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Staat in der Schlüsselrolle Böckler Impuls

Wirtschaftspolitik: Staat in der Schlüsselrolle

Ausgabe 09/2023

Die Weltwirtschaft befindet sich im Umbruch. Damit die Transformation gelingt, braucht es kluge staatliche Impulse.

Die Gegenwart ist turbulent: Russland hat die Ukraine angegriffen, als die Corona-Pandemie noch nicht beendet war, der Klimawandel schreitet voran, die Digitalisierung ebenso. In einer Analyse für den Forschungsverbund Ökonomie der Zukunft der Hans-Böckler-Stiftung lotet Gustav Horn aus, wie sich die Wirtschaftspolitik auf die anstehenden Her­ausforderungen einstellen kann. Der ehemalige IMK-Direktor kommt zu dem Schluss, dass ein „Mix aus industriepolitischer Förderung und stabilitätspolitischer Begleitung“ notwendig ist, um die kommenden Umbrüche ohne gesellschaftliche Verwerfungen zu bewältigen.   

Zu diesen Umbrüchen zählt der Ökonom die teilweise Abkehr von der Globalisierung, die bereits mit der Finanzmarktkrise 2007 und 2008 eingesetzt hat. Damals sei der „Glaube an die inhärente Stabilität der Märkte“ zerstört und wirtschaftliche Aktivität teilweise auf das vergleichsweise sichere heimische Terrain zurückverlagert worden. Der Zusammenbruch von Lieferketten während der Pandemie und infolge des Ukrainekrieges habe diese Entwicklung verstärkt. 

Auch die Digitalisierung wird Horn zufolge die Struktur der Weltwirtschaft umkrempeln. Es sei zu erwarten, dass digitale Plattformen dabei eine wichtige Rolle spielen. Beschäftigte, die über solche Plattformen ihr Auskommen suchen, seien den Betreibern gegenüber strukturell im Nachteil, weil diese die Regeln bestimmen und über umfassende Kontrollmöglichkeiten verfügen. Andererseits bestehe die Aussicht auf zusätzliche Einkommensmöglichkeiten, zudem nehme die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wegen des Fachkräftemangels zu. 

Eine dritte wesentliche Entwicklung sei der Übergang zu nachhaltigem Wirtschaften, der die Verhältnisse zwischen den Volkswirtschaften umwälzen werde, so der Forscher. Exporteure fossiler Rohstoffe wie die Golfstaaten dürften tendenziell an Macht einbüßen, diejenigen, die frühzeitig auf ökologische Produktion umgestellt haben oder dafür benötigte Rohstoffe wie Seltene Erden abbauen, gewinnen. Aus Beschäftigtensicht stelle sich die Frage, ob durch den ökologischen Umbau der Wirtschaft ebenso viele neue und gute Jobs entstehen, wie alte wegfallen. Das sei unklar. 

Wenn es um die Gestaltung der zu erwartenden Umbrüche geht, steht die Wirtschaftspolitik Horn zufolge vor einem grundsätzlichen Problem: Staaten, die auf weltwirtschaftliche Integration setzen, müssten Abstriche bei der Souveränität in Kauf nehmen, um den Anforderungen des internationalen Wettbewerbs Rechnung zu tragen. Beispielsweise, wenn sie Freihandelsabkommen eingehen. Damit werde der Spielraum der nationalen Regierungen und Parlamente ein Stück weit reduziert. Von dieser Zwickmühle hätten in den vergangenen Jahren vor allem rechtspopulistische Bewegungen profitiert, die vermeintliche nationale Vorteile gegen die internationale Arbeitsteilung mit ihren Zwängen ausspielen. Ihre Rhetorik falle auf fruchtbaren Boden bei denjenigen Teilen der Bevölkerung, die Nachteile durch die Globalisierung erleiden oder befürchten.

Eine Abkehr von den „reinen“ Lehren des Freihandels sei mittlerweile allerdings auch in der politischen Mitte zu beobachten, heißt es in der Analyse. Beispiele für diesen Paradigmenwechsel seien das Next-Generation-Programm der EU und der US-amerikanische Inflation Reduc­tion Act (IRA), die beide darauf abzielen, gegenwärtige Krisen zu lindern und zugleich den Umstieg in eine digitale und nachhaltige Wirtschaft zu fördern. Die US-Regierung nehme dabei auch die Arbeitsbeziehungen ins Visier und setze „in mehr oder minder harter Form“ grundsätzlich positive Anreize für mehr gewerkschaftlichen Einfluss und gute Bezahlung. Dabei schreibe sie auch vor, dass ein signifikanter Teil der Wertschöpfung für steuerlich geförderte Güter in den USA erzeugt werden muss.

Solche Vorgaben stünden zwar im Widerspruch zu Erfordernissen des freien Handels, seien unter den Bedingungen der Umbruchzeit aber gerechtfertigt, urteilt Horn. In einer Phase des Lernens und Experimentierens, in der viele Vorhaben scheitern oder Zeit brauchen, bis sie die Schwelle zur Profitabilität erreichen, seien Subventionen unverzichtbar. Gleichzeitig müssten die Menschen sich selbst „als Gestaltende und Teilhabende des Wandels“ empfinden. Das setze voraus, dass ausreichend anspruchsvolle und gut entlohnte Arbeitsplätze geschaffen werden. Eine europäische Antwort auf den IRA sollte „in einer bedingten Nachahmung“ bestehen.

Um unnötige Wohlstandsverluste zu vermeiden, sei es bei solchen Programmen wichtig, dass die Förderung sich strikt und ausschließlich auf klimafreundliche Güter beschränkt, so der Ökonom. Gleichzeitig sollte sie zeitlich begrenzt sein und im Wettbewerb erfolgen, das Scheitern einzelner Unternehmen also weiter möglich sein. Da Umbruchphasen oft mit wirtschaftlichen Turbulenzen einhergehen, sollten darüber hinaus Konjunkturprogramme, sektorale Zuwendungen wie in der Pandemie und Preisbremsen wie zuletzt in der Energiekrise zum „ständig bereitgehaltenen Repertoire der Wirtschaftspolitik“ gehören.

Gustav Horn: In einer Zeit des Umbruchs, Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 289, Mai 2023
 

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