Dies wäre, so die Fraunhofer-Fachleute, allenfalls in einer kurzfristigen, eher theoretischen Betrachtung der Fall – wenn es ohne Weiteres möglich wäre, die bestehenden Kraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen. Schaut man dagegen auf die Gesamtkosten eines Atomkraftwerkes – Bau, Betrieb, Wartung, Stillstandszeiten –, sieht die Sache anders aus. In dieser Betrachtung sind die Kosten der Kernenergie in den vergangenen Jahren um fast die Hälfte gestiegen, während sie bei Solarenergie um 80 Prozent und bei Windenergie um 60 Prozent gesunken sind. Hinzu kommt, dass die Kosten der Kernkraft extrem schwer zu kalkulieren sind. Beispiel: Der 2007 begonnene Bau des Druckwasserreaktors Flamanville in Frankreich, der bis 2012 mit Baukosten von 3,3 Milliarden Euro abgeschlossen sein sollte. Tatsächlich konnte der Reaktor erst 2024 in Betrieb genommen werden und verschlang rund 19 Milliarden Euro. Ähnlich lief es beim britischen Reaktor Hinkley Point C, der 2023 ans Netz gehen sollte und dessen Fertigstellung noch einige Jahre dauern wird.
Außerdem sind damit noch immer längst nicht alle Kosten erfasst. Denn eines Tages müssen die Kraftwerke zurückgebaut werden. Technische Pannen, im Extremfall ein Super-GAU, können ungeahnte Kosten verursachen. Und die Frage nach der Endlagerung der Brennstäbe ist ungelöst. Hier steht die Zahl von rund 50 Milliarden Euro im Raum. Lediglich für schwach- und mittelradioaktive Abfälle existiert bislang ein genehmigtes Endlager in Salzgitter.
Aber könnte man nicht wenigstens die zuletzt abgeschalteten Reaktoren noch ein paar Jahre laufen lassen? Das ist den Forschenden zufolge aufwendiger, als man denkt. Zwar wären die nötigen Gesetzesänderungen und Sicherheitsüberprüfungen einigermaßen schnell zu bewältigen. Doch für die Beschaffung neuer Brennstäbe wäre mindestens ein Jahr einzukalkulieren, wahrscheinlich sogar mehr Zeit. Nicht zuletzt, weil Russland als Lieferant für Uran ausfällt. Es fehlt heute außerdem an geeignetem Personal zum Betrieb von Atomkraftwerken. Und schließlich: Die Energiekonzerne haben wegen der enormen Kosten überhaupt kein Interesse an Reaktivierung oder Neubau von Atomkraftwerken. Selbst kernkraftfreundliche Studien kommen zu dem Ergebnis, dass es zumindest bis Ende 2028 dauern würde, bis in Deutschland wieder drei Atomkraftwerke Strom liefern könnten.
Zwar baut eine Reihe von Ländern ihre Atomwirtschaft weiter aus, unter anderem mit der Begründung, auf diese Weise Klimaziele einhalten zu können. Doch der Trend geht in eine andere Richtung: 1990 hatte die Atomenergie noch einen Anteil von 17 Prozent an der weltweiten Stromerzeugung und erneuerbare Energiequellen kamen nicht mal auf ein Prozent. 2020 lagen die Erneuerbaren bei 11 und die Atomenergie bei 10 Prozent.
Christian Klöppelt, Patrick Wagner, Elisa Drechsler: Faktencheck: Kernenergie, Januar 2025