Quelle: HBS
Böckler ImpulsMitbestimmung: Gesamtbetriebsräte: Guter Draht zur Basis
Gesamtbetriebsräte übernehmen immer mehr Aufgaben von örtlichen Betriebsräten. Darunter leidet jedoch nicht die Nähe zur Belegschaft, zeigt eine Untersuchung.
Unternehmen haben oft mehr als eine Betriebsstätte. Wenn in diesen mehrere lokale Betriebsräte existieren, muss nach dem Betriebsverfassungsgesetz ein Gesamtbetriebsrat gebildet werden. Dieser ist dann in erster Linie für überbetriebliche Belange zuständig.
Können Gesamtbetriebsräte den Kontakt zur Basis halten? Wissen sie, was die Beschäftigten von ihnen erwarten? Eine Auswertung der Betriebs- und der Gesamtbetriebsrätebefragung des WSI zur betrieblichen Restrukturierung 2006 zeigt: Die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen örtlichem und Gesamtbetriebsrat hat keinen nennenswerten Einfluss darauf, wie gut der Kontakt der Arbeitnehmervertreter zu den Belegschaften ist.
WSI-Forscher Martin Behrens und Jürgen Kädtler, Direktor am Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen, verwendeten für ihre Analyse Telefoninterviews mit 2.000 Betriebsräten und 283 Gesamtbetriebsräten. Rund 40 Prozent der befragten Betriebsräte gaben an, in ihrem Unternehmen einen Gesamtbetriebsrat zu haben.
Nach dem Willen des Gesetzgebers soll ein solches Gremium den örtlichen Betriebsräten nicht übergeordnet sein. Doch die Untersuchung ergibt, dass Gesamtbetriebsräte mehr Aufgaben übernehmen als vorgesehen. Dies ist nur konsequent, denn schließlich hat auch die Unternehmensseite Aufgaben zunehmend zentralisiert, so die Forscher. Überall dort, wo Betriebsvereinbarungen zwischen Management und Arbeitnehmervertretung nicht zwingend an die Bedingungen einzelner Betriebe angepasst werden müssen, liegt die Regelungskompetenz beim Gesamtbetriebsrat.
Die Themen von Betriebsvereinbarungen reichen von Einstellungen, Entlassungen und Arbeitszeitverkürzung über Weiterbildung, Familienfreundlichkeit und Frauenförderung bis hin zu Arbeitsschutz, Datenschutz und Vorschlagswesen. In nur 8 der 23 abgefragten Kategorien unterschreibt mehrheitlich der örtliche Betriebsrat die Betriebsvereinbarung. Er regelt zumeist Fragen der Arbeitszeit, der Eingruppierung und der Arbeitsorganisation - allesamt Themen, die eine konkrete Anpassung vor Ort erfordern. Auf den verbleibenden 15 Feldern kümmert sich in der Hauptsache der Gesamtbetriebsrat.
Doch wie nah ist das jeweilige Gremium an den Interessen der Beschäftigten? Als Indikator hierfür wählen Behrens und Kädtler unter anderem das Thema Betriebsbegehungen. Insgesamt 71 Prozent der örtlichen Betriebsräte geben an, regelmäßig Begehungen zu machen. Bei den Gesamtbetriebsräten sind 65 Prozent im Betrieb unterwegs. Die Datenanalyse zeigt: Was den direkten Draht zu den Belegschaften angeht, lässt sich aufgrund der Zuständigkeitsverteilung keine Entfremdung feststellen, so die Forscher.
Eine weitere Erkenntnis: Nicht in jedem Betrieb, für den ein Gesamtbetriebsrat zuständig ist, gibt es auch einen örtlichen Betriebsrat. Immerhin 41 Prozent der befragten Gesamtbetriebsräte berichteten von solchen "weißen Flecken" der Interessenvertretung. Die Ursachen können unterschiedlich sein. Möglicherweise sind die Beschäftigten in einigen Betrieben nicht an einer Arbeitnehmervertretung interessiert, so die Forscher.
Allerdings variieren die "weißen Flecken" gewaltig: Zwischen 1 und 85 Prozent der Betriebsstätten, für die Gesamtbetriebsräte zuständig sind, haben keinen Betriebsrat. Dies verweise darauf, dass zumindest einige Unternehmen die Wahl eines örtlichen Betriebsrats behindern - wie auch Beispiele aus dem Einzelhandel nahe legen. Wenige Arbeitnehmervertretungen gebe es jedoch auch, wenn in jungen Unternehmen die Betriebsratsgründung auf dem Weg, aber noch nicht abgeschlossen ist.
Martin Behrens, Jürgen Kädtler: Gesamtbetriebsräte: Neue Zuständigkeiten und die Folgen für betriebliche Arbeitsbeziehungen, in: WSI-Mitteilungen 6/2008