Quelle: HBS
Böckler ImpulsMitbestimmung: Die SE-Lücke schließen
Das SE-Beteiligungsgesetz muss geändert werden, um sicherzustellen, dass Europäische Aktiengesellschaften nicht gegründet werden, um die Mitbestimmung auszuhebeln.
Unternehmen, in deren Aufsichtsrat die Beschäftigten mitbestimmen, bieten nicht nur bessere Arbeitsbedingungen, sie sind im Durchschnitt auch wirtschaftlich erfolgreicher und kommen besser durch wirtschaftliche Krisen und Umbruchphasen als vergleichbare Unternehmen ohne Mitbestimmung. Trotzdem häufen sich die Fälle, in denen das Management die Beteiligung der Belegschaft verhindert. Im Prinzip ist das erschreckend einfach: Man gründet eine Europäische Aktiengesellschaft (SE), die keine Beschäftigten und deshalb auch keine Mitbestimmung hat, und setzt diese als Gesellschafterin des eigentlichen, bis dato mitbestimmten Unternehmens ein. Die Sitze von Vertreterinnen und Vertretern der Belegschaft im Aufsichtsrat fallen unter den Tisch. So lief es beim Hamburger Olympus-Konzern ab. Eine Klage des Konzernbetriebsrats führte schließlich zur Vorlage des Falls beim Europäischen Gerichtshof (EuGH). Und der hat entschieden: Es bestehe in diesen Fällen keine Pflicht zur Nachverhandlung über die Mitbestimmung im Aufsichtsrat und damit keine Pflicht, überhaupt Mitbestimmungsrechte zu etablieren. Zur Frage, ob solche arbeitnehmerlosen Gesellschaften überhaupt gegründet werden dürfen, hat sich der EuGH nicht geäußert.
Das Urteil stößt bei vielen deutschen Rechtswissenschaftlern und Rechtswissenschaftlerinnen auf Kritik, wie Helene Langbein vom HSI und Felix Gieseke vom I.M.U. in einem Report zum europäischen Arbeits- und Sozialrecht schreiben. Hierzulande sei es bis vor kurzem herrschende Meinung gewesen, dass in Fällen wie diesem Nachverhandlungen über die Mitbestimmung in der neuen Unternehmensstruktur stattfinden müssen. Der EuGH habe mit seinem Spruch „eine klaffende Lücke im Mitbestimmungsschutz“ gerissen.
Diese zu schließen ist Gieseke und Langbein zufolge jedoch ebenso möglich wie nötig – nämlich durch nationales Recht. Im deutschen SE-Beteiligungsgesetz heißt es bereits heute ausdrücklich, „eine SE darf nicht dazu missbraucht werden, den Arbeitnehmern Beteiligungsrechte zu entziehen oder vorzuenthalten“. Es fehle aber eine Klarstellung, dass die Gründung einer SE ohne operatives Geschäft, die irgendwann später dazu genutzt wird, die Mitbestimmung in einem anderen Unternehmen auszuhebeln, als Missbrauch zu verstehen ist. Daher sei es unerlässlich, das Gesetz „im europarechtlich zulässigen Rahmen zu reformieren und Kriterien zu definieren, die zur Nachholung des Beteiligungsverfahrens führen“, so Gieseke und Langbein. Dann hätte Olympus nach dem Rechtsformwechsel mit dem Konzernbetriebsrat eine Lösung für die Unternehmensmitbestimmung aushandeln müssen, die die Beschäftigten nicht schlechterstellt als vorher.
Um zu verhindern, dass sich Unternehmen der Mitbestimmung entziehen, sind neben einer Schärfung des Missbrauchsschutzes zudem weitere Maßnahmen nötig, sagt I.M.U.-Direktor Daniel Hay: „Der deutsche Gesetzgeber muss klarstellen, dass die Unternehmensmitbestimmung für alle kapitalistisch strukturierten Unternehmen oberhalb der Beschäftigtengrenzen der deutschen Mitbestimmungsgesetze gilt. Ausländische sowie europäische Rechtsformen oder andere Rechtskonstruktionen dürfen nicht zur Aushebelung der Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten genutzt werden.“ Das Schließen einzelner Lücken werde aber nicht ausreichen, sondern lediglich zu einem Ausweichen auf andere Vermeidungsstrategien führen. „Wir brauchen einen wirksamen und umfassenden Mitbestimmungsschutz“, betont Hay.
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Helene Langbein, Felix Gieseke: Keine Nachholung des Beteiligungsverfahrens bei Einsatz einer zunächst arbeitnehmerlos gegründeten SE als Holding, in: Report zum europäischen Arbeits- und Sozialrecht 2/2024