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HBS Böckler Impuls

Mitbestimmung: Großbritannien: Chancen für Mitbestimmung

Ausgabe 17/2019

Eine Zeit lang sah es so aus, als bekäme Großbritannien die Unternehmensmitbestimmung. Doch die Beschäftigten müssen sich noch gedulden.

2016 überraschte die damalige Regierungschefin Theresa May die Öffentlichkeit mit der Ankündigung, dass bald Arbeitnehmervertreter in die Verwaltungsräte der Unternehmen einziehen sollen. Lionel Fulton vom Labour Research Department in London beschreibt in einer Analyse für das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung (I.M.U.), was seither geschehen ist: nicht viel. Bindende Regeln für die Arbeitnehmerbeteiligung auf Unternehmensebene sind die Konservativen schuldig geblieben. Sollte die Labour Party an die Macht kommen, stehen die Chancen für Unternehmensmitbestimmung jedoch gut.


Bereits in den 1970er-Jahren wollte die Labour-Regierung unter James Callaghan die Mitbestimmung in Unternehmen mit mindestens 2000 Beschäftigten einführen. Der Wahlsieg von Margaret Thatcher verhinderte dies jedoch. Seitdem trat das Projekt Arbeitnehmerbeteiligung in Großbritannien „mehr oder weniger auf der Stelle“, so Fulton. Eine Reform des Gesellschaftsrechts unter Tony Blair führte lediglich zu der vagen Verfügung, dass die Mitglieder der Verwaltungsräte bei ihren Entscheidungen auch die Interessen der Beschäftigten zu beachten hätten. Umso so erstaunlicher war Mays Vorstoß von 2016 nach Fultons Analyse.


Allerdings hatte dieser Vorstoß nicht lange Bestand. Noch im selben Jahr relativierte May ihre Aussagen und versicherte Industrielobbyisten, „dass es nicht darum geht, Betriebsräte oder die direkte Ernennung von Arbeitnehmer- oder Gewerkschafsvertretern in den Leitungsorganen der Unternehmen zwingend vorzuschreiben“. Was folgte, war lediglich eine Ergänzung des britischen Corporate-Governance-Kodex, der nun vorsieht, dass Unternehmen ein nicht geschäftsführendes Verwaltungsratsmitglied bestellen, einen Arbeitnehmerbeirat aufstellen oder einen Arbeitnehmervertreter – von der Geschäftsführung ernannt oder von der Belegschaft gewählt – in den Verwaltungsrat aufnehmen sollen. Aber auch das ist nicht verpflichtend: Börsennotierte Unternehmen, die sich gegen diese Optionen entscheiden, müssen dies lediglich begründen und „erläutern, welche alternativen Vorkehrungen getroffen werden und warum diese für effektiv erachtet“ werden. Diese Regelungen sind „weit von Mays ursprünglichem Versprechen entfernt“, so Fulton.


Seit Anfang 2019 ist der neue Kodex in Kraft. Umfragen unter Unternehmen zeigen, dass gut drei Viertel der an der Londoner Börse notierten Firmen, für die der Kodex gilt, vorhaben, eines der vorgesehen Instrumente zu nutzen. In der Regel planen sie die Bestellung eines nicht geschäftsführenden Verwaltungsratsmitglieds, das für die Belange der Beschäftigten zuständig sein soll. Nur jedes 20. Unternehmen will Platz für ein aus der Belegschaft stammendes Verwaltungsratsmitglied schaffen. 


Bislang gibt es lediglich in vier britischen Unternehmen Arbeitnehmervertreter im Verwaltungsrat. Bei dem Eisenbahn- und Busunternehmen FirstGroup ist dies eine Folge der Privatisierung qua Management-Belegschafts-Buyout. In den anderen Fällen wurden erst nach Mays Vorstoß Beschäftigte in das oberste Entscheidungsgremium berufen – nicht zuletzt, um das Image skandalgeschüttelter Firmen aufzupolieren, so Fulton.


Dem britischen Gewerkschaftsverband Trades Union Congress (TUC) reicht das nicht aus. Er fordert ein Recht auf Arbeitnehmervertretung in den Verwaltungsräten aller Unternehmen ab 250 Beschäftigten. Unter der derzeitigen konservativen Regierung stehen die Chancen für ernsthafte Mitbestimmung Fulton zufolge zwar schlecht. Denn „der aktuelle Parteichef Boris Johnson zeigt bisher keinerlei Anzeichen, die Arbeitnehmerbeteiligung ausweiten zu wollen“. Sollte allerdings eine neue Regierung unter Labour-Beteiligung ins Amt kommen, dürfte Mitbestimmung zum Thema werden, da sich „die Labour-Politik“ nach Fultons Beobachtung „in Richtung einer Arbeitnehmervertretung in Verwaltungs- und Aufsichtsräten verschoben hat und die Partei sich dem Standpunkt des TUC annähert“. Der früheren Premierministerin May hält der Experte für die britischen Arbeitsbeziehungen immerhin zugute: „Durch die Revision des Kodex ist eine Arbeitnehmervertretung in den Verwaltungsräten britischer Unternehmen heute wahrscheinlicher als je zuvor in den letzten 40 Jahren.“

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