zurück
Report

Berichtszeitraum: 01. Oktober - 31. Dezember 2020: Report zum Europäischen Arbeits- und Sozialrecht

In der vierten Ausgabe des HSI-Reports für das Jahr 2020 befassen wir uns mit den aktuellen Entwicklungen der Rechtsprechung und Rechtspolitik auf europäischer Ebene im Berichtszeitraum von Oktober bis Dezember 2020.

Ein Blick auf die neuesten Urteile des EuGH zeigt, dass gerade das europäische Recht dazu anhält, traditionelle Rollenbilder rund um Sorgearbeit zu hinterfragen - auch in tarifvertraglichen Regelungen. In der Rs. Syndicat CFTC (C-463/19) ging es um die Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen ein tariflicher Freistellungsanspruch, der im Anschluss an den Mutterschutz gewährt wird, auch durch Vater in Anspruch genommen werden kann. Die Entscheidung wird von Dr. Johanna Wenckebach unter II. besprochen, die das Urteil zum Anlass nimmt, auf die Handlungsmöglichkeiten von Tarifvertragsparteien und Betriebsräten zur Geschlechtergleichstellung im Sinne von "equal care" hinzuweisen.

Das Urteil in der Rs. Vesel.bas ministrija (C-243/19) betraf den Antrag auf Kostenerstattung für eine grenzüberschreitende Gesundheitsversorgung, die aus religiösen Gründen im EU-Ausland erfolgte. Dem lag der Wunsch eines Vaters, einem Mitglied der Zeugen Jehovas, zugrunde, dass eine dringende Operation seines Sohnes ohne Bluttransfusion erfolgen solle, was im Versicherungsstaat abgelehnt wurde. Die Bedeutung der Entscheidung aus der Perspektive des europäischen Sozialrechts wird von Dr. Daniel Hlava unter III. erläutert.

Hervorzuheben ist auch, dass der EuGH am 8. Dezember die Nichtigkeitsklagen von Ungarn und Polen gegen die reformierte Entsenderichtlinie (erwartungsgemäs) abgewiesen hatte - die Änderungen sind mit EU-Primarrecht vereinbar. Ein Urteil der Großen Kammer befasst sich mit der Anwendbarkeit der Entsenderichtlinie auf LKW-Fahrer*innen im grenzüberschreitenden Güterverkehr. In der Rs. Jobcenter Krefeld (C-181/19) urteilte die Große Kammer des EuGH, dass der SGB II-Leistungsausschluss von EU-Ausländer*innen, deren Aufenthaltsrecht in Deutschland sich allein aus dem Schulbesuch ihrer Kinder ableitet, gegen die FreizügigkeitsVO verstößt. Ebenfalls Gegenstand der EuGH-Rechtsprechung waren u.a. Fragen der Leiharbeit, des Diskriminierungsschutzes und des Massenentlassungsrechts. Zwei Schlussanträge des Generalanwalts Pitruzzella geben dem EuGH die Möglichkeit, die Kriterien zur Unterscheidung von Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst bzw. Ruhezeit und Arbeitszeit weiter auszudifferenzieren.

Traditionelle Rollenbilder beschäftigten ebenfalls den EGMR: In der Rs. B. / Schweiz (Nr. 78630/12) ging es um den Ausschluss verwitweter Männer von der Hinterbliebenenrente, wenn ihre Kinder volljahrig sind, während Witwen diese Leistung weiter beziehen können. In einem anderen Verfahren ging es um die Frage, ob die Beendigung des Auslandseinsatzes einer Konsulatsmitarbeiterin aufgrund ihrer Schwangerschaft eine Diskriminierung darstellt (Nr. 33139/13 . Napotnik / Rumänien). In Piskin / Türkei (Nr. 33399/18) urteilte der Gerichtshof, dass eine Kündigung, die ohne weitere arbeitsrechtliche Überprüfung allein mit mutmaßlichen Verbindungen zu einer terroristischen Organisation begründet wurde, gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie das Recht auf ein faires Verfahren verstößt. Daneben waren u.a. die Meinungsfreiheit von Richter*innen und Staatsanwaltschaft und weitere Streitgegenstände im Zusammenhang mit dem Recht auf ein faires Verfahren Gegenstand verschiedener Urteile. Zukünftig wird sich der EGMR in einigen neu anhängigen Verfahren u.a. mit dem Verbot von Streikmaßnahmen und Benachteiligungen aufgrund von Gewerkschaftszugehörigkeit befassen.

In den weiteren aktuellen Entwicklungen des vergangenen Quartals wird über den Richtlinienvorschlag fur angemessene Mindestlöhne in der EU berichtet. Hingewiesen wird ferner auf die Aktivitaten der EU-Kommission und des Rates zu nachhaltiger Unternehmensführung sowie auch auf die EU-Strategien für die Nutzung künstlicher Intelligenz. Vor dem Hintergrund der CoViD-19-Pandemie hat der Rat Schlussfolgerungen fur einen besseren Schutz von Saisonarbeiter*innen verabschiedet. Weiter wird ein Einblick in das jüngst vereinbarte Handelsabkommen zwischen der EU und Großbritannien gegeben. Der Europäische Ausschuss für Soziale Rechte veröffentlichte Kriterien für gleiches Entgelt und Chancengleichheit für Frauen in Beschäftigung.

Quelle

Report zum Europäischen Arbeits- und Sozialrecht
HSI Report, 69 Seiten

PDF herunterladen

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrem Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen