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Flucht in die Teilzeit Böckler Impuls

Kitas: Flucht in die Teilzeit

Ausgabe 10/2024

Kita-Beschäftigte arbeiten mehrheitlich in Teilzeit. Damit sich der Fachkräftemangel nicht noch weiter verschärft, sind attraktivere Arbeitsbedingungen nötig.

Die Kinderbetreuung liegt in Deutschland zunehmend in professionellen Händen: Angebot und Nachfrage in diesem Bereich sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen, 2022 haben sich knapp 842 000 Erzieherinnen und Erzieher in 60 000 Kitas um rund 3,8 Millionen Kinder gekümmert. Doch es gibt ein Problem: Die Personalknappheit, die den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz schon jetzt vielerorts unterminiert, dürfte in den kommenden Jahren weiter zunehmen, erklären Nina Weimann-Sandig und Bernhard Kalicki von der Evangelischen Hochschule Dresden. Die Soziologie-Professorin und der Professor für frühkindliche Bildung haben in einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie untersucht, inwieweit die Aufstockung von Teilzeit zur Problemlösung beitragen könnte. Die Ergebnisse sind ernüchternd: Das Potenzial sei bei den gegenwärtigen Arbeitsbedingungen gering, vielmehr könne sich der Trend zur Teilzeit noch verstärken. Christina Schildmann, Leiterin der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung erklärt: „Die Studienergebnisse zeigen, wie wenig Luft zum Atmen im System ist. Hier geht es ganz eindeutig nicht um eine Häufung individueller Arbeitszeitpräferenzen, sondern um eine strukturelle Überbelastung, die eine Stundenaufstockung für einen Großteil der in Teilzeit arbeitenden Erzieherinnen und Erzieher unvorstellbar macht.“ 

Weimann-Sandig und Kalicki haben für ihre Untersuchung mehr als 1200 Kita-Beschäftigte in Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, dem Saarland und Sachsen online befragt. Teilzeit ist unter ihnen weitverbreitet: Während die Leitungen zu einem Drittel in Teilzeit arbeiten, sind es bei den stellvertretenden Leitungen bereits 51 Prozent. Bei den Erstkräften, die für die Leitung einer Kita-Gruppe zuständig sind, beträgt die Teilzeitquote 61 Prozent, bei den Ergänzungskräften 77 Prozent. 

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Nennenswerte Beschäftigungspotenziale durch Ausweitung der Arbeitszeit können die Forschenden nicht ausmachen: Bei 48 Prozent der Befragten entspricht die vertragliche Arbeitszeit exakt den Wünschen, 45 Prozent wünschen sich eine Reduzierung, nur 7 Prozent eine Aufstockung. Einen Vollzeitvertrag etwa möchten nur 3 Prozent der Teilzeitbeschäftigten. Dagegen würden 30 Prozent der Vollzeitbeschäftigten Teilzeit bevorzugen, 23 Prozent eine vollzeitnahe Beschäftigung mit 32 bis unter 38 Wochenstunden. Wesentliche Gründe, die für Teilzeit sprechen, sind aus Sicht der Kita-Beschäftigten vor allem die hohe Arbeitsbelastung, familiäre Betreuungspflichten, aber auch der Wunsch nach einer besseren Work-Life-Balance.

Die „berufliche Mobilität“ ist der Auswertung zufolge mäßig ausgeprägt, die Treue zum Beruf und zum angestammten Arbeitsplatz hoch: Ein Drittel der Befragten hat noch nie die Kita gewechselt, 53 Prozent ein- bis dreimal. Dass sie in Zukunft komplett aus dem Erwerbsleben aussteigen könnten, halten 75 Prozent der Befragten für ausgeschlossen, einen Wechsel in ein ganz anderes Berufsfeld 54 Prozent. Stärker ausgeprägt ist die Wechselbereitschaft bei jüngeren Beschäftigten und bei denjenigen, die in sozialen Brennpunkten arbeiten. Dass sich die Mehrheit aber nicht vorstellen kann, den Beruf an den Nagel zu hängen, spreche grundsätzlich für eine hohe intrinsische Motivation, so die Forschenden.

Weimann-Sandig und Kalicki empfehlen unter anderem, die Entlohnung an die anderer pädagogischer Berufsgruppen wie etwa der Grundschullehrkräfte anzugleichen. Ein besonderer Personalschlüssel für Kitas in sozialen Brennpunkten könnte die dort tätigen Erzieherinnen und Erzieher entlasten, konsequente Freistellungen, Entlastung durch Sachbearbeitung oder Büroassistenz, eine eigene Entgeltgruppe und Funktionszulagen für Führungstätigkeiten dazu beitragen, Leitungspositionen attraktiver zu machen.

„Eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine gezielte Analyse der Arbeitsbelastungen und ein Programm zu deren Reduzierung könnten letztlich dazu führen, dass der Beruf wieder als erfüllend empfunden wird“, schreiben die Forschenden. Denkbar wäre aus ihrer Sicht, pädagogische Berufe generell als systemrelevant anzuerkennen und den Beschäftigten einen Vorrang bei der Vergabe von Betreuungsplätzen für eigene Kinder einzuräumen. Angesichts des hohen Frauenanteils unter den Kita-Beschäftigten müsse auch die partnerschaftliche Aufteilung von Betreuungsarbeit stärker in den Blick genommen werden.

Nina Weimann-Sandig, Bernhard Kalicki: Nur Teilzeit in der Kita? Arbeitszeitumfang und Beschäftigungspotenziale in der Kindertagesbetreuung, Working Paper der HBS-Forschungsförderung Nr. 331, Mai 2024

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