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Mehr Technik heißt nicht weniger Arbeit Böckler Impuls

Medizin: Mehr Technik heißt nicht weniger Arbeit

Ausgabe 16/2024

Digitalisierung im Gesundheitswesen kann nur funktionieren, wenn die Beschäftigten im Mittelpunkt stehen.

Digitale Technologien verändern die Arbeit im Gesundheitswesen. Sie können die Beschäftigten entlasten, aber auch zusätzliche Belastungen mit sich bringen. Entscheidend ist, wie die Nutzerinnen und Nutzer einbezogen und geschult werden. Das zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie eines Forschungsteams der Ruhr-Universität Bochum und der FU Berlin in Zusammenarbeit mit der Berliner Charité. Die Forscherinnen und Forscher haben untersucht, wie sich der Einsatz digitaler Technologien auf die Arbeitsabläufe und Arbeitsbedingungen auswirkt. Grundlage waren Interviews mit Beschäftigten und Beobachtungen. Betrachtet wurden digitale Technologien in zwei Bereichen: zum einen eine Dokumentationssoftware, die auf Intensivstationen eingesetzt wird, zum anderen algorithmenbasierte Entscheidungshilfen in der Krebsdiagnostik.

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„Die digitale Transformation im Gesundheitswesen ist keine nebensächliche Aufgabe, sondern eine zentrale strategische Herausforderung“, schreiben die Forschenden. „Es müssen gezielt finanzielle und zeitliche Ressourcen in die Entwicklung von Technologien und organisatorischen Rahmenbedingungen investiert werden, die die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten und die Qualität der Patientenversorgung verbessern.“ Das medizinische Personal sei Neuerungen gegenüber durchaus aufgeschlossen. Kritisch betrachteten sie jedoch, dass neue Systeme, wenn schlecht umgesetzt, bestehende Arbeitsabläufe erschweren, Aufgaben unnötig verlängern und doppelte Arbeit verursachen können. „Die Studie zeigt eines sehr klar“, erklärt Christina Schildmann, Leiterin der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung: „Digitale Informationssysteme, die eigentlich die Arbeit erleichtern sollen, können zu einer erheblichen Belastung für das medizinische Personal werden. Das zu verhindern gelingt nur, wenn ihr Einsatz von Anfang an mit dem Personal auf den Stationen abgestimmt und durch die Interessenvertretung mitbestimmt wird.“

Datenflut auf der Intensivstation

Auf der Intensivstation der Charité ist das Critical Care Information System (CCIS) allgegenwärtig. Dabei handelt es sich um ein Softwaresystem, das das Personal bei der Verwaltung komplexer klinischer Daten und bei der datengestützten Entscheidungsfindung unterstützen soll. Es kommt bei verschiedenen Tätigkeiten rund um Diagnose, Behandlung und Medikation zum Einsatz und wird damit als Basis für die Abrechnung, das Qualitätsmanagement und die Forschung verwendet. Die Notwendigkeit einer entsprechenden Software wird von den Beschäftigten nicht infrage gestellt, da sie viele für die tägliche Arbeit notwendige Funktionen bereitstellt. Allerdings scheint die Benutzerfreundlichkeit verbesserungswürdig zu sein. Einige Aufgaben erfordern zu viele Klicks und damit zu viel Zeit. Außerdem werden auf manchen Seiten nicht alle relevanten Informationen angezeigt, so dass diese in einem anderen System gesucht oder versteckte Datenfelder entdeckt werden müssen. Aufgrund von Unterbrechungen und Zeitmangel wird teilweise auf Papiernotizen zurückgegriffen, die später in das CCIS übertragen werden, was eine mögliche Fehlerquelle darstellt. Die zur Verfügung gestellten Selbstlernprogramme empfinden die Beschäftigten in Teilen als zu anspruchsvoll. Zudem wissen sie oft nicht, dass es dieses Schulungsmaterial gibt, oder geben an, dass sie während ihrer Schicht keine Zeit hätten, sich damit zu beschäftigen. „Die umfangreichen Anforderungen von Systemen wie CCIS haben sich als erhebliche Belastung für das medizinische Personal erwiesen“, so die Studie. Diese werde durch die eingeschränkte Kompatibilität zwischen verschiedenen Systemen und technischen Geräten noch verstärkt. 

KI in der Krebserkennung

In einer zweiten Fallstudie untersuchten die Forschenden die Einführung eines algorithmenbasierten Entscheidungs­unterstützungssystems, das bei der Auswertung von MRT-Bildern zur Diagnose von Prostatakrebs hilft. Durch den Einsatz der Software hat sich die diagnostische Genauigkeit erheblich verbessert. Insbesondere weniger erfahrene Ärzte und Ärztinnen aus den Bereichen Radiologie und Urologie schätzen den digitalen Assistenten als Orientierungshilfe. Radiologinnen berichten, dass sich die Software leicht in ihre Arbeit integrieren lässt. Urologen sehen die algorithmenbasierte Analyse als wertvolle Ergänzung zu invasiven Biopsieverfahren, betonen aber auch die Notwendigkeit einer kontinuierlichen wissenschaftlichen Überprüfung. Insgesamt zeigt das Beispiel, wie eine neue Technologie sowohl die Arbeit erleichtern als auch dem Wohl der Patienten und Patientinnen dienen kann.

Damit digitale Technologien die Arbeit in Gesundheitsberufen wirklich unterstützen und nicht behindern, müsse die Nutzerfreundlichkeit im Vordergrund stehen, so die Forschenden. Möglichkeiten des Feedbacks sowie die Mitbestimmung durch eine Interessenvertretung der Beschäftigten seien von entscheidender Bedeutung. Zudem müssten die Beschäftigten wissen, wie sie das System effektiv und fachgerecht nutzen können. Dazu seien mehr Weiterbildungsangebote notwendig.

Pauline Kuss u. a.: Algorithms and Agency in Hospitals, Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 349, August 2024

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