Quelle: HBS
Böckler ImpulsMitbestimmung: Corporate Governance made in Germany: Mitbestimmung als Standortvorteil
Wer das deutsche Modell der Unternehmensmitbestimmung abschafft, gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Das Expertenwissen der Arbeitnehmerseite müsse in den Aufsichtsgremien erhalten bleiben, ergab eine Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB).
"Mitbestimmung ist kein historisches Relikt, sondern nach wie vor ein wichtiges Element guter Corporate Governance", lautet eine der Schlussfolgerungen der Untersuchung. Die Forscher befragten detailliert die Vertreter der leitenden Angestellten in den Aufsichtsräten von mehr als 100 mitbestimmten Unternehmen. Ihr Ergebnis: Nur ein Aufsichtsgremium, in dem das erforderliche Fachwissen umfassend vertreten ist, kann auch gute Entscheidungen treffen. Und die Anforderungen an die Kontrolleure sind in jüngster Zeit stark gestiegen. Früher hätten die Aufsichtsräte die Arbeit des Unternehmensvorstands nur kontrolliert, heute müssten sie ihn vorausschauend beraten.
Das hierfür benötigte Wissen ist vielfältig: Die Befragten orten Markt-, Kunden- und Finanzierungswissen auf der Anteilseignerbank, das interne Wissen sowie die Kenntnis über die Mitarbeiter auf der Arbeitnehmerseite. Die leitenden Angestellten siedeln ihren Schwerpunkt beim Fach- und Technologiewissen an, Gewerkschaftsvertreter brächten politisches und rechtliches Wissen mit.
Diese spezifischen Wissensprofile der im Aufsichtsrat vertretenen Gruppen würden in der Reformdiskussion völlig ausgeblendet, mahnen die WZB-Forscher: "Die Ausgliederung einer der Gruppen aus dem Aufsichtsrat würde unweigerlich eine Lücke im bisher gut abgedeckten Wissensportfolio der Aufsichtsräte aufreißen." Keine der Gruppen könne das gesamte Spektrum des im Gremium benötigten Wissens allein abdecken.
Untersuchung beleuchtet Forderungen der Kritiker
Die Studie setzt sich mit den gängigsten Kritikpunkten an der Mitbestimmung auseinander:
- Auch in großen Unternehmen sollen Vertreter der Anteilseigner und Arbeitnehmer nicht mehr zu gleichen Teilen im Aufsichtsrat vertreten sein,
- Arbeitnehmervertreter sollen den Aufsichtsrat verlassen und einen eigenen Konsultationsrat für Arbeitnehmerbelange bilden,
- Aufsichtsräte sollen viel kleiner werden.
Solch massive Einschnitte in die paritätische Mitbestimmung würden den Unternehmen schaden, heißt es in der Studie. Denn gerade die Beteiligung der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat trage dazu bei, dass ein Unternehmen Entscheidungen effizient umsetzen kann, weil die Beschäftigten sich dessen Ziele zueigen machen, wie die Befragung ergab.
Bei einem nicht mitbestimmten Aufsichtsrat hingegen erwarteten mehr als vier Fünftel der befragten leitenden Angestellten ein höheres Konfliktpotenzial in den Betrieben. Wer sich mit seinem Unternehmen stärker identifiziert, der bleibt. Deshalb zahle es sich für mitbestimmte Unternehmen auch eher aus, Geld in die Fortbildung der Beschäftigten zu stecken. Insgesamt ließen sich die Interessen von Arbeitnehmern und Anteilseignern besser in Einklang bringen, wenn im Aufsichtsgremium beide Seiten vertreten sind.
Notwendiges Wissen ist in großen Aufsichtsräten besser vertreten als in kleinen
Auch für die Forderungen nach generell kleineren Aufsichtsräten fanden die Forscher keine Unterstützung. Weder hätten große Gremien größere Probleme bei der Versorgung mit Informationen, noch führten sie seltener offene und kontroverse Diskussionen als die kleinen. Vertreter großer Aufsichtsräte sahen die bestehenden Strukturen vielmehr als besser geeignet an, die gestiegenen Anforderungen an die Beratungskompetenz des Gremiums zu erfüllen. Das für gute Aufsichtsratsarbeit erforderliche Wissen sei in größeren Gremien besser repräsentiert als in kleineren.
Defizite in der Arbeit der deutschen Aufsichtsräte sieht das WZB beim Thema Informationsweitergabe durch die Geschäftsführung. Zwar seien knapp 84 Prozent der Befragten sehr oder eher zufrieden damit, wie der Vorstand sie informiert. Doch gerade bei Geschäften von besonderer Bedeutung lägen gut einem Fünftel Informationen selten oder nie rechtzeitig vor. Stehen wichtige Entscheidungen an, fühlten sich fast 40 Prozent erst zu spät über deren Chancen und Risiken informiert. In der Hälfte der Aufsichtsräte gebe es zudem eine Rangordnung in der Informationsweitergabe: Zuerst erhielten die Anteilseigner die Unterlagen, dann die Arbeitnehmervertreter.
Bei Entscheidungen fehlen häufig notwendige Informationen
Kein Wunder also, dass 69 Prozent der Befragten mindestens einmal Entscheidungen getroffen haben, mit denen sie im Nachhinein nicht zufrieden waren. Hätten ihnen rechtzeitig alle verfügbaren Informationen vorgelegen, sie hätten sich anders entschieden, so ihre Aussage. Bei Geschäften von besonderer Bedeutung erhielten sie die Unterlagen in fast 36 Prozent der Fälle erst bis zu drei Tage vor ihrer Sitzung. Geht es um die Chancen und Risiken möglicher wichtiger Entscheidungen, werde der Aufsichtsrat zu über 27 Prozent erst am Tag seines Treffens informiert. Immerhin gab die Mehrheit der Aufsichtsratsmitglieder an, die Situation habe sich in der jüngsten Vergangenheit eher verbessert.
Es bestehe also Reformbedarf für das bestehende System, schlussfolgern die Forscher. Aber: Eingriffe in die paritätische Mitbestimmung könnten dazu führen, "dass die sozialen Voraussetzungen, auf denen sich die erfolgreiche Entwicklung vieler Unternehmen begründet, mit der Folge erheblicher Produktivitätsverluste und Kosten für die Unternehmen zerstört werden."
"Kommunikation und Wissen im Aufsichtsrat -Voraussetzungen und Kriterien guter Aufsichtsratsarbeit aus der Perspektive leitender Angestellter" von Prof. Dr. Ulrich Jürgens, Dr. Inge Lippert; Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) in Kooperation mit dem Deutschen Führungskräfteverband (ULA), Januar 2005
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