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HBS Böckler Impuls

Kündigungsschutz: Kleinbetriebe: Stochern im Nebel

Ausgabe 01/2005

Das Kündigungsschutzgesetz hält insbesondere kleine Betriebe davon ab, neue Arbeitsplätze zu schaffen - so eine gängige These im derzeitigen Streit. Verblüffendes Studienergebnis des WSI: Zu dieser Überzeugung führt die Kleinunternehmer offensichtlich nicht der tatsächliche Kündigungsschutz, sondern der gefühlte.

Rund zwei Drittel aller Unternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitern meinten in der WSI-Studie, sie seien durch den gesetzlichen Kündigungsschutz in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt. Tatsache ist: Er gilt für sie gar nicht.

Hartnäckig hält sich unterdessen die Behauptung, Kleinbetriebe würden zusätzliche Arbeitskräfte nur deshalb nicht einstellen, weil sie befürchten, dann unter den gesetzlichen Kündigungsschutz zu fallen.

Hat der deutsche Kündigungsschutz - wenn auch nur der gefühlte - tatsächlich eine beschäftigungshemmende Wirkung? Sprich: Vermeiden kleine Unternehmen Einstellungen, um dem Geltungsbereich des Gesetzes auszuweichen?

Mehrere empirische Untersuchungen haben versucht, die Geltungsschwelle des Gesetzes gleichsam als Hemmschwelle für die Einstellung weiterer Arbeitnehmer auszumachen. Doch einen solchen Beweis hat bislang keine Studie erbringen können. Im Gegenteil: Die unterschiedlichen Schwellenwerte im deutschen Kündigungsschutzrecht haben weder die Zahl der Einstellungen noch die der Kündigungen messbar verändert, ergab eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung.

Arbeiten, die den Kündigungsschutz als Jobbremse darstellen, stützen sich auf Umfragen, welche die vermeintlichen Gründe für zukünftiges oder vergangenes Verhalten, nicht jedoch das konkrete Verhalten aus Sicht der Personalverantwortlichen erforschen. Es handelt sich dabei um reine Meinungsumfragen, die lediglich die skeptische Haltung der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitsrecht widerspiegeln. Die Hoffnung, mit Anhebung der Schwelle entstünden neue Jobs, kann als kühn bezeichnet werden.

Weniger Schutz statt mehr Arbeitsplätze

Die Bundesregierung hat den Schwellenwert zum 1. Januar 2004 von fünf auf zehn angehoben. Der Kündigungsschutz gilt nun in Betrieben mit mindestens elf Beschäftigten. Arbeitnehmer in Unternehmen mit sechs bis neun Mitarbeiter/innen, die bis Ende 2003 unter das Kündigungsschutzgesetz fielen, behalten allerdings diesen Schutz. Die Kritiker des deutschen Kündigungsschutzes sind dennoch nicht verstummt. CDU und BDA fordern, das Kündigungsschutzgesetz erst bei mehr als 20 Arbeitnehmern und erst nach zwei beziehungsweise drei Jahren Betriebszugehörigkeit gelten zu lassen. Mehr als neun Millionen Beschäftigte wären bei einem Schwellenwert von 20 ohne Kündigungsschutz.

Die kleineren Unternehmen müssten davor bewahrt werden, bei einer Kündigung mit langwierigen und kostspieligen Prozessen vor den Arbeitsgerichten überzogen zu werden, so die Begründung. Dies setzt allerdings voraus, dass kleine Unternehmen ihren Beschäftigten häufig kündigen und im Falle einer Kündigung mit einer Klage rechnen müssen. Doch beides ist nicht der Fall.

Es stimmt zwar, dass es in Betrieben mit maximal zehn Beschäftigten die stärksten Personalbewegungen gibt. Anders als große Unternehmen können sie einen Auftragsboom - oder eine Flaute - nicht so leicht intern auffangen. Deshalb ist der Anteil der Arbeitgeberkündigungen an allen Beendigungen von Arbeitsverhältnissen in Kleinstbetrieben höher als in großen Betrieben.

Aber auch in kleinen Unternehmen wird weniger als die Hälfte der Beendigungen durch eine Arbeitgeberkündigung veranlasst: Im statistischen Durchschnitt spricht ein Betrieb mit fünf Beschäftigten in drei Jahren zwei Kündigungen aus. In einem Unternehmen mit elf Mitarbeitern kommt im Schnitt die gleiche Kündigungsrate zusammen.

