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Mehr als zwei Millionen Mieter in prekärer Lage Böckler Impuls

Wohnen: Mehr als zwei Millionen Mieter in prekärer Lage

Ausgabe 13/2021

Fast 13 Prozent der Mieterhaushalte in deutschen Großstädten haben nach Abzug der Miete weniger als das Existenzminimum zur Verfügung. Besonders für Menschen mit geringen Einkommen gibt es in Großstädten viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum.

Die hohe Mietbelastung bringt knapp 1,1 Millionen oder 12,9 Prozent aller Mieterhaushalte in deutschen Großstädten in eine sehr prekäre Lage. Diesen Haushalten mit rund 2,1 Millionen Menschen bleibt weniger als das im Sozialrecht festgelegte Existenzminimum übrig, nachdem sie Miete und Nebenkosten bezahlt haben. Dabei sind eventuelle Sozialtransfers und Wohngeld bereits berücksichtigt. Das ist das Ergebnis einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie der Berliner Humboldt-Universität. Ein Forschungsteam um den Stadtsoziologen Andrej Holm hat dafür die neuesten verfügbaren Daten aus dem Mikrozensus 2018 ausgewertet. „Die Wohnverhältnisse sind nicht nur Ausdruck, sondern selbst Faktor der sozialen Ungleichheit in unseren Städten. Die ohnehin schon bestehende Einkommenspolarisierung wird durch die Mietzahlung verstärkt. Und: Wohnen kann arm machen“, resümieren die Forscher.

Besonders stark betroffen sind Haushalte von Alleinerziehenden: In dieser Gruppe bleibt einem Viertel nur ein Resteinkommen unterhalb des ALG-II-Regelbedarfs beziehungsweise des Existenzminimums. Gleichzeitig verstärken hohe Wohnkosten die Einkommensspreizung in den Großstädten deutlich: Mieterhaushalte der höchsten Einkommensklasse haben vor Abzug von Warmmiete und Nebenkosten im Mittel 4,4-mal so viel monatliches Nettoeinkommen wie die Haushalte der niedrigsten Einkommensklasse. Nach Zahlung der Bruttowarmmiete steigt dieser Faktor auf das 6,7-fache. Grund dafür: Ärmere Haushalte müssen einen überdurchschnittlich hohen Anteil ihres Einkommens fürs Wohnen aufwenden, obwohl sie in kleineren und schlechter ausgestatteten Wohnungen leben.

Die Studie liefert Detailanalysen zur Wohnsituation der insgesamt rund 8,4 Millionen Mieterhaushalte in den deutschen Großstädten. Zudem zeigt sie für alle 77 Großstädte, wie gut oder schlecht die ansässige Bevölkerung mit für sie in Preis und Größe angemessenen Wohnungen versorgt ist. Zentrale Faktoren sind dabei sowohl die lokale Miethöhe als auch das Einkommensniveau. 

Jede zweite Wohnung zu klein oder zu teuer

Sowohl in Städten mit schwieriger wirtschaftlicher Situation als auch in relativ wohlhabenden Städten mit hohen Mieten gibt es viele Menschen, deren Mietbelastung zu hoch ist. Besonders prekär ist die Lage in Bremerhaven, Recklinghausen, Krefeld, Saarbrücken, Aachen, Darmstadt, Wiesbaden oder Düsseldorf. Vergleichsweise gut schneiden Chemnitz, Dresden, Koblenz, Leipzig, Ingolstadt, Erfurt, Bottrop oder Magdeburg ab. Bei den Metropolen ist die Situation vor allem in Hamburg München und Köln kritisch. Bundesweit ist gut jede zweite Wohnung in Großstädten für ihre Bewohner entweder zu klein oder zu teuer, gemessen an der im Sozialrecht als angemessen geltenden Quadratmeterzahl und daran, dass nicht mehr als 30 Prozent des Nettoeinkommens für die Bruttowarmmiete ausgegeben werden sollten. Bei Sozialwissenschaftlern wie bei Immobilienexperten gilt eine Mietbelastungsquote oberhalb von 30 Prozent als problematisch, weil dann – insbesondere bei niedrigerem Einkommen – nur noch wenig Geld zum Leben übrigbleibt. Auch viele Vermieter ziehen hier eine Grenze, weil sie zweifeln, dass Mieter mit weniger Einkommen sich ihre Wohnung dauerhaft leisten können.

