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 Gute Arbeit ist schlecht für die AfD Böckler Impuls

Demokratie: Gute Arbeit ist schlecht für die AfD

Ausgabe 19/2023

Ihre steigenden Zustimmungswerte verdanken die Rechtspopulisten besonders dem Thema Migration. Unzufriedenheit mit Arbeitsbedingungen dürfte aber auch eine Rolle spielen.

Umfragen deuten auf einen Rechtsruck in Deutschland hin: Bei der Sonntagsfrage hat die AfD seit Beginn des Jahres stetig zugelegt, in den neuen Bundesländern ist sie zur stärksten Kraft avanciert. Um den Ursachen dieser Entwicklung auf die Spur zu kommen, hat WSI-Forscher Andreas Hövermann Daten des WSI-Erwerbspersonenpanels ausgewertet. Seiner Analyse zufolge zeichnen sich die Wählerinnen und Wähler der Rechtspartei unter anderem durch große Unzufriedenheit mit staatlichen Institutionen und Sorgen um die eigene sowie die gesellschaftliche Situation aus. Zuwanderung gilt fast allen als ein wichtiges Problem. Auch in der Arbeitswelt liegt aus Sicht der AfD-Anhängerschaft einiges im Argen: Vor allem fehlende Anerkennung und unangemessene Löhne werden überdurchschnittlich häufig beklagt. Obwohl die AfD in erster Linie mit ihren migrationskritischen Ansichten punkten kann, wäre es laut Hövermann für demokratische Parteien keine kluge Strategie, über diese Schiene Wählerinnen und Wähler mit AfD-Präferenz anzusprechen. Nicht nur widerspreche dies den Werten und Grundsätzen offener demokratischer Gesellschaften, es vergifte auch den politischen Diskurs, verschärfe gesellschaftliche Spaltungen und verschiebe die Grenzen des Sagbaren nach rechts, wovon demokratische Parteien zudem auch noch selten profitierten. Dagegen gebe es zahlreiche soziale Themen, mit denen die demokratischen Parteien durchaus Chancen hätten, zumindest einen Teil der nach rechts Gedrifteten zurückzugewinnen: Es gelte, sie mit „anderen als mit migrationsfeindlichen Positionen“ anzusprechen – mit Positionen, die geeignet sind, ihre sozialen und finanziellen Sorgen zu adressieren.

Für das WSI-Erwerbspersonenpanel, das seit April 2020 regelmäßig erhoben wird, sind bei der zehnten und aktuellsten Welle im Juli 2023 über 5000 Erwerbstätige und Arbeitsuchende befragt worden. Insgesamt viermal haben die Teilnehmenden ihre Wahlabsicht zu Protokoll gegeben, kurz nach der Bundestagswahl 2021 zudem ihr tatsächliches Votum. Aus diesen Angaben lassen sich deutliche Zugewinne für die AfD ablesen: Während bei der Bundestagswahl noch 8,6 Prozent der Befragten ihr Kreuz bei dieser Partei gemacht hatten, erklärten im Juli 2023 knapp 23 Prozent, AfD wählen zu wollen. 28 Prozent davon wiederum hatten auch in den vorherigen Befragungen ausschließlich diese Präferenz geäußert, 37 Prozent taten das zum ersten Mal.

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Wenn es um die berufliche Situation geht, sticht die AfD-Wählerschaft in mehrfacher Hinsicht hervor: Arbeiterinnen und Arbeiter kommen mit 22 Prozent deutlich häufiger vor als bei den anderen Befragten mit 12 Prozent. Gleiches gilt für Arbeitsuchende. Beamtinnen und Beamte sind dagegen unterrepräsentiert. Einen Betriebs- oder Personalrat haben diejenigen mit AfD-Präferenz etwas seltener als der Rest. Sie sind – wenn es eine solche Interessenvertretung gibt – häufiger mit deren Arbeit unzufrieden. Auch Tarifverträge sind etwas weniger verbreitet als im Durchschnitt. 

Auffällige Unterschiede betreffen die Erfahrungen im Arbeitskontext: Dass ihr Job sicher sei, sagen 74 Prozent derjenigen, die der AfD zuneigen, im Vergleich zu 85 Prozent der übrigen Befragten. Stolz auf die eigene Arbeit empfinden 74 Prozent im Vergleich zu 84 Prozent. Auch die Chancen im Fall von Arbeitslosigkeit werden pessimistischer eingeschätzt, die Arbeit wird seltener als abwechslungsreich empfunden, es gibt weniger Mitsprache bei strategischen Fragen am Arbeitsplatz und weniger Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen. Insbesondere beim Thema Anerkennung zeigen sich markante Differenzen: Für angemessen halten ihren Lohn 42 Prozent der AfD-Anhängerschaft und 55 Prozent der übrigen Erwerbspersonen, dass ihre Arbeitsleistung vom Arbeitgeber nicht wertgeschätzt werde, monieren 48 Prozent im Vergleich zu 40 Prozent. Alles in allem sind 71 Prozent der AfD-Wählerinnen und -Wähler zufrieden mit dem Job, bei den anderen Befragten nur 80 Prozent.

