Quelle: HBS
Böckler ImpulsBildungsfinanzierung: Lerngutscheine für alle
Von den Bildungsausgaben des deutschen Staats profitieren Akademiker stärker als Facharbeiter. Für mehr Gerechtigkeit können Bildungskonten sorgen, sagt der Forscher Klaus Klemm.
Ausgerechnet für die Bildung ihrer Jüngsten geben die Deutschen eher wenig aus - wie erklären Sie das?
Klemm: Wir erteilen ihnen weniger Unterricht. Der Hauptgrund für die im internationalen Vergleich niedrigen Ausgaben ist die Halbtagsschule - andere Länder betreuen ihre Schulanfänger ganztags, mit Verpflegung. An den Lehrern wird in Deutschland nicht gespart, sie verdienen eher mehr als im Ausland.
Müssten wir - gerade mit Blick auf "PISA" - nicht mehr für einen guten Einstieg in die Bildung investieren?
Klemm: Frühe Betreuung kann den späteren Bildungserfolg ganz erheblich befördern. Grundschülern merkt man an ihrem Verhalten und ihren Fähigkeiten an, ob sie im Kindergarten waren oder nicht. Besonders wichtig wäre eine Förderung der Kinder, die kaum oder gar nicht deutsch sprechen. Das gelingt uns nicht gut. Migrantenkinder in Deutschland fallen international durch sehr schlechte Ergebnisse auf. In Ganztagsschulen könnten wir Kinder von Migranten und aus bildungsfernen Familien viel besser fördern als bisher.
Und warum sind die Ausgaben für Gymnasien und Hochschulen bei uns höher als in anderen Ländern?
Klemm: Wir zahlen einen Preis dafür, dass wir die Oberstufen an den Gymnasien ansiedeln und nicht an eigenen Schulen wie andere. Nur wenige Schüler eines Jahrgangs kommen bis zur Oberstufe, ihnen möchte man möglichst viele Fächer anbieten. Das ist uneffizient. In Frankreich besuchen 2.000 bis 3.000 Schüler eine eigenständige Oberstufe. Da ist es billiger, ein vielfältiges Angebot zu machen. Und unsere Hochschulen sind vor allem wegen der langen Studienzeiten so teuer.
Werden Gymnasiasten von den Bildungsausgaben privilegiert?
Klemm: Sie sind privilegiert, aber erst bei ihrer gesamten Bildungskarriere. Ein Gymnasiast kostet 5.300 Euro pro Jahr, ein Hauptschüler 5.200. Hier ist der Unterschied noch nicht so riesig. Aber in der Summe bekommen Akademiker fast doppelt so viel vom Staat wie Hauptschüler mit Lehre.
Nun kostet ein Medizinstudium natürlich mehr als eine Maurerlehre.
Klemm: Das schon, aber der Maurer muss bei uns heute die Meisterschule selbst zahlen - der Arzt lässt sich gratis ausbilden. Ob das gerecht ist, darf man bezweifeln.
Können Studiengebühren mehr Gerechtigkeit schaffen?
Klemm: Ich halte die bisher bekannten Modelle für nicht sozialverträglich, weil sie die Finanzkraft der Studierenden außer Acht lassen. Und sie trennen nicht zwischen Studierenden, die jobben müssen, und jenen, die das nicht brauchen. Wer jobbt, besucht weniger Seminare, er erhält also weniger Leistung. Warum zahlt er so viel wie Vollzeitstudenten?
Was schlagen Sie vor?
Klemm: Bildungskonten zu nehmen, wie es der Sachverständigenrat Bildung bei der Hans-Böckler-Stiftung empfohlen hat. Der Staat fördert das Bausparen, aber Sparen für die Ausbildung nicht. Mit einem Bildungskonto könnten wir die Ausgaben steuern: Vom Konto werden alle Ausbildungen gezahlt, die über die Schulpflicht hinausgehen. Der Staat überweist Gutscheine, und der Einzelne kann frei entscheiden, für welche Schule oder Kurse er sie ausgibt. Dadurch würden neben Gymnasial- und Hochschulbildung auch die Berufsqualifizierung und das lebenslange Lernen unterstützt.
Klaus Klemm: Professor der Uni Duisburg-Essen, ist Autor eines alternativen Modells zur Bildungsfinanzierung. Der frühere Sprecher des Sachverständigenrats Bildung bei der Hans-Böckler-Stiftung beziffert in einer Studie "Bildungsausgaben in Deutschland", wie viel Geld hierzulande für´s Lernen fließt - im internationalen Vergleich zu wenig. Gutachten für den Sachverständigenrat Bildung bei der Hans-Böckler-Stiftung (pdf)