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Paketdienste: Gläserne Beschäftigte Böckler Impuls

Digitalisierung: Paketdienste: Gläserne Beschäftigte

Ausgabe 02/2022

Mit dem Durchbruch des Onlinehandels ist die Zahl der auszuliefernden Pakete gigantisch gewachsen. Die Arbeit in der Branche ist geprägt von Zeitdruck und totaler Überwachung.

Nach Autoindustrie und Handel ist die Logistikbranche der drittgrößte private Wirtschaftssektor in Deutschland. Allein die Post-, Kurier- und Paketdienste beschäftigten 2019 rund 570 000 Personen. Wie es um deren Arbeitsbedingungen steht, haben Forschende vom Münchener Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung und der Universität Bamberg untersucht. Ihre Beobachtungen fassen Klaus Schmierl, Pauline Schneider und Olaf Struck mit dem Begriff „digitaler Taylorismus“ zusammen. Mittels komplexer Technik wird die Arbeit in kleinste Schritte zerlegt, die von gering qualifizierten Beschäftigten ausgeführt werden – mit wenig Entscheidungsspielraum und unter ständiger digitaler Kontrolle.

Während die Digitalisierung für viele Büroangestellte neue Freiräume schaffen kann, was Arbeitsabläufe, Arbeits​zeit und -ort angeht, gilt dies für die sogenannte Distributionslogistik, insbesondere auf der „letzten Meile“, zumeist nicht, schreiben Schmierl, Schneider und Struck. Bei den Zustellerinnen und Zustellern werden Arbeitszeiten verdichtet und entlastende Pausen eliminiert. Das geschieht durch softwaregesteuerte Arbeitsvorgaben im Auto und an tragbaren Geräten. Der aktuelle Standort und die Einhaltung des Zeitplans werden dabei permanent überwacht und fließen in die weitere Planung ein. Kunden werden per E-Mail über den Stand der Auslieferung informiert und haben die Möglichkeit, kurzfristig neue Wünsche zu Ablageort oder Auslieferungszeitpunkt zu äußern, woraus sich neue Vorgaben für die weitere Route ergeben. Damit sei ein „völlig neues Niveau von Prozessplanung und -steuerung sowie eine präzise technische Kontrolle von Logistik-​abläufen, Arbeitsweisen und Aufenthaltsorten von Mensch, Maschine und Material“ erreicht, so die Forschenden. Was die Zufriedenheit der Kunden hebt, bedeutet für die Beschäftigten häufig Stress, insbesondere in Form von Zeitdruck. 

Das Fehlen von Arbeitskräften erhöht den Druck. Seit 2002 hat die Branche zwar 70 000 zusätzliche Leute eingestellt, doch das reicht kaum, um den „exorbitant angewachsenen Onlinehandel“ zu bewältigen. Wie reagieren die Unternehmen auf den Arbeitskräftemangel? Eine Möglichkeit wäre, die Jobs durch Aus- und Weiterbildung attraktiver und für weitere Personenkreise zugänglich zu machen, schreiben die Forschenden. Doch beobachtet haben sie in ihren Interviews mit Beschäftigten, Vertreterinnen und Vertretern der Arbeitgeber sowie Gewerkschaftsexpertinnen und -experten das Gegenteil. „Vielmehr werden Smartphones, Tablets, Handscanner, Onboard-Computer sowie Steuerungs- und Assistenzsysteme dafür genutzt, die Arbeitsabläufe weiter zu vereinfachen, die Vorgaben aus der Zentrale kleinmaschiger zu übermitteln, mehrsprachige Übersetzungen von Arbeitsanweisungen anzubieten und präzisere sowie enger getaktete Anleitungen für niedrigqualifizierte angelernte Arbeitskräfte durchzusetzen.“ Investiert wird beinahe ausschließlich in die Technik. Zu erkennen sei in der Straßentransportlogistik insgesamt „ein Reservearmee-Mechanismus“, der den Lohnanstieg bremsen soll – in einem Wirtschaftszweig, der von einem „überwiegend über den Preis ausgetragenen Verdrängungswettbewerb“ gekennzeichnet ist. 

Wie kann es gelingen, die Arbeitsbedingungen bei Paketdiensten zu verbessern? Schmierl, Schneider und Struck verweisen darauf, dass es die Mitbestimmung in dieser Branche schwer hat. Außer bei DHL, das zur Deutschen Post gehört, spielen Gewerkschaften und Betriebsräte kaum eine Rolle. Vor allem nicht unter den Zustellerinnen und Zustellern, die formal häufig als Solo-Selbstständige arbeiten. Sie zu organisieren, sei schon aufgrund der hohen Fluktuation, der Sprachbarrieren, der kleinbetrieblichen Unternehmensstrukturen und der ständigen Bewegung hochgradig individualisierter Fahrerinnen und Fahrer nicht leicht. Daher setzen die Wissenschaftlerin und die Wissenschaftler eher auf „die politische Regulierung von Transport- und Arbeitsverfahren durch die bundesdeutsche und europäische Gesetzgebung“ und auf Aufklärung der Bürger und Bürgerinnen über die „Begleiterscheinungen ihres Konsumhandelns“. Nachweislich bessere Arbeitsbedingungen zu bieten als die Konkurrenz, könnte dann im besten Fall zum Wettbewerbsvorteil werden.

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