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HBS Böckler Impuls

Frankreich: Kampf für mehr Mitbestimmung

Ausgabe 16/2019

Die französischen Gewerkschaften fordern mehr Mitbestimmung für Arbeitnehmer. Bislang blockt Präsident Macron alle Vorschläge ab.

Frankreich ist zugleich Vorreiter und Schlusslicht: Als erstes europäisches Land führte es bereits 1945 die Unternehmensmitbestimmung ein. Die Anzahl der Arbeitnehmervertreter, die in den Leitungsgremien von Unternehmen mitentscheiden, ist in Frankreich allerdings niedriger als in allen anderen europäischen Ländern mit Mitbestimmung. „Die Hindernisse für eine Ausweitung der Mitbestimmung wurzelten in der französischen Kultur der Arbeitsbeziehungen“, schreibt Udo Rehfeldt vom Institut de Recherches Économiques et Sociales (IRES) in Paris. Diese sei gekennzeichnet durch Misstrauen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften. In jüngster Zeit gewinne jedoch der Kampf für eine „Codétermination à la française“ an Dynamik, so der Politikwissenschaftler in seiner vom Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.) geförderten Analyse. 


Auch Emmanuel Macron schien zunächst offen zu sein für mehr Mitsprache der Arbeitnehmer. Im Wahlkampf hatte er verkündet, ihren Einfluss in den Verwaltungsräten stärken zu wollen. Dieses Versprechen setzte er nach seiner Wahl zum Staatspräsidenten im Jahr 2017 aber bisher nicht wirklich um. In den ersten Verordnungen zur Reform des Arbeitsrechts war von Unternehmensmitbestimmung keine Rede mehr. „Auf mysteriöse Weise war das Thema verschwunden“, schreibt Rehfeldt. Zwar kündigte der Präsident an, eine „zweite Welle von Reformen“ werde die Arbeitnehmerbeteiligung verbessern. Allerdings bezog er sich dabei konkret auf die finanzielle Beteiligung. Auch die kürzlich verabschiedete Reform des Unternehmensrechts dürfte nur sehr begrenzt für mehr Mitsprache sorgen. Der französische Präsident sei nicht gewillt, die Gewerkschaften in seine Pläne einzubeziehen, anders als es sein Vorgänger François Hollande praktiziert hatte, so Rehfeldt. Inzwischen hätten sich alle fünf großen Arbeitnehmerorganisationen gegen die verabschiedeten und noch geplanten Reformen gestellt. Die von ihnen organisierten Protestaktionen hätten jedoch nicht zum gewünschten Erfolg geführt. Zu größeren Protesten innerhalb der Bevölkerung sei es erst gekommen, als die Regierung im November 2018 die Mineralölsteuer erhöhen und eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf Landstraßen einführen wollte. Die spontanen Demonstrationen der sogenannten Gelbwesten hätten sowohl die Regierung als auch die Gewerkschaften überrascht. 


In der französischen Nationalversammlung treibt aktuell die sozialistische Fraktion das Thema Mitbestimmung voran. Ein von ihr eingebrachter Gesetzentwurf, den zuvorderst die Gewerkschaft CFDT unterstützt, sieht vor, dass in Unternehmen mit mehr als 5000 Mitarbeitern eine paritätische Mitbestimmung gelten soll. Das heißt: In den Verwaltungsräten sollen gleich viele Vertreter der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite sitzen. In Unternehmen mit mehr als 1000 Mitarbeitern soll der Verwaltungsrat zu einem Drittel mitbestimmt sein. Firmen mit mehr als 500 Mitarbeitern sollen mindestens zwei Arbeitnehmervertreter im Leitungsgremium beteiligen. Die Vorschläge ähneln dem deutschen Modell der Mitbestimmung, wobei hierzulande niedrigere Schwellenwerte gelten. Dass sich die Sozialisten mit ihrem Vorstoß durchsetzen können, erscheine angesichts der Mehrheitsverhältnisse in Frankreich allerdings unwahrscheinlich, so Rehfeldt.


Besser stünden die Chancen, erklärt der Politikwissenschaftler, wenn weitere Partner dazu kämen: Die Frage der Mitbestimmung sollte seiner Meinung nach nicht nur im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Erfordernissen diskutiert werden, sondern auch mit Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit. Verschiedene Studien zeigen, dass mitbestimmte Betriebe sowohl soziale als auch ökologische Standards besser erfüllen. Dieses Zusammenspiel von ökologischer und ökonomischer Nachhaltigkeit gelte es für Bündnisse aus Gewerkschaften, NGOs und politischen Parteien zu nutzen. „Alles deutet darauf hin, dass die Ökologie ein zentrales Thema beim Wettbewerb um die Wählergunst bleibt. Die Frage einer künftigen Ausweitung der Mitbestimmung könnte von diesem Wettbewerb profitieren“, schreibt Rehfeldt.

  • Europaweit existieren viele verschiedene Modelle der Mitbestimmung von Arbeitnehmern. Zur Grafik

Französische Unternehmen mit weltweit mindestens 5000 Beschäftigten oder mindestens 1000 Mitarbeitern in Frankreich sind zur Unternehmensmitbestimmung verpflichtet. Während früher nur staatliche und privatisierte Unternehmen dieser Regelung unterlagen, müssen seit 2013 auch alle großen privaten Unternehmen mindestens einen Arbeitnehmervertreter an ihrem Verwaltungs- oder Aufsichtsrat beteiligen. Die Anzahl der Arbeitnehmervertreter bleibt jedoch gering: In Leitungsorganen mit bis zu zwölf Mitgliedern muss lediglich einer sitzen, in größeren sind es zwei. Das Gesetz betrifft Aktien- und Kommanditgesellschaften, einschließlich SEs, hingegen nicht GmbHs, „vereinfachte Aktiengesellschaften“ oder Genossenschaften. 

Udo Rehfeldt: Unternehmensmitbestimmung in Frankreich. Neuere Entwicklungen und Debatten, Mitbestimmungsreport Nr. 52, September 2019

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