Digitalisierung: Interne Crowdwork braucht Regeln
Sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber können von interner Crowdwork profitieren. Damit das funktioniert und Beschäftigte nicht unter Mehrbelastung leiden, braucht es klare Regeln.
In der modernen Arbeitswelt ist Crowdwork auf dem Vormarsch. Dabei werden Aufgaben online über einen offenen Aufruf an eine größere Anzahl von Bearbeitern vergeben. Eine Variante davon ist die sogenannte interne Crowdwork:
Unternehmen rufen die eigene Belegschaft auf, sich auf IT-basierten Plattformen um Arbeitsaufträge zu bewerben.Die Wirtschaftsinformatiker Jan Marco Leimeister, David Durward und Benedikt Simmert von der Universität Kassel haben sich in einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie mit dieser neuartigen Form der Arbeitsorganisation auseinandergesetzt. Den Ergebnissen zufolge birgt sie durchaus Vorteile: Sie kann den Beschäftigten selbstbestimmtes Arbeiten ermöglichen und den Unternehmen zu mehr Flexibilität und Effizienz verhelfen. Doch dafür müssen die Voraussetzungen stimmen. Zentral: Präzise definierte Regeln, die verhindern, dass es zu Konkurrenzdenken und Arbeitsverdichtung kommt.
Die Forscher haben für ihre Untersuchung in mehreren Unternehmen Experten interviewt sowie Umfragen unter den Beschäftigten durchgeführt. Interne Crowds kommen dort unter anderem zum Einsatz, um Lösungen für logistische Probleme entwickeln, das Potenzial neuer Produktideen einschätzen oder ganze Projekte von „crossfunktionalen Teams“ bearbeiten zu lassen. Die Teilnahme ist durchgehend freiwillig, die vergebenen Aufgaben sind neben der eigentlichen Tätigkeit zu erledigen.
Für Unternehmen sei diese Form der Arbeitsorganisation in mehrfacher Hinsicht attraktiv, schreiben die Wissenschaftler. Es entstehe ein „flexibler Ressourcenpool“, der es ermöglicht, Kapazitätsschwankungen durch schnell zusammengesetzte Teams mit hochmotivierten Beschäftigten auszugleichen. Ungenutztes Potenzial in der Belegschaft – brach liegende Fähigkeiten und Kenntnisse – werde ausgeschöpft. Dabei komme es zu Kooperationen über Team- und Abteilungsgrenzen hinweg, was zur Auflösung von „Silodenken“ beitragen kann. Viele Aufgaben könnten so kostengünstiger, schneller und qualitativ hochwertiger erledigt werden.
Auch aus Arbeitnehmersicht haben die Forscher Pluspunkte ausgemacht. Es bestehe die Aussicht auf Abwechslung jenseits der Routine, die Zusammenarbeit mit Kollegen aus anderen Bereichen erlaube einen „Blick über den Tellerrand“. Die Möglichkeit, über einen Teil der persönlichen Arbeitszeit autonom entscheiden und selbstbestimmt an der Lösung von Aufgaben mitwirken zu können, werde von vielen Beschäftigten als „wertvoller Beitrag zur persönlichen Weiterentwicklung und Entfaltung“ empfunden. Das wirke sich positiv sowohl auf die Zufriedenheit als auch auf die Identifikation mit dem Unternehmen aus.
Es gebe allerdings auch Schattenseiten, warnen die Autoren. Häufig stellten die in der Crowd anfallenden Aufgaben für die Beschäftigten einen Mehraufwand dar, den sie in den Arbeitsalltag integrieren müssen. Die Gefahr bestehe, dass es zu Arbeitsverdichtung oder Arbeit in der Freizeit kommt. Wenn die Leistung als Crowdworker Einfluss auf die Gesamtbeurteilung von Beschäftigten hat, steige der Druck zur Teilnahme. Das könne Stress erzeugen und die Konkurrenz innerhalb der Belegschaft intensivieren.
Damit es dazu nicht kommt, müsse das Management Freiräume für die Arbeit in der Crowd schaffen und klare Regeln für die Nutzung festlegen, empfehlen Leimeister, Durward und Simmert. Das gehe nicht ohne eine „neue Form der Führung, die auf Vertrauen basiert“.
Beispiele aus der Praxis
Das I.M.U. hat ausgewählte Betriebs- und Dienstvereinbarungen zum Thema Digitalisierung inklusive Hintergrundinformationen zur Ausgangssituation und Umsetzung online dokumentiert. U. a. geht es um internes Crowdsourcing.
Jan Marco Leimeister, David Durward, Benedikt Simmert: Die interne Crowd -– Mitarbeiter/innen im Spannungsfeld neuer Arbeitsformen, Study der HBS Nr. 436, März 2020