Quelle: HBS
Böckler ImpulsGlobale Rahmenabkommen: Regeln für multinationale Konzerne
Je internationaler ein Unternehmen aufgestellt ist, desto schwieriger ist es oft für Gewerkschaften, bessere Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten durchzusetzen. Globale Rahmenabkommen können hier helfen. Allerdings kommt es sehr auf die Ausgestaltung an.
Die Sicherung von Mindeststandards für gute Arbeit ist in einer globalisierten Wirtschaft wichtiger denn je. Ein Instrument dazu sind globale Rahmenabkommen. Sie ermöglichen es den Gewerkschaften, bessere Arbeitsbedingungen in multinationalen Unternehmen durchzusetzen. Die Abkommen sind jedoch nicht weit verbreitet. Sie sind weitgehend auf europäische Unternehmen beschränkt und ihre Zahl stagniert seit einiger Zeit. Sind sie also ein Auslaufmodell? Oder sollten die Gewerkschaften stärker auf neue Abkommen drängen und die Umsetzung der bestehenden intensivieren?
Dieser Frage ist ein Forschungsteam des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen und der Freien Universität Berlin nachgegangen, gefördert von der Hans-Böckler-Stiftung. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben Interviews mit Arbeitnehmervertretungen und dem Management in zwölf Unternehmen geführt. Dabei handelt es sich um multinationale Konzerne, überwiegend mit Hauptsitz in Deutschland. Darüber hinaus haben die Forschenden die Vertragstexte globaler Rahmenvereinbarungen analysiert. Auf dieser Grundlage zeigen sie auf, wie Rahmenabkommen verbessert und damit gestärkt werden können.
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Wozu sind die Abkommen gut?
Globale Rahmenvereinbarungen werden zwischen dem Management eines multinationalen Unternehmens auf der einen Seite und auf der anderen Seite internationalen Gewerkschaftsverbänden wie IndustriALL oder UNIGlobalUnion sowie Branchengewerkschaften geschlossen. Sie legen konzernweit Mindeststandards für Arbeitsbedingungen fest und definieren Verfahren zur Umsetzung. Seit Ende der 1980er-Jahre wurden 185 solcher Verträge in 124 Unternehmen abgeschlossen, von denen derzeit 132 in Kraft sind. Fast 90 Prozent wurden mit Unternehmen vereinbart, die ihren Sitz in Europa haben. Viele dieser Abschlüsse stammen aus den frühen 2010er-Jahren. Auf den ersten Blick erscheint die Zahl angesichts der Vielzahl global agierender Unternehmen gering. Hinzu kommt, dass die Vereinbarungen freiwillig und jederzeit kündbar sind. Es gibt keine Instanz, bei der Verstöße eingeklagt werden können. Die globalen Abkommen stellen daher auch keinen Ersatz für Tarifverträge dar, sondern können allenfalls einen allgemeinen Rahmen bieten. Und trotzdem haben sie eine wichtige Funktion „als wegweisende Modelle einer transnationalen Arbeitsregulierung“, so die Forschenden. Zum Beispiel in Ländern, in denen kollektive Tarifverhandlungen nicht so wie in Deutschland und vielen Ländern der EU möglich sind. Um die Umsetzung und Einhaltung der Vereinbarungen vor Ort kümmern sich verschiedene Akteure: die globalen Gewerkschaftsverbände, die im Unternehmen bereits bestehenden transnationalen Interessenvertretungen wie Europäische Betriebsräte oder Weltbetriebsräte sowie die nationalen Gewerkschaften und Betriebsräte am Stammsitz des Unternehmens.
Große Unterschiede zwischen Unternehmen
Wie gut die globalen Rahmenvereinbarungen in der Praxis funktionieren, ist in den untersuchten Fällen sehr unterschiedlich. Hauptsächlich komme es darauf an, wie die Verträge im Vorfeld formuliert werden, konstatieren die Forschenden. Im Fall eines untersuchten Baukonzerns umfasst die globale Rahmenvereinbarung wenig mehr als eine Druckseite. Die darin aufgeführten Standards sind unverbindlich. Die Vereinbarung enthält zwar Informationspflichten, darüber hinaus aber kaum Regelungen zur Einhaltung und Kontrolle der vereinbarten Standards. In der Praxis entfaltet sie daher auch nur geringe Wirkung.
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Im Gegensatz dazu fällt die Vereinbarung in einem internationalen Handelskonzern besonders ausführlich aus, vor allem beschreibt sie konkrete Verfahren, die die Einhaltung sicherstellen sollen. Die Unternehmensleitung und IndustriALL verpflichten sich, eine Strategie zur Umsetzung zu entwickeln, ein gemeinsames Steuerungsgremium zu bilden, Verfahren für den Umgang mit Verstößen zu entwickeln und die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) als Schlichtungsstelle einzubeziehen. Das Unternehmen gibt auch Informationen zur Lieferkette weiter und ermöglicht den Zugang zu den Fabriken. Vor Ort dienen Gewerkschaften und Interessenvertretungen als wichtige Partner. Wo diese fehlen, stößt die Umsetzung allerdings an Grenzen.
Was den Erfolg ausmacht
Die Forschenden sehen globale Rahmenabkommen als Chance, „sowohl transnationale Arbeitsstandards als auch die transnationale Arbeitnehmerbeteiligung zu stärken – und zwar beides zugleich, weil das eine auf dem anderen fußt“. Für den Erfolg sind jedoch mehrere Faktoren entscheidend: Die Vereinbarungen sollten nicht nur einmalig Standards festlegen, sondern auch Verfahren zu deren Einhaltung. Diese können beispielsweise Informationsrechte beinhalten, regelmäßige Gesprächsforen mit dem Management festlegen, die Beteiligung von Interessenvertretungen sicherstellen und Vorgaben für die Lösung von Problemen oder Konflikten machen. „Systematische Prozessnormen etablieren die Umsetzung globaler Rahmenabkommen als kontinuierlichen Vorgang in den Unternehmen und halten die Abkommen auf diese Weise lebendig“, schreiben die Forschenden.
Darüber hinaus müssen die Handlungsfähigkeit und die Ressourcen der mit der Umsetzung befassten Interessenvertretungen – also der Gewerkschaften und Betriebsräte im Stammland des Unternehmens – gestärkt werden. Sie können durch transnationale Gremien wie Europäische Betriebsräte und Weltbetriebsräte unterstützt werden, die Mittel bereitstellen, die vor Ort oft fehlen. „Dies betrifft zum einen die Verfügbarkeit personeller und zeitlicher Ressourcen der Schlüsselakteure, die eine wirksame Praxis koordinieren können, zum anderen die finanziellen Mittel, um die Infrastrukturen bereitzustellen, die nötig sind, um dauerhaft eine gute Praxis gewährleisten zu können.“ Die Wirksamkeit globaler Rahmenvereinbarungen hängt jedoch nicht nur von Arbeitnehmervertretungen und Gewerkschaften ab. Sie allein können wenig erreichen, wenn das Management nicht zur Kooperation bereit ist, was immer noch in vielen Fällen vorkommt. Hier ist eine stärkere politische Unterstützung erforderlich. Eine Chance könnten die mittlerweile in mehreren Ländern – darunter auch Deutschland – verabschiedeten Lieferkettengesetze bieten, wenn sie die Sicherung sozialer Nachhaltigkeit in Lieferketten mit globalen Rahmenabkommen verknüpfen.
Thomas Haipeter u.a.: Globale Rahmenabkommen am Scheideweg. Auf die Umsetzung kommt es an (pdf), Study der HBS-Forschungsförderung Nr. 488, Dezember 2023