Klagen gegen Kündigungen sind dagegen weitaus seltener als in Großbetrieben. Während Unternehmen mit über 500 Beschäftigten - so die Personalverantwortlichen - bei gut einem Viertel aller Kündigungen eine Klage auf den Tisch bekommen, ist dies in Kleinstbetrieben mit bis zu zehn Beschäftigten gerade einmal bei zehn Prozent der Fall. Bei etwa zwei Kündigungen in drei Jahren müsste ein solches Unternehmen also alle 15 Jahre mit einer Kündigungsschutzklage rechnen.

Kündigungen kosten Kleine nichts

Kaufen sich die Kleinen stattdessen per Abfindung von ihren Mitarbeitern frei? Auch dies ist nicht der Fall: Abfindungen werden im Durchschnitt nur bei 15 Prozent aller Kündigungen durch den Arbeitgeber gezahlt. Sieht man auf alle Beendigungen von Arbeitsverhältnissen, dann zeigt sich, dass sogar nur jede/r Zehnte eine Abfindung mitbekommt.

Kleinunternehmen mit 6 bis 49 Beschäftigten gewähren nur bei 13 Prozent aller ausgesprochenen Kündigungen eine Abfindung. In der Überzahl der Fälle sind Kündigungen für kleine Arbeitgeber also praktisch umsonst. Bei Betrieben mit mehr als 500 Mitarbeitern zahlen hingegen 38 Prozent der Unternehmen nach einer Arbeitgeberkündigung eine Abfindung.

Drei Viertel aller Kleinstbetriebe glauben, das Arbeitsrecht überblicken zu können. Je mehr Erfahrung die Betriebe mit verschiedenen arbeitsrechtlichen Instrumenten haben, desto seltener geben sie allerdings an, einen solchen Überblick zu haben. Und desto häufiger halten sie Reformen für nötig. Eine systematische Auseinandersetzung mit dem Recht, sei es über eine Personalabteilung oder die längerfristige Personalplanung, erhöht dagegen die Zufriedenheit.

Die Vorteile vergessen?

In der aktuellen Debatte geraten die Vorteile des gesetzlichen Kündigungsschutzes völlig in Vergessenheit. Fühlen sich Beschäftigte vor ungerechtfertigten Kündigungen geschützt, sind sie eher bereit, sich unternehmensspezifisch fortzubilden und damit dem Arbeitgeber besser zu nutzen. Sollten mehr und mehr kleine Betriebe vom Kündigungsschutz ausgenommen werden, könnten diese im Wettbewerb um gute Arbeitnehmer ins Hintertreffen geraten. Die Großen könnten auf dem Arbeitsmarkt die Sahne abschöpfen. Kleine Unternehmen hätten das Nachsehen.

  • Das Kündigungsschutzgesetz hält insbesondere kleine Betriebe davon ab, neue Arbeitsplätze zu schaffen – so eine gängige These. Zu dieser Überzeugung führt die Kleinunternehmer jedoch nicht der tatsächliche Kündigungsschutz, sondern der gefühlte. Zur Grafik
  • Kleinunternehmen mit 6 bis 49 Beschäftigten gewähren nur bei 13 Prozent aller ausgesprochenen Kündigungen eine Abfindung. In der Überzahl der Fälle sind Kündigungen für kleine Arbeitgeber also praktisch umsonst. Zur Grafik
  • Kleinunternehmen mit 6 bis 49 Beschäftigten gewähren nur bei 13 Prozent aller ausgesprochenen Kündigungen eine Abfindung. In der Überzahl der Fälle sind Kündigungen für kleine Arbeitgeber also praktisch umsonst. Zur Grafik

Sonderbehandlung für kleine und mittelgroße Unternehmen?
Untersuchung des REGAM-Projektes zum Download (pdf)

Verhindert der Kündigungsschutz Einstellungen in kleinen Betrieben?
Ergebnisse einer REGAM-Befragung von Personalleitern zum Download (pdf)

Kleinbetriebe: Zwei Drittel kennen Gesetz nicht
Kleinbetriebe sind vom Kündigungsschutzgesetz ausgenommen. Doch zwei Drittel wissen das gar nicht.
Untersuchung des WSI zum Download (pdf)

"Regulierung des Arbeitsmarktes" (REGAM), ein Projekt des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) in der Hans-Böckler-Stiftung, 2002-2007.
zum Projekt

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