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HBS Böckler Impuls

Mitbestimmung: Fragwürdiger Stresstest

Ausgabe 09/2014

Die scheidende EU-Kommission stellt Regeln zum Schutz und zur Beteiligung von Arbeitnehmern auf den Prüfstand. Die Argumente und Verfahren dafür erscheinen fragwürdig.

Mehr demokratische Beteiligung ist ein großes Thema bei der Europawahl. Erstmals soll das Ergebnis bei der Kür des Kommissionspräsidenten berücksichtigt werden. Bei der Teilhabe am Arbeitsplatz scheint der Trend indes in die Gegenrichtung zu laufen: Unter dem Titel "Refit – Fit for Growth" überprüft die amtierende Kommission europäische Richtlinien. Erklärtes Ziel: "Bürokratieabbau", vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen. Doch dabei könnten wichtige Arbeitnehmerrechte ausgehebelt werden, warnt Norbert Kluge, Mitbestimmungsexperte in der Hans-Böckler-Stiftung.

Von „Refit“ betroffen sind unter anderem Bestimmungen zum Arbeitsschutz, zur Leiharbeit und die Richtlinien zur Unterrichtung und Anhörung von Beschäftigten. Letztere setzen EU-weite Mindeststandards für die Beteiligung von Arbeitnehmern. So ist vorgesehen, dass Beschäftigte in Unternehmen mit mehr als 50 und in Betrieben mit mehr als 20 Beschäftigten "effektiv und regelmäßig" über wichtige Veränderungen am Arbeitsplatz informiert und dazu angehört werden müssen. Zu den Anforderungen zählt auch die Verankerung eines Rechts auf betriebliche Vertreter. "Für die Arbeitsbeziehungen in vielen osteuropäischen EU-Länder waren diese Mindeststandards ein Riesen-Fortschritt", erklärt Kluge. „Unterrichtung und Anhörung von Arbeitnehmern ist damit überall in Europa ein einklagbares Grundrecht.“

Nach Darstellung der EU-Kommission soll die „Refit“-Prüfung ergebnisoffen ablaufen. Kluge und Isabelle Schömann vom Europäischen Gewerkschaftsinstitut (ETUI) haben daran aber gravierende Zweifel, nachdem sie das Verfahren analysiert haben:

Erneute Prüfung trotz positiver Evaluation. Erst 2010 ließ die EU-Kommission drei wesentliche Richtlinien zur Unterrichtung und Anhörung evaluieren. Das Ergebnis fiel damals positiv aus, so die Fachleute: Die Direktiven seien als "relevant, effektiv und kohärent" eingestuft worden. Trotzdem setzte die Kommission wenig später die erneute Überprüfung an.

Einseitige "Konsultation". Ein wichtiges Element zur Legitimierung von "Refit" sei eine "Konsultation" via Internet gewesen, schreiben Kluge und Schömann. Im Herbst 2012 konnten Interessierte auf einer Website auswählen, welche zehn europäischen Gesetze ihrer Meinung nach "die größten Lasten für kleine und mittlere Unternehmen" brächten. Auf der Website habe aber die "Fragestellung die Ergebnisse gesteuert". So seien bestimmte Regulierungen schon vorausgewählt gewesen. Die Teilnehmer mussten und konnten ihr Votum nicht begründen. Und vor allem: Eine positive Bewertung war nicht möglich. Nicht einmal Befunde aus der Wissenschaft, wonach mitbestimmte Unternehmen beispielsweise mehr für Ausbildung und Familienfreundlichkeit tun, produktiver und innovativer sind sowie höhere Löhne zahlen, hätten bei dieser "Bürgerbeteiligung" angebracht werden können, erklärt Mitbestimmungsexperte Kluge.

Kleine Unternehmen oft ohne Arbeitnehmervertretung. Doch selbst wenn man die einseitige Lesart von einer "Last Arbeitnehmerbeteiligung" ernst nehme, sei nicht nachzuvollziehen, warum Kleinunternehmen eine Erleichterung bräuchten, konstatieren die Experten. In den meisten Mitgliedsländern verfügt nur ein relativ kleiner Teil der Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten über Arbeitnehmervertretungen. "Es grenzt an Etikettenschwindel, wenn die Kommission ausgerechnet hier so tut, als zwinge Brüssel den Unternehmen etwas auf", urteilen Schömann und Kluge. Das bringe die Rechte von Arbeitnehmern "besonders in kleinen und mittleren Unternehmen in Gefahr, also dort, wo sie ohnehin schon stark herausgefordert werden". Und wo je nach EU-Land zwischen 53 und 82 Prozent der Beschäftigten arbeiteten.

Eine weitere Initiative, die mit dem "Refit"-Programm zumindest indirekt zu tun hat, vertieft die Skepsis der Forscher: Kürzlich hat die Kommission das Projekt einer „Ein-Personen-Gesellschaft“ (SUP) wiederbelebt. Sie soll per Online-Registrierung ohne Identitätsprüfung mit einem Mindestkapital von nur einem Euro gegründet werden können. Das Vorhaben blieb 2008 laut ETUI im europäischen Gesetzgebungsprozess stecken, damals noch unter dem Namen „Europäische Privatgesellschaft“. Deutschland und Schweden hatten schwerwiegende Bedenken gegen die Seriosität der geplanten Rechtsform im Verhältnis zu Beschäftigten, Kunden und Gläubigern. Im Oktober 2013 wurde der ursprüngliche Vorschlag im Rahmen von "Refit" zurückgezogen. Nun habe die Kommission einen zweiten Anlauf gestartet – auf anderer rechtlicher Basis, sodass diesmal bei der Abstimmung unter den Mitgliedsländern keine Einstimmigkeit erforderlich sei.

Umstrittene SUP

Mit der europäischen Ein-Personen-Gesellschaft (Societas Unius Personae, SUP) will die EU-Kommission Unternehmern die Gründung von Tochtergesellschaften im Ausland erleichtern. Anfang April hat sie einen Vorschlag für eine Richtlinie vorgelegt. Er sieht vor, dass sich solche Unternehmen mit einem Gesellschafter innerhalb von nur drei Werktagen online registrieren lassen können und ein Mindestkapital von nur einem Euro nachweisen müssen. Außerdem sollen sie die Möglichkeit haben, den rechtlichen Firmensitz („Satzungssitz“) und den Ort des operativen Geschäfts zu trennen. Dadurch kann sich der Gründer einen EU-Staat aussuchen, nach dessen Rechtsregeln er sich richtet. Der Kommissionsvorschlag ist umstritten. So lehnt ihn der DGB ab, weil damit der Wettlauf um niedrigste Steuern und Sozialstandards weiter angetrieben werde.

Die SUP könnte dazu genutzt werden, Mitbestimmungsrechte zu umgehen. Auch das bayerische Justizministerium warnt vor einem „Wettbewerb nach unten“, der nicht den Mittelstand fördere, „sondern die Entstehung zwielichtiger Briefkastengesellschaften“.

Isabelle Schömann: Guter Klang, aber schlechte Folgen für Europas Arbeitnehmerschaft (pdf), Report der Abteilung Mitbestimmungsförderung, Mai 2014

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