Die neue Untersuchung ergänzt eine Mitte Juni veröffentlichte Studie. Darin hatten die Wissenschaftler unter anderem gezeigt, dass 49,2 Prozent der Haushalte, die in Deutschlands Großstädten zur Miete wohnen, mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens ausgeben müssen, um ihre Bruttowarmmiete zu bezahlen. Gut ein Viertel von ihnen in den 77 deutschen Großstädten muss sogar mindestens 40 Prozent des Einkommens für Warmmiete und Nebenkosten aufwenden. 

In den vergangenen Jahren ist die durchschnittliche Mietbelastung zwar etwas zurückgegangen, weil auch bei Großstädtern die Einkommen stärker stiegen als die Wohnkosten. Dabei zeigen sich aber soziale Unterschiede: Für viele ärmere Haushalte entspannte sich die Situation kaum. Neun von zehn Haushalten in Großstädten, die an der Armutsgrenze leben, geben mehr als 30 Prozent ihres Nettoeinkommens fürs Wohnen aus. Das bedeutet: Besonders für Menschen mit geringen Einkommen gibt es in Großstädten viel zu wenig bezahlbaren Wohnraum.

Arme haben weniger Platz

Hinzu kommt, dass Geringverdiener pro Kopf nur 38 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung haben. Dabei sind Räume wie Küchen oder Bäder bei Mehrpersonenhaushalten anteilig eingerechnet. Im Durchschnitt aller Großstadthaushalte beträgt die Wohnfläche pro Kopf 45 Quadratmeter. In Mieterhaushalten mit hohen Einkommen sind es 51 Quadratmeter. Wenig überraschend steht Paaren mit Kindern mit 27 Quadratmetern die geringste Pro-Kopf-Wohnfläche zur Verfügung. Es folgen Alleinerziehende mit 33 Quadratmetern, Paare ohne Kinder mit 40 Quadratmetern und Alleinstehende mit 56 Quadratmetern. Zugleich weisen Alleinlebende und Alleinerziehende mit durchschnittlich gut 34 Prozent vom Nettoeinkommen die höchsten Mietbelastungsquoten auf.

Die etwa 2,6 Millionen Mieterhaushalte mit Migrationshintergrund haben im Mittel geringere Wohnflächen und etwas höhere Mietbelastungsquoten, was unter anderem an niedrigeren Einkommen liegt. Während Haushalte ohne Migrationshintergrund im Mittel auf 50 Quadratmetern Wohnfläche pro Person leben, sind es bei den Haushalten mit Migrationshintergrund nur 34 Quadratmeter. Trotz der kleineren Wohnungen müssen sie mit einer mittleren Mietbelastung von 30,6 Prozent einen größeren Anteil ihres Einkommens für die Wohnkosten ausgeben als Haushalte ohne Migrationshintergrund, deren Mietkostenbelastung bei 29,4 Prozent liegt.

Neubau allein reicht nicht

Mieterhaushalte mit niedrigen Einkommen wohnen häufiger in Gebäuden, die zwischen 1919 und 1978 errichtet worden sind. In Neubauten, die seit der Jahrtausendwende gebaut wurden, sind ärmere Haushalte deutlich unterrepräsentiert. Das zeigt einerseits den Rückzug des sozialen Wohnungsbaus in den letzten Jahrzehnten. Andererseits macht es nach Analyse der Forschenden generell deutlich, dass verstärkter Neubau von günstigen Wohnungen zwar wichtig zur Linderung der Wohnungsnot ist, aber nicht der einzige Ansatz sein kann: „Für die große Mehrzahl der Bevölkerung werden die Wohnverhältnisse nicht von den Neubauaktivitäten, sondern vom Umgang mit dem Wohnungsbestand und den Mietpreisregulierungen in diesen Wohnungen bestimmt.“

Um die Wohnungsprobleme in den deutschen Großstädten zu lindern, wäre nach Analyse der Forschenden ein deutlich größeres Angebot an Wohnungen mit einer Bruttowarmmiete von maximal 9 Euro pro Quadratmeter nötig. Das entspricht einer Nettokaltmiete von höchstens 6,35 Euro. Insbesondere kleine Wohnungen für Singles werden benötigt. Aktuell bräuchten 1,4 Millionen Großstadthaushalte eine Wohnung dieser Mietpreisklasse, um eine ihrem Einkommen angemessene Bleibe zu haben, tatsächlich wohnen sie teurer. Wollte man diese Lücke durch den Neubau von Sozialwohnungen schließen, würde das nach Berechnung der Stadtsoziologen beim aktuellen Förderumfang fast 60 Jahre dauern.

Andrej Holm, Valentin Regnault, Max Sprengholz, Meret Stephan: Muster sozialer Ungleichheit der Wohnversorgung in deutschen Großstädten (pdf), Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 222, August 2021

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