Quelle: HBS
Böckler ImpulsBetriebsräte: Der Fall Schlecker
Der Drogeriediscounter Schlecker ist ein Beispiel für die systematische Behinderung von Betriebsratsgründungen. Doch mit Öffentlichkeitsarbeit und Aktionsprogrammen ist mehr Arbeitnehmervertretung möglich, zeigt eine Studie.
Was ein Unternehmen sich alles einfallen lässt, um der Gründung von Betriebsräten entgegenzuwirken: Dies hat die Politologin Sarah Bormann im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung exemplarisch für die Drogeriemarkt-Kette Schlecker analysiert. In Interviews mit aktuellen und ehemaligen Beschäftigten sowie Gewerkschaftsvertretern dokumentierte sie Einschüchterungsversuche, Verlockungen und informelle Einflussnahme für den Zeitraum 2001 bis 2006. Lediglich vier Neugründungen waren "ohne irgendeine Form der Behinderung oder Beeinflussung" möglich, so Bormann.
Das System Schlecker: Obwohl Management, Produktplanung und Marketing des Konzerns zentral gesteuert werden, gilt nach dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) jede Drogeriefiliale als eigener Betrieb. 2005 gab es bundesweit davon 11.310 mit mehr als 40.000 Angestellten - fast ausschließlich Frauen. Nur 36 Prozent der Beschäftigten hatten eine Arbeitnehmervertretung.
Eine grundsätzliche Hürde: In der Regel bleibt jede einzelne Filiale unter der für eine Betriebsratsgründung nötigen Zahl von fünf Beschäftigten. Nur wenn nach § 3 BetrVG durch einen gemeinsamen Tarifvertrag Betriebe zusammengefasst werden, können Betriebsräte gegründet werden. Bormanns Studie zeigt, welche Anstrengungen Schlecker unternimmt, um dies zu verhindern.
Einschüchtern, drohen, versetzen: Vor Bestellung eines Wahlvorstands verfügen potenzielle Betriebsräte noch über keinen Kündigungsschutz. Erfährt das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt von den Plänen einer Betriebsratsgründung, sind seine Methoden oft wenig subtil, schreibt die Forscherin: Die Initiatorinnen würden einfach versetzt oder sogar gekündigt. Zusätzlich sammelten Schlecker-Führungskräfte gelegentlich ausliegendes Gewerkschaftsmaterial ein oder postierten sich vor Versammlungsorten, um die Teilnehmer einzuschüchtern.
Hat sich dennoch ein Wahlvorstand konstituiert, werden seine Mitglieder häufig zu Gesprächen mit der Geschäftsleitung gebeten. Die droht ihnen - direkt oder indirekt - mit Benachteiligungen. Oder bietet Vorteile und Begünstigungen an. Die Arbeit der Gründungswilligen wird besonders penibel kontrolliert, auch um im Zweifel Abmahnungen verschicken zu können. Wer immer noch weitermacht, muss sogar um Sachmittel wie Schreibgeräte, Papier und Porto kämpfen, die ihm gesetzlich zustehen. Selbst wenn die Befragten diese Vorgehensweisen als relativ harmlos empfinden: Auch diese Stör- und Verzögerungsstrategie wirkt zermürbend und frustrierend, zeigt die Studie.
Im Ergebnis: Von den 60 erfassten Versuchen, bei Schlecker Betriebsräte zu gründen, scheiterten 9 noch vor der Bestellung eines Wahlvorstands. Noch einmal 19 Gründungsversuche scheiterten danach. Findet eine Betriebsratswahl statt, stellt die Unternehmensleitung zuweilen eine eigene Liste auf, die sie mit allen Mitteln durchbringen will. Ein Wahlvorstandsmitglied schildert das so: "Sie haben auch zu Kolleginnen gesagt, dass, wenn sie die ver.di-Liste unterschreiben, sie mit ihrem Job spielen."
Verurteilt wegen Nötigung: Nicht immer sind subtile Drohungen nachzuweisen. Der Interpretationsspielraum der Richter ist groß bei der Frage, was unter "Behinderung einer Wahl" zu verstehen ist. Dennoch verurteilte das Amtsgericht Marburg 2005 drei Schlecker-Führungskräfte wegen Nötigung. Checklisten aus ihrem Sekretariat belegten, dass sie ein Wahlvorstandsmitglied wegen der Mitwirkung an der Betriebsratsgründung in einen Aufhebungsvertrag gedrängt hatten. Das Landgericht Marburg erkannte das Urteil nicht nur an, sondern verurteilte die Schlecker-Manager zusätzlich noch wegen Verstoßes gegen das Betriebsverfassungsgesetz.
Hilfe von außen: Gewerkschaften können den Schlecker-Beschäftigten bei Betriebsratsgründungen entscheidend helfen, zeigt die Untersuchung. 1994 begann die Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen (HBV) damit, erstmals die schlechten Arbeitsbedingungen und die tarifvertragswidrige Bezahlung bei Schlecker öffentlich zu machen. Mit Erfolg: 1995 unterzeichnete die Unternehmensleitung einen §-3-Tarifvertrag, es wurden 330 Wahlbezirke festgelegt und in den nächsten beiden Jahren 39 Betriebsräte gegründet.
2002 wurde die HBV-Nachfolgerin ver.di gemeinsam mit dem Schlecker-Gesamtbetriebsrat erneut aktiv. Auch Betriebsräte aus benachbarten Wahlbezirken engagierten sich ehrenamtlich. Ihre Veranstaltungen und Filialbesuche führten zu 37 Neugründungen. Dennoch blieben solche Aktionen punktuell.
Sarah Bormann: Unternehmenshandeln gegen Betriebsratsgründungen - Der Fall Schlecker, in: WSI-Mitteilungen 1/2008; dies.: Angriff auf die Mitbestimmung, Forschung aus der Hans-Böckler-Stiftung, edition sigma, Berlin 2007
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