„Es wird deutlich, dass neben der Erfahrung von materieller Sicherheit auch verschiedene Dimensionen von Würde im Arbeitskontext ebenso wie das Erleben sozialer Anerkennung und demokratischer Teilhabe am Arbeitsplatz einen Einfluss darauf haben, ob Menschen sich dafür entscheiden, ihre Stimme der AfD zu geben“, sagt WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch. „Erwerbsarbeit ist ein wichtiger Mechanismus sozialer Integration. Wenn Menschen dort dauerhaft Erfahrungen von Desintegration machen, schadet das der Demokratie.“

Äußerst kritisch stehen die AfD-Sympathisantinnen und -Sympathisanten auch staatlichen und gesellschaftlichen Institutionen gegenüber: Großes oder sehr großes Vertrauen in die Bundesregierung hat mit 2,8 Prozent nur ein verschwindend geringer Teil von ihnen, den öffentlich-rechtlichen Medien vertrauen nur 6 Prozent. Bei den Befragten, die andere Parteien bevorzugen, sind es 21 und 38 Prozent. Das Vertrauen in die AfD selbst fällt dagegen mit 48 Prozent in ihrer Anhängerschaft vergleichsweise hoch aus, nur die Grünen schneiden mit 58 Prozent bei den eigenen Wählerinnen und Wählern besser ab, die SPD folgt mit 42 Prozent auf Platz drei. Man müsse also davon ausgehen, dass viele Menschen die Rechtspopulisten aus Überzeugung wählen und nur wenige aus Protest gegen andere Parteien, ohne mit der AfD einverstanden zu sein, so der WSI-Forscher. Er macht aber auch darauf aufmerksam, dass das Vertrauen in die AfD bei denjenigen, die zum ersten Mal eine Präferenz für diese Partei geäußert haben, mit 20 Prozent weniger ausgeprägt ist. Das sei eventuell ein Grund zur Hoffnung, dass einige von ihnen noch keine gefestigte Wahlüberzeugung entwickelt haben und der Weg zurück zu demokratischen Parteien noch nicht gänzlich verstellt ist.
 

Zum Klischee des „besorgten Bürgers“ passt der Befund, dass AfD-Anhängerinnen und -Anhänger ein „konstant sehr hohes Sorgen- und Belastungslevel“ aufweisen. Große Sorgen, den Lebensstandard nicht halten zu können, machen sich 47 Prozent von ihnen im Vergleich zu 23 Prozent der anderen Erwerbspersonen, wegen steigender Preise sorgen sich 71 Prozent im Vergleich zu 42 Prozent, um die eigene wirtschaftliche Situation 38 Prozent im Vergleich zu 19 Prozent. Die einzige weniger ausgeprägte Sorge bezieht sich auf eine mögliche Ausweitung des Ukrainekrieges. Starke oder äußerst starke Belastungen verspüren Befragte mit Vorliebe für die AfD im Hinblick auf die Gesamtsituation und die finanzielle Situation fast doppelt so oft wie die anderen.

Kurz nach der Bundestagswahl 2021 konnten die Befragten im Erwerbspersonenpanel angeben, welche Themen für die neue Regierung Priorität haben sollten. In manchen Punkten lagen diejenigen, die aktuell AfD wählen wollen, nicht weit entfernt vom Durchschnitt der Befragten. So nannten sie mit ähnlicher Häufigkeit beispielsweise die Schaffung und den Erhalt von Arbeitsplätzen, Investitionen in die Infra­struktur oder die Verbesserung der Pflege. Beim Thema Migration war die Differenz dagegen enorm: 95 Prozent der Befragten, die aktuell der AfD zuneigen, nannten die Begrenzung der Zuwanderung als ein wichtiges Thema. Unter denen, die andere Parteien wählen wollen, waren es 55 Prozent. Dass man gegenüber ukrainischen Geflüchteten nicht zu großzügig sein dürfe, bejahten in der Befragungswelle von November 2022 73 Prozent der AfD-Sympathisantinnen und -Sympathisanten im Vergleich zu 36 Prozent der anderen Befragten. 

Um zumindest Teile der AfD-Wählerschaft für das demokratische Spektrum zurückzugewinnen, brauche es gute Politik, die Probleme und empfundene Ungerechtigkeiten angeht und löst, so Hövermann. „Wenn aber öffentliche Infrastruktur häufig nicht funktioniert oder bezahlbarer Wohnraum in vielen Regionen ausgesprochen knapp ist und hier tatsächliche Konkurrenzsituationen mit zugewanderten Personen entstehen, wenn unzureichend Geld zur Verfügung gestellt wird, um ankommende Menschen erfolgreich zu integrieren, ist all das Wasser auf die Mühlen der politischen Akteure, die weiteres Misstrauen in demokratische Institutionen schüren und einheimische gegen geflüchtete Menschen aufbringen wollen.“ Eine strikte Sparpolitik erscheine vor dem Hintergrund der Befunde dagegen als ein sehr gefährlicher Weg.

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