Quelle: HBS
Böckler ImpulsBefristungen an Hochschulen: Frust statt Verbesserungen
Der wissenschaftliche Nachwuchs arbeitet unter schwierigen Bedingungen. Reformen haben die Lage kaum verbessert. Drittmittelgeber scheint das wenig zu interessieren. Eine bessere Grundfinanzierung der Hochschulen ist nötig.
Befristung, kurze Vertragslaufzeit, unsichere Aussichten – für die meisten wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Deutschland gehört das zum Alltag. Etwa drei Viertel von ihnen waren 2020 befristet beschäftigt. Eine Reihe von Reformen soll Abhilfe schaffen. Wird sich die Lage für den wissenschaftlichen Nachwuchs dadurch bessern? Und wie bewerten sowohl Hochschulen als auch Geldgebende die Veränderungen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich eine Studie von Irene Dingeldey und René Böhme vom Institut Arbeit und Wirtschaft in Bremen. Die von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Untersuchung baut auf einer von der Arbeitnehmerkammer Bremen geförderten Studie auf. Sie basiert auf einer Online-Befragung von Personalabteilungen staatlicher Hochschulen. Außerdem wurden Interviews mit Expertinnen und Experten geführt sowie Landesministerien und Organisationen, die Drittmittel vergeben, schriftlich befragt.
Häufig geht es in der Debatte über gute Arbeit in der Wissenschaft um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) von 2007, das 2016 grundlegend reformiert wurde. Es zielt darauf ab, kurzfristige durch länger andauernde befristete Verträge zu ersetzen, ohne Flexibilität und Dynamik in der Wissenschaft einzuschränken. Die starke Fokussierung auf das WissZeitVG greife jedoch zu kurz, erklären Böhme und Dingeldey. Viele Bundesländer und Hochschulen hätten eigene unverbindliche Kodizes zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen verabschiedet. Gleichzeitig beeinflussten arbeitsgerichtliche Entscheidungen die Personalpolitik an den Universitäten.
Die Reformbemühungen der vergangenen Jahre hätten zwar die Regeln „zum Teil erheblich verändert“. Allerdings gab es aus Sicht der befragten Personalstellen in den vergangenen Jahren „nur geringe bis keine Verbesserungen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen“, heißt es in der Studie. Immerhin bei der Befristungsdauer sei ein positiver Trend erkennbar, allerdings stärker an Universitäten, weniger an Fachhochschulen. Zurückzuführen sei dieser eher auf Kodizes der Hochschulen und Landesregelungen als auf das WissZeitVG. Zugleich hätten die unterschiedlichen Reformen „nicht intendierte Nebenwirkungen“ gehabt. Die Personalabteilungen berichteten über deutlich gestiegenen Verwaltungsaufwand bei Einstellungen und eine Überforderung bei der Gestaltung rechtssicherer Verträge. Außerdem würden wissenschaftliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter häufiger arbeitslos, da Überbrückungsverträge rechtlich nur noch schwer umsetzbar seien und langjährig befristet Beschäftigte keine Anschlussverträge mehr erhielten. Zum Teil reduzieren die neuen Regelungen aus Sicht der Hochschul-Personalabteilungen auch die Flexibilität in der Forschung, kürzere Projekte seien schwerer umsetzbar. Auffällig seien dabei die erheblichen Unterschiede in der Verwaltungspraxis der Hochschulen bei der Anwendung des WissZeitVG. Hier sehen Böhme und Dingeldey Handlungsbedarf.
Von den befragten Drittmittelgebenden wollte oder konnte die Mehrzahl keine Bewertung der veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen abgeben. Offenbar hätten sie wenige Einblicke oder interessierten sich nicht für die Personalpolitik an den Hochschulen, so Dingeldey und Böhme. Ein Problembewusstsein für die Widersprüche zwischen ihren jeweiligen Förderbedingungen und dem Arbeitsrecht sowie den arbeitspolitischen Leitlinien sei kaum vorhanden. Konkrete Handlungsempfehlungen formulierten die Fördernden sehr selten, sie verwiesen stattdessen auf ihre unpolitische Rolle.
Hinsichtlich des weiteren Reformbedarfs herrsche Uneinigkeit, konstatieren Dingeldey und Böhme. Bei vielen Aspekten unterschieden sich die Ansichten sehr deutlich, sowohl zwischen den Personalstellen, zwischen Universitäten und Fachhochschulen als auch zwischen Personalstellen, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Arbeitnehmervertretungen. Bedauerlich sei, dass die unterschiedlichen Bedingungen der Qualifizierung nicht ausreichend reflektiert werden – etwa bei haushaltsfinanzierten Stellen im Vergleich zu drittmittelfinanzierten Projektstellen. Stärker thematisiert werden müsse die Verstetigung von Karrieren im Drittmittelbereich, die ebenfalls in unbefristete Stellen einmünden sollten. Stattdessen werde oft nur über eine bessere Absicherung des Weges zur Professur diskutiert, nicht aber über dauerhafte Stellen für wissenschaftliche Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unterhalb der Professur, wie etwa beim sogenannten Senior Researcher.
All dies heißt aber nicht, dass es keine Ansätze für Verbesserungen gibt. Die Forschenden empfehlen …
- rechtssichere Überbrückungs- und kurzzeitige Verlängerungsverträge unter bestimmten Bedingungen zu ermöglichen.
- die Konkretisierung von Inhalten und Dauer der „Qualifizierungsphase“, sodass speziell Aufgaben in der Zeit nach der Promotion klar definiert sind.
- die Schaffung neuer Personalkategorien, die Berufsbilder unterhalb einer Professur ermöglichen.
- die rechtliche Klärung und Absicherung der Qualifizierungsbefristung für Drittmittelprojekte.
- die Möglichkeit der Refinanzierung von entfristeten Stellen durch Drittmittel.
- die Verbesserung der finanziellen Grundausstattung der Hochschulen.
René Böhme, Irene Dingeldey: Arbeitsrechtsreformen und ihre Folgen für die Wissenschaft, Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 250, Juli 2022