Quelle: HBS
Böckler ImpulsÖffentliche Investitionen: Deutschland riskiert seine Substanz
Bei Investitionen in Infrastruktur und Bildung droht Deutschland im internationalen Vergleich den Anschluss zu verlieren, zeigt eine Analyse. Damit riskiert es seine wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit.
Öffentliche Investitionen steigern langfristig die Produktivität und sind damit von zentraler Bedeutung für Wachstum und Beschäftigung: In einem Land mit einer funktionierenden Infrastruktur und gut ausgebildeten Beschäftigten siedeln sich Unternehmen gern an, produzieren Güter und schaffen Arbeitsplätze. Trotzdem gehen seit Anfang der 1970er-Jahre die (west)deutschen Investitionen in Straßen und Schulgebäude stark zurück: von 4,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts 1970 auf 1,5 Prozent im Jahr 2007. Das ist gerade einmal die Hälfte der Investitionsquoten anderer Industrienationen: In Frankreich, Schweden und Japan liegen die Ausgaben jeweils über 3 Prozent.
Aufgrund der geringen öffentlichen Investitionen über mehrere Jahrzehnte hat sich inzwischen eine erhebliche Lücke aufgetan, so Achim Truger, Finanzexperte im IMK. Allein für Straßen, Brücken und Gebäude - also die Investitionen im engeren Sinne - schätzt er die jährlich nötigen Mehrausgaben auf 33 Milliarden Euro. Dabei sind Ausgaben für Bildung und Forschung noch gar nicht eingerechnet. Denn diese sind nach den engen Regeln der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung keine investiven, sondern konsumtive Ausgaben. Dabei sind sie mindestens ebenso wichtig für Wachstum und Beschäftigung wie Investitionen in Beton, schreibt Truger. Für Bildung, Forschung und Entwicklung - zum Beispiel mehr Lehrer an Schulen und Universitäten - beziffert der Ökonom den jährlichen Investitionsbedarf auf 25 bis 60 Milliarden Euro.
Der Bedarf ist da. Doch wie sollten die Mehrausgaben finanziert werden? In der deutschen wirtschaftspolitischen Debatte gelten eine verstärkte Kreditaufnahme, besonders aber höhere Steuern und Abgaben grundsätzlich als wachstumsschädlich. Empirisch ist dies jedoch nicht eindeutig nachzuweisen, zeigt Truger: Unterschiedliche Analysen ergeben einen positiven, einen negativen oder auch gar keinen Zusammenhang zwischen Wohlfahrtsstaat und Wirtschaftswachstum.
An anderer Stelle sparen: In keinem Land Europas haben sich die Staatsausgaben in den vergangenen zehn Jahren so schwach entwickelt wie in Deutschland. Auf preisbereinigt zwischen 1 und 5 Prozent kommen die westlichen Industrienationen beim Vergleich der Wachstumsraten der gesamten Staatsausgaben im Durchschnitt der Jahre 1998 bis 2007. In Deutschland dagegen sanken die Ausgaben im Schnitt um 0,2 Prozent. Massive Ausgabenkürzungen zur Finanzierung der zusätzlichen öffentlichen Investitionen scheiden vor dem Hintergrund dieser Entwicklung aus, so der IMK-Forscher.
Mehr Schulden: Einiges spräche für eine höhere Nettoneuverschuldung. So würden künftige Generationen an den Kosten der jetzt erneuerten Infrastruktur beteiligt. Durchaus zu recht, so Truger. Denn sie werden den Nutzen aus dieser Investition in die Zukunft des Landes haben. Außerdem könnten sich aufgrund der verbesserten Produktivität viele Investitionen zu einem guten Teil selbst finanzieren. Das Problem: Dieser Finanzierungsmethode stehen die Regeln des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes und neuerdings auch die so genannte Schuldenbremse entgegen.
Höhere Steuern: Daher müssten die notwendigen Investitionen weitestgehend über höhere Steuern finanziert werden, schreibt der IMK-Experte. Das wäre eine sinnvolle Lösung, auch wenn viele Vertreter des deutschen ökonomischen Mainstreams anderer Ansicht seien. Wirtschaftlich bedeutende Entscheidungen der privaten Haushalte - wie viel sie arbeiten oder sparen - werden nur mäßig von höheren Steuern beeinflusst, zeigt die Empirie. Auch Unternehmen reagieren weitaus weniger auf Änderungen in der Besteuerung als gemeinhin angenommen. Im internationalen Vergleich ist das deutsche Aufkommen gerade bei vermögensbezogenen Steuern unterdurchschnittlich - zum Beispiel bei der Erbschaftsteuer. Hier sieht Truger noch große Aufkommenspotenziale.
Doch auch diese Möglichkeit drohe an politischen Widerständen zu scheitern. Bereits die Kohl-Regierung hatte mit einem systematischen Rückbau des Staates begonnen, den die rot-grüne Bundesregierung fortsetzte: Steuersenkungen, überdurchschnittlich zugunsten der Reichen und Unternehmen, führten zu Steuerausfällen und Ausgabenkürzungen. Die Agenda 2010 stutzte den Sozialstaat zurecht. Auch die Finanzmarktkrise und die globale Rezession scheinen die deutsche Politik nicht dauerhaft auf einen expansiveren Kurs einschwenken zu lassen, befürchtet der Ökonom.
Achim Truger: Die makroökonomische Bedeutung öffentlicher Investitionen und ihre Finanzierbarkeit, in: WSI-Mitteilungen 5/2009