Quelle: HBS
Böckler ImpulsArbeitskämpfe: Mehr Streiks in einem friedlichen Land
2006 war für deutsche Verhältnisse ein Jahr mit harten Arbeitskämpfen. Im europäischen Vergleich geht es hierzulande trotzdem zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern noch recht friedlich zu.
Die amtliche Statistik hat für das vergangene Jahr 166.000 Streikende und 429.000 Streiktage registriert. Pro tausend Beschäftigte fielen damit 12,4 Arbeitstage durch Streik oder Aussperrung aus. Das ist der höchste Wert seit 1993 - damals lag der Ausfall bei 17,5 Tagen, wie eine aktuelle Auswertung des WSI zeigt.
Zwar schwankt die Zahl der Ausfalltage von Jahr zu Jahr: 2005 beispielsweise betrug sie gerade einmal 0,5 Tage. WSI-Wissenschaftler Heiner Dribbusch erkennt in der Entwicklung aber trotzdem einen Trend. Vor allem beim näheren Blick auf charakteristische Arbeitskämpfe 2006 - wie etwa die Streiks im öffentlichen Dienst oder bei AEG in Nürnberg - zeigt sich: Die Auseinandersetzungen dauerten lange. Und es ging oft nicht um Gehaltsverhandlungen, sondern um Fragen wie Arbeitszeitverlängerung oder die soziale Abfederung einer Standortschließung: "Viele Arbeitskämpfe des letzten Jahres waren nicht gestiegener Streikfreude der Gewerkschaften, sondern dem unternehmerischen Angriff auf tarifliche Standards geschuldet", resümiert Dribbusch mit Blick auf den öffentlichen Dienst. Parallel eskalierten zunehmend Auseinandersetzungen in einzelnen Betrieben: "Spätestens bei Schließungsdrohungen fallen auch in streikarmen Branchen Barrieren gegenüber Arbeitsniederlegungen." Solche "defensiven Arbeitskämpfe" könnten zunehmen, prognostiziert der Experte.
Im längerfristigen europäischen Vergleich ist Deutschland aber nach wie vor ein sehr streikarmes Land, wozu nach Analyse vieler Forscher das Tarifsystem ebenso beiträgt wie die "sozialpartnerschaftliche Einbindung" durch die Mitbestimmung. Zwischen 1996 und 2005 - neuere Daten aus anderen europäischen Ländern liegen noch nicht vor - ging es in der Bundesrepublik mit im Jahresdurchschnitt 2,4 ausgefallenen Arbeitstagen pro tausend Beschäftigten sogar noch deutlich friedlicher zu als in der Schweiz. Bezieht man für Deutschland das Jahr 2006 mit ein, steigt dieser Wert moderat auf 3,3 Tage.
Heiner Dribbusch ist Experte für industrielle Beziehungen des WSI in der Hans-Böckler-Stiftung.