Quelle: HBS
Böckler ImpulsGender: Mehr Hauptverdienerinnen
In einer steigenden Zahl von Haushalten erwirtschaften Frauen das Haupteinkommen. Es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass dies an veränderten Rollenbildern liegt.
Der Mann verdient das Geld, die Frau hütet Haushalt und Kinder. Das war einst das unangefochtene Standardmodell der familiären Arbeitsteilung. Abgelöst wurde es vom Hinzuverdienermodell, in dem die Frau zumindest den kleineren Teil des Erwerbseinkommens beisteuert. Im modernen Zweiverdienermodell schließlich kommen beide Partner auf ähnliche Einkommen. Vergleichsweise selten kommt es jedoch bis heute vor, dass die Frau die Hauptverdienerin, die „Familienernährerin“ ist. Allerdings nimmt der Zahl solcher Haushalte zu, wie eine Untersuchung von WSI-Forscher Wolfram Brehmer sowie Christina Klenner und Tanja Schmidt zeigt. Sie haben Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP), einer regelmäßig wiederholten, repräsentativen Haushaltsbefragung, ausgewertet. Demnach hatten im Zeitraum von 2007 bis 2016 im Schnitt knapp 11 Prozent der Paarhaushalte in Deutschland eine Hauptverdienerin. Wobei die Quote im Laufe des Untersuchungszeitraums von 9,9 auf 11,9 Prozent gestiegen ist.
In zwei Dritteln der Haushalte verdienten die Männer mehr, ein knappes Viertel waren Haushalte „mit egalitärer Einkommenserwirtschaftung“. Die Grundgesamtheit bilden alle heterosexuellen Paarhaushalte – mit oder ohne Kinder. Als Familienernährer oder -ernährerin gilt, wer 60 Prozent oder mehr zum Haushaltseinkommen beiträgt. Kapitalerträge oder Sozialtransfers, die nicht unmittelbar einer Person zugeordnet werden können, bleiben außen vor.
Unter welchen Umständen werden Frauen nun zu Familienernährerinnen? Denkbar wären verschiedene Entwicklungen und Motive. Zum Beispiel könnten sich gut ausgebildete Frauen mit Karriereambitionen mit Männern zusammentun, die keine Selbstverwirklichung im Beruf anstreben, sondern sich ihre Energie lieber für die Kinder aufsparen. Tatsächlich ist die Bandbreite der Konstellationen recht groß, trotzdem konnten die Forschenden eine Reihe typischer Muster herausfiltern.
Unfreiwillige Familienernährerinnen
Der Faktor mit dem größten Einfluss ist der Erwerbsstatus des Mannes. Am häufigsten werden Frauen schlicht dadurch zu Hauptverdienerinnen, dass der Mann seinen Job verliert. In die gleiche Richtung wirkt – oft unfreiwillige – Teilzeit- oder geringfügige Beschäftigung des Mannes. Das erklärt den Forschenden zufolge auch einen Teil des Anstiegs der Zahl der Familienernährerinnen-Haushalte: In den Untersuchungszeitraum fällt die große Finanz- und Wirtschaftskrise, die gerade viele Männer ihren Arbeitsplatz gekostet oder ihnen zumindest Kurzarbeit beschert hat – ein Effekt, der auch in anderen europäischen Ländern die Haushalte mit Hauptverdienerin vermehrt hat.
Die Wahrscheinlichkeit für eine Familienernährerinnen-Konstellation steigt auch, wenn der Mann einen Migrationshintergrund und dadurch schlechtere Chancen am Arbeitsmarkt hat oder selbstständig ist. Eine gute berufliche Position der Frau erhöht die Chance, zur Hauptverdienerin zu werden, etwa wenn sie in einem gut bezahlenden Großbetrieb oder dem öffentlichen Dienst arbeitet.
Den größeren Teil des Einkommens verdienen Frauen oft auch dann, wenn kleine Kinder im Haushalt leben und die Väter Elternzeit nehmen oder wenn sich die Partner noch in der Ausbildung befinden. In Haushalten mit älteren Hauptverdienerinnen kann der Mann bereits aus dem Berufsleben ausgeschieden sein.
Die Haushalte von Familienernährerinnen zählen in aller Regel nicht zu den wohlhabenden. Knapp die Hälfte „rangiert in einer prekären Einkommenssituation“, so die Forschenden, und rund 20 Prozent sind „im strengen Sinne arm“. Daran ändert die Tatsache nichts, dass Hauptverdienerinnen häufiger als ihre Geschlechtsgenossinnen in traditionellen Familienarrangements akademische Abschlüsse haben und eine höhere berufliche Stellung bekleiden. Denn auf der anderen Seite haben rund 15 Prozent in der Gruppe der Familienernährerinnen keinen Berufsabschluss und knapp die Hälfte arbeitet in „niedriger beruflicher Stellung“.
Welche Rolle spielen Einstellungen?
Zumindest in einem der Untersuchungsjahre, nämlich 2012, wurde im SOEP auch die „Geschlechterrollenorientierung“ der Befragten erfasst, also ob die Interviewten eher eine traditionelle oder eine egalitäre Arbeitsteilung zwischen Frau und Mann befürworten. Dabei findet das egalitäre Modell mit etwa 85 Prozent Zustimmung unter Familienernährerinnen zwar großen Zuspruch. Die Zustimmungsrate liegt jedoch sieben Prozentpunkte unter dem Wert für Frauen in Haushalten, die in Sachen Einkommen tatsächlich als egalitär einzustufen sind. Und „einen signifikanten Zusammenhang zwischen egalitären Geschlechterrollenorientierungen und der Einkommensrelation im Paarhaushalt“ konnten Brehmer, Klenner und Schmidt statistisch nicht nachweisen. Das bedeutet: Die Einstellung zu Geschlechterrollen wirkt sich offenbar nicht auf die Einkommensverteilung von Paaren aus.Die Forschenden kommen zu dem Schluss: „Dass Familienernährerinnen-Konstellationen auf bewusst gewählten Strategien der Paare beruhen, lässt sich anhand der verfügbaren Daten nicht bestätigen.“ Die meisten Paare planen nicht, dass die Frau den Löwenanteil der Erwerbsarbeit übernimmt, sondern geraten in die Situation hinein.
Ost und West
Ostdeutschland unterscheidet sich deutlich vom Westen – was nicht zuletzt an der längeren Tradition der Frauenerwerbstätigkeit liegen dürfte. Im Osten beträgt die Hauptverdienerinnen-Quote im Durchschnitt der untersuchten Jahre 16,2 Prozent, im Westen nur 9,5 Prozent. Auch die mit dem Zusammenbruch der DDR-Industrie gesunkenen Einkommenschancen für Männer könnten ein Grund sein, vermuten die Forschenden. Einige der gefundenen Zusammenhänge gelten nur für einen von beiden Landesteilen. So erhöht ein akademischer Abschluss die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau Familienernährerin wird, nur in Westdeutschland, während bei Frauen im Osten keine signifikante Beziehung besteht.
Überholte Leitbilder
Auch wenn das Familienernährerinnen-Modell meist nicht aus Überzeugung gewählt wird, ist es ein Bestandteil der gesellschaftlichen Realität, konstatieren die Wissenschaftlerinnen und der Wissenschaftler. Und angesichts von Prekarisierungsprozessen am Arbeitsmarkt, die besonders Männer mit eher geringer Qualifikation oder Migrationshintergrund betreffen, sowie einer steten Verbesserung der Ausbildung und beruflichen Positionen von Frauen dürfte die Zahl der Haushalte mit Hauptverdienerin weiter zunehmen. Das müsse auch die Politik zur Kenntnis nehmen, die sich „gegenwärtig mit einer inkonsistenten Mischung von Regelungen und Leistungen teilweise am Bild des männlichen Familienernährers, teilweise an einem gleichberechtigten Zweiverdienermodell“ orientiert, schreiben die Forschenden. Auf „die neuen Familienkonstellationen mit Familienernährerinnen“ sei man „bisher nicht adäquat eingestellt“ . Nötig sei zudem „eine konsequente Gleichstellung von Frauen und Männern im Beruf sowie eine bessere Vereinbarkeit von Fürsorge und Beruf für beide Geschlechter“.
Wolfram Brehmer, Christina Klenner, Tanja Schmidt: Was macht Frauen in Deutschland zu Familienernährerinnen? WSI-Report Nr. 70, Januar 2022