Quelle: HBS
Böckler ImpulsMultinationale Unternehmen: Mitsprache oft unerwünscht
Multinationale Konzerne stellen eine Herausforderung für die Mitbestimmung dar. Das sollte die Politik im Auge behalten, wenn sie sich um ausländische Investitionen bemüht.
Die Globalisierung hat zu enormer Machtkonzentration in der Privatwirtschaft geführt: Manche Unternehmen sind praktisch weltweit aktiv, ihre Umsätze höher als das Bruttoinlandsprodukt vieler Staaten. Wie sich solche Organisationen mit ihren grenzüberschreitenden Aktivitäten auf die Arbeitsbeziehungen auswirken, hat Uwe Jirjahn von der Universität Trier untersucht. Der Ökonom hat für seine Studie den Stand der Forschungsliteratur zu diesem Thema ausgewertet. Der Analyse zufolge erschweren multinationale Konzerne aus Beschäftigtensicht in mancherlei Hinsicht eine wirksame Interessenvertretung – und machen sie gleichzeitig umso dringlicher.
Wie multinationale Unternehmen zu Arbeitnehmervertretungen in Form von Betriebsräten oder Gewerkschaften stehen, sei aus theoretischer Sicht eine offene Frage, schreibt Jirjahn. Einerseits könne die Zusammenarbeit mit solchen Institutionen den Firmen dabei helfen, sich an lokale Bedürfnisse anzupassen, Unsicherheiten zu reduzieren und eine kooperative Beziehung zur Belegschaft aufzubauen. Flächentarifverträge könnten zudem Verteilungskämpfen auf betrieblicher Ebene vorbeugen.
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Andererseits seien viele Unternehmen bemüht, auch ihre ausländischen Filialen nach konzernweit einheitlichen Standards zu managen, und daher wenig gewillt, auf die spezifischen Bedürfnisse der Beschäftigten vor Ort Rücksicht zu nehmen. Weil multinationale Konzerne Produktion bei Bedarf jederzeit verlagern können, seien sie grundsätzlich weniger interessiert an langfristig gedeihlichen Arbeitsbeziehungen. Ein weiteres Problem: Mitbestimmung funktioniert schlecht, wenn relevante Entscheidungen in einer ausländischen Zentrale getroffen werden.
Empirische Untersuchungen sprechen laut der Auswertung dafür, dass bei vielen multinationalen Unternehmen die Abneigung gegenüber Institutionen der Arbeitnehmervertretung überwiegt. Zwar zeige sich, dass Investoren heterogen sind und unterschiedliche Strategien verfolgen, so der Autor. Unternehmen aus Ländern mit starken Arbeitnehmervertretungen investierten beispielsweise eher in Ländern mit ähnlichen Institutionen. Doch unter dem Strich deute die internationale Forschung darauf hin, dass sich unter anderem zentralisierte Tarifverhandlungen oder ein hoher gewerkschaftlicher Organisationsgrad negativ auf ausländische Direktinvestitionen auswirken. Insofern sei die Gefahr nicht von der Hand zu weisen, dass im Standortwettbewerb Arbeitnehmerrechte unter die Räder kommen. Internationale Mindeststandards wären daher zu begrüßen.
Auch nachdem Konzerne im Ausland investiert haben, nehmen sie dort Einfluss auf die Arbeitsbeziehungen: In Deutschland sind Unternehmen mit ausländischen Eigentümern seltener tarifgebunden als die einheimische Konkurrenz, am geringsten ist der Anteil, wenn die Zentrale außerhalb von Europa liegt. Betrieblich mitbestimmt scheinen die Filialen ausländischer Konzerne dagegen überdurchschnittlich oft zu sein. Laut Jirjahn dürfte das aber wenig mit einer wohlwollenden Haltung der Eigentümer zu tun haben, sondern vielmehr mit einem besonders ausgeprägten Bedürfnis der Beschäftigten, ihre Interessen zu schützen. Tatsächlich ist die Kooperation zwischen Betriebsrat und Management in diesen Firmen weniger ausgeprägt. Eine Folge: Die vorteilhaften Auswirkungen von Mitbestimmung auf die Produktivität fallen geringer aus.
Auch negative Effekte auf die Verhandlungsmacht von Arbeitnehmervertretungen lassen sich der Literaturauswertung zufolge empirisch nachweisen. Die Drohung mit Produktionsverlagerungen sei ein Trumpf für die multinationalen Konzerne und mache gleichzeitig Institutionen wie Gewerkschaften oder Betriebsräte umso wichtiger für den Schutz von Beschäftigteninteressen. Tatsächlich ist in Deutschland der Einfluss von Betriebsräten auf die betriebliche Gesundheitsvorsorge bei ausländischen Eigentümern sogar überdurchschnittlich hoch, was mit besonders belastenden Arbeitsbedingungen in diesen Firmen zusammenhängen dürfte.
Solche Arbeitsbedingungen dürften ebenso wie kulturelle Unterschiede sowie fehlende Transparenz bei Entscheidungen, die in einer ausländischen Zentrale gefällt werden, das Vertrauen zwischen Beschäftigten und Management untergraben und für mehr Konflikte sorgen. Tatsächlich ist ein erhöhtes Streikaufkommen bei multinationalen Unternehmen für diverse Länder belegt.
Als Fazit hält der Forscher fest, dass multinationale Konzerne für die Arbeitsbeziehungen in mancherlei Hinsicht ein Problem darstellen. Bei der Bewertung der Folgen von Globalisierung sollte das in Rechnung gestellt werden. Da Beschäftigtenvertretungen eine wichtige Rolle nicht nur für die ökonomische Leistungsfähigkeit, sondern auch für die Demokratie spielen, sollte die Politik sich bemühen, negative Auswirkungen einzudämmen.
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Uwe Jirjahn: Corporate Globalization and Worker Representation, IZA Discussion Paper Nr. 16727, Januar